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       # taz.de -- „Gesundheitsnotstand“ in Ungarn: Alles Augenwischerei
       
       > Das Parlament beendet die kritisierten Sondervollmachten von Premier
       > Orbán. Stattdessen kommt nun ein Gesetz zum „Gesundheitsnotstand“.
       
   IMG Bild: Den „Gesundheitsnotstand“ kann Orbán beliebig oft ohne Einbeziehung des Parlaments verlängern
       
       Wien taz | Ungarns Parlament hat am Dienstag die Regierung aufgerufen, den
       Coronanotstand zu beenden. Einstimmig. Unter dem Sonderregime konnte
       [1][Ministerpräsident Viktor Orbán] per Dekret regieren. Der Abstimmung
       hätte es gar nicht bedurft, denn über ein Ende des Notstandes kann der
       Premier im Alleingang entscheiden.
       
       In gleicher Sitzung beschlossen die Abgeordneten der nationalkonservativen
       Regierungskoalition allerdings ein neues Gesetz, das einen
       „Gesundheitsnotstand“ vorsieht. Diese Neuerung mussten die
       Koalitionsparteien mit ihrer Zweidrittelmehrheit gegen die geschlossene
       Opposition durchdrücken.
       
       Ungarn ist bisher glimpflich durch die Krise gekommen. Die prekäre
       Gesundheitsinfrastruktur geriet nicht an ihre Grenzen. Doch das Auftauchen
       eines größeren Infektionsclusters könnte Orbán veranlassen, den
       Gesundheitsnotstand zu verhängen.
       
       Dieser sieht unter anderem das Regieren per Dekret und die Suspendierung
       bürgerlicher Rechte vor. Auch die Armee kann verstärkt herangezogen werden.
       Schon jetzt wurde in Krankenhäusern ein Militärkommandant installiert und
       in „strategischen Industrien“ wachen Einsatzkommandos.
       
       ## Drolliges Angebot
       
       Ende Mai, als Orbán angedeutet hatte, der Notstand könnte demnächst
       aufgehoben werden, musste Gábor Nagy, Ungarns Botschafter in Wien, einen
       Brief an die akkreditierten deutschen und österreichischen Korrespondenten
       verschicken, in dem er den Journalisten die „Gelegenheit“ gab, sich für
       angeblich unfaire Berichterstattung über das Coronanotstandsregime zu
       entschuldigen.
       
       Die meisten Kollegen fanden das Angebot eher drollig. Auch Justizministerin
       Judit Varga machte ihrer Empörung über eine „beispiellose
       Desinformationskampagne der internationalen Medien über Facebook Luft. Nur
       dank der Maßnahmen sei es gelungen, „schnell effektive Maßnahmen zu
       ergreifen“ und „Tausende Leben zu retten“.
       
       Nicht überzeugen lässt sich Daniel Freund, Abgeordneter der deutschen
       Grünen im Europäischen Parlament: „Viktor Orbáns Beteuerung, den Notstand
       in Ungarn zu beenden, ist Augenwischerei. Er beendet einen Notstand und
       schafft gleichzeitig die Grundlage für einen neuen, der ihm weiterhin
       zeitlich unbegrenzt weitreichende Befugnisse erlaubt. Damit hält er die
       Europäische Union zum Narren.“
       
       Ähnlich sehen es drei Menschen- und Bürgerrechtsorganisationen in Ungarn,
       das Helsinki Komitee, Amnesty International und die Ungarische
       Bürgerrechtsunion. Sie sprechen von einer „Fata Morgana“, wenn der
       Gesundheitsnotstand in der vorgeschlagenen Form Gesetz wird.
       
       ## Verlängerung ohne Ende
       
       Anders als der bisherige Notstand ist der Gesundheitsnotstand zwar auf
       sechs Monate begrenzt, er kann aber beliebig oft ohne Einbeziehung des
       Parlaments verlängert werden. Formal muss die Landes-Amtsärztin die
       Regierung zur Ausrufung auffordern. Das wird kein Problem sein: Cecília
       Müller verdankt ihren Posten Viktor Orbán.
       
       Der Premier hält sich zugute, seine Vollmachten nicht ausgeschöpft zu
       haben. Doch ein neues Gesetz gegen Fake News stellt nicht nur die
       Verbreitung falscher Nachrichten unter Strafe, sondern verbietet auch die
       Veröffentlichung von Fakten, wenn damit „Panik erzeugt“ werden kann.
       
       Damit wurden die wenigen unabhängigen Medien eingeschüchtert. Zuletzt wurde
       ein Oppositionspolitiker verhaftet, weil er auf Facebook über die Anzahl an
       freien Betten in einem Krankenhaus berichtet hatte. Die Suspendierung von
       Parkgebühren während der [2][Krise] entzog außerdem den Stadtverwaltungen,
       von denen viele von der Opposition kontrolliert werden, wichtige Mittel.
       
       16 Jun 2020
       
       ## LINKS
       
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