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       # taz.de -- Gespräch im Berliner Humboldt Forum: Alter Bombast und neue Fassaden
       
       > Es gibt harsche Kritik am Wiederaufbau des Berliner Schlosses. Viele
       > finden es bis heute falsch, preußische Fassaden mit kolonialer Beute zu
       > füllen.
       
   IMG Bild: Umstritten: das Humboldt Forum im Berliner Schloss, hier der Schlüterhof
       
       Irgendwann ringt Natalia Majluf charmant nach Worten. Sie versucht zu
       erklären, wie die Inka wirklich waren – abzüglich aller Geschichten der
       spanischen Konquistadoren und Missionare, die jene schriftlose
       Inka-Hochkultur zuerst beschrieben haben. Majluf ist Kunsthistorikerin und
       leitet das „Museo de Arte“ im peruanischen Lima, nun aber sitzt sie als
       Mitglied des Expertenteams im Berliner Humboldt Forum auf einem Podium.
       
       Es geht um jenes große Kulturhaus, das die Schlossattrappe im Zentrum der
       Hauptstadt ab kommendem Jahr mit Inhalten füllen soll. Ihr Gegenüber ist
       Manuela Fischer vom Ethnologischen Museum, das einst im Berliner Stadtteil
       Dahlem residierte und nun als einer der Hauptakteure im Humboldt Forum den
       Einzug vorbereitet.
       
       Der Anlass, warum sich die beiden am Freitag im Haus Ungarn am
       Alexanderplatz unterhalten, nennt sich „Einblicke“. Tatsächlich liefern
       drei Kuratorengespräche an diesem Abend Anhaltspunkte, wie das Humboldt
       Forum funktionieren könnte.
       
       Harsche Kritik wurde an der dortigen Arbeit geübt: Ein Machtkampf zwischen
       Initiatoren und altgedienten Museumschefs sei ausgebrochen. Im Sommer 2017
       verließ die Kunsthistorikerin Bénédicte Savoy aus Protest den
       Expertenbeirat, zuletzt kritisierte Viola König, scheidende Direktorin des
       Ethnologischen Museums, das Kompetenzgerangel im Haus.
       
       Am Freitagabend sollte Eintracht demonstriert werden – und tatsächlich
       lässt die Atmosphäre des Abends hoffen. Denn Manuel Fischer und Natalia
       Majluf diskutieren anregend über die Probleme von Provenienzforschung im
       postkolonialen Zeitalter. Auch der indische Kunst- und Kulturhistoriker
       Jyotindra Jain und Raffael Dedo Gadebusch vom Museum für Asiatische Kunst
       führen einen unterhaltsamen Dialog, nach dessen Ende die ebenso berühmte
       wie nach wie vor verwirrende Frage nach dem Huhn und dem Ei bleibt: Diesmal
       geht es um den Taj Mahal, jenes Mausoleum, das Großmogul Shah Jahan im Jahr
       1631 zum Gedenken an seine verstorbene große Liebe Mumtaz Mahal erbauen
       ließ. Wahrscheinlich ist es das im Westen bekannteste Bauwerk Indiens
       überhaupt.
       
       ## Postkarten aus Sachsen
       
       Dementsprechend spöttisch äußert sich Jain über den Taj, berichtet etwa,
       dass er stolzer Besitzer einer Sammlung von 2.000 Postkarten mit
       unterschiedlichen Ansichten des Taj sei, die alle um 1910 herum in Sachsen
       gedruckt wurden. „Indien ist so viel mehr als der Taj“, sagt er zu den
       Plänen von Gadebusch, ein ganzes Modul dem Taj und der indoislamischen
       Gartenbaukunst um den Taj herum zu widmen.
       
       „Aber wir müssen doch von dem ausgehen, was wir im Museum haben“, antwortet
       ihm Gadebusch – und die Ratlosigkeit in seiner Stimme ist nicht zu
       überhören. Er bringt damit das Dilemma zur Sprache, das auch seine
       Kolleginnen von der Abteilung Südamerika umkreisen: Wie interpretiert man
       Gegenstände, die von Menschen unter welchen Umständen auch immer ausgewählt
       wurden, da sie verquere Vorstellungen hatten?
       
       Als vor mehr als zehn Jahren bekannt wurde, dass ausgerechnet das
       Ethnologische Museum und das Museum für Asiatische Kunst die Hauptakteure
       im Humboldt Forum sein werden, ging ein Entsetzen vor allem durch jene
       Teile der Berlininteressierten, die schon den Wiederaufbau des Schlosses
       für rückwärtsgewandte Erinnerungskultur hielten. Viele finden es bis heute
       hirnrissig, preußische Fassaden mit kolonialer Beute zu füllen.
       
       Aber könnte es nicht sein, dass es auch ein Segen ist für das Humboldt
       Forum, wie sehr es sich reiben musste? Und wie es sich weiterhin wird
       reiben müssen? Diese Frage wird noch einmal am Ende des Abends aufgeworfen,
       als der bald scheidende Direktor des Museums für Asiatische Kunst, Klaas
       Ruitenbeek, mit dem chinesischen Künstler und Kunsthistoriker Wei Hu
       spricht, ebenfalls Mitglied des Expertenteams. Nun geht es um ein Modul
       rund um den bombastischen Thron des mächtigsten Herrschers seiner Zeit, des
       chinesischen Kaisers Qianlong – seine Regierungszeit gilt als Höhepunkt der
       Qing-Dynastie und ist als eines der „Goldenen Zeitalter“ Chinas verklärt
       worden.
       
       Amüsant ist es, den beiden dabei zuzuhören, wie sie von der Arroganz
       chinesischer Gelehrter berichten, mit der diese damals mehrheitlich auf
       kulturelle Importe aus Europa herabsahen. Zum Beispiel auf die Malerei: So
       schätzte man zwar die europäischen Künstler am chinesischen Hof, wie sie
       Illusionen schufen. Aber man belächelte auch, dass sie keinen Pinselstrich
       erkennen ließen. Bei der chinesischen Malerei geht es bis heute weniger um
       Realismus als darum, Emotionen darzustellen. Und diese drücken sich zentral
       im Pinselstrich aus.
       
       ## Kontexte als Segen
       
       Eigentlich bekommt man den Eindruck, es hätte Klaas Ruitenbeek völlig
       gereicht, wenn er es bei den wechselseitigen Einflüssen chinesischer Kunst
       in Deutschland und europäischer Kunst in China hätte belassen können.
       Vermutlich könnte er noch Stunden mit Wei Hu darüber sprechen – aber nun
       muss er ja mit seinen Ausstellungen ins Humboldt Forum, ins Zentrum des
       Interesses.
       
       Daher muss auch er mehr denn je sogenannte Fenster in seine Module hauen,
       Kontexte herstellen, die sich für ihn vielleicht als Segen erweisen. Es ist
       wenig bekannt, dass China im Europa des 18. Jahrhunderts als zivilisiert
       und kultiviert galt. Leibniz hielt China für ein „Europa des Ostens“,
       Voltaire für ein von aufgeklärten Beamten regiertes Utopia. Europäische
       Künstler wie Christian Bernhard Rode, die nie in China gewesen sind,
       träumten sich dieses Land auf ihren Bildern so zurecht, dass es bis heute
       von chinesischen Betrachtern oft gar nicht erkannt wird.
       
       Noch weniger geläufig ist vielen, dass Friedrich der Große in Brandenburg
       sechs Millionen Maulbeerbäume pflanzen ließ, um Seide zu produzieren. Das
       Problem, erzählt Ruitenbeek mit einem Augenzwinkern: Die Hände der
       Brandenburger Bauern waren zu grob für dieses feine Handwerk. Die
       Seidenproduktion starb mit dem Tod von Friedrich, 1786. Das großartige
       Preußen steht in dieser kleinen Anekdote angenehm tölpelhaft dar.
       
       Doch das Chinabild der Europäer wandelte sich im 19. Jahrhundert ebenso
       fundamental, wie weltweit der Kolonialismus eine neue Form der Brutalität
       annahm. Umso schöner, dass die Seidenproduktion in Preußen im Humboldt
       Forum ihren prominenten Platz erhalten wird.
       
       29 Jan 2018
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Susanne Messmer
       
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