URI: 
       # taz.de -- Gewalt in Israel: Raketen statt Feiern
       
       > Am Feiertagswochenende erlebt Israel eine Welle von Angriffen – von
       > verschiedenen Seiten. Die Reaktion folgte prompt. Geht die Eskalation
       > bald weiter?
       
   IMG Bild: Erhöhte Sicherheitsstufe: Als Auslöser der jüngsten Gewalt gilt der Sturm auf die Al-Aksa-Moschee
       
       Tel Aviv taz | Eines waren die Feiertage rund um Pessach, Ostern und
       Ramadan in Jerusalem sicher nicht: friedlich. Denn für die Israelis war
       [1][das Wochenende der Glaubensfeste vor allem von Angriffen geprägt]. Von
       verschiedenen Seiten noch dazu. Raketen aus dem Libanon, Syrien und Gaza.
       Dazu kamen Anschläge innerhalb Israels und im Westjordanland. Zwar schien
       sich die Lage am Sonntag und Montag zwischen Mittelmeer und Jordan wieder
       beruhigt zu haben. Und doch stellen sich viele die Frage: Geht die
       Eskalation bald schon weiter? Ist die nächste Gewaltwelle nur eine Frage
       der Zeit?
       
       Einer der zentralen Akteure der jüngsten Gewalt war einmal mehr die
       militante Organisation Hamas, die den Gazastreifen kontrolliert. Sie
       schossen wohl am Donnerstagnachmittag auch die 36 Raketen aus dem Libanon
       auf das nördliche Israel ab – mit schweigender Zustimmung der Hisbollah,
       dem militanten libanesischen Arm des Iran. Es war der schwerste Angriff aus
       dem Norden seit dem zweiten Libanonkrieg 2006.
       
       In der Nacht auf Sonntag folgten dann sechs Raketen von Syrien aus auf die
       Golanhöhen. Für Michael Milshtein, Leiter des Forums Palästinensische
       Studien an der Tel-Aviv-Universität, ist klar, dass die Raketen von einer
       schiitischen, dem Iran verbundenen Gruppe abgefeuert wurden. Dazu kamen
       zwei Anschläge am vergangenen Freitag, einer im Westjordanland, einer in
       Tel Aviv.
       
       Die vergangenen Tage haben vielen das Gefühl gegeben, dass Israel nicht nur
       in Sachen Demokratie gefährdet ist. Die innenpolitische Krise, spüren sie,
       hat Einfluss auf die Sicherheitssituation des Staates. Vor diesem Szenario
       warnen Sicherheitskreise seit Monaten. Nicht zuletzt der kurzzeitig von
       Netanjahu geschasste Verteidigungsminister Yoav Gallant: Die massive
       innenpolitische Krise würde die Sicherheit Israels beeinträchtigen, warnte
       dieser. Mit einem Mal scheint daraus Realität geworden zu sein.
       
       In den Augen von Experte Milshtein befindet sich Israel in einer extrem
       komplexen Welle des Eskalation. Sie findet an unterschiedlichen Orten
       statt, wird von unterschiedlichen Akteuren angeführt, die unterschiedliche
       Methoden anwenden. Als Auslöser des Raketenbeschusses gilt das gewalttätige
       Stürmen der Al-Aksa-Moschee durch die israelische Polizei vor knapp einer
       Woche. Die Bilder gingen um die Welt und riefen den Zorn der Palästinenser
       hervor.
       
       Und: Am Freitag schossen in der Nähe von Hamra palästinensische Attentäter
       auf ein vorbeifahrendes Auto und töteten dabei zwei Schwestern und
       verletzten die Mutter schwer. In Tel Aviv fuhr am selben Tag ein
       palästinensischer Israeli auf die Strandpromenade, tötete einen 35-jährigen
       italienischen Touristen und verletzte sieben weitere Tourist*innen. Die
       Familie des palästinensisch-israelischen Fahrers ist der festen
       Überzeugung, dass der Vorfall ein Unfall war.
       
       ## Israels rechte Regierung ist denkbar schlecht aufgestellt
       
       Die israelische Polizei hält den Vorfall weiterhin für einen Anschlag und
       leitete die Untersuchung an den israelischen Innengeheimdienst weiter.
       Mittlerweile räumte auch der Polizeichef Kobi Shabtai ein, dass das
       Vorgehen möglicherweise zu harsch gewesen sein mag. In seinen Augen sei das
       Eindringen in die Moschee allerdings notwendig gewesen, um gegen die
       Palästinenser*innen, die sich in der Moschee mit Waffen verbarrikadiert
       hätten, vorzugehen.
       
       Israels rechts-religiöse Regierung ist denkbar schlecht aufgestellt, um dem
       wachsenden Druck von mehreren Fronten zu begegnen. Das Sicherheitskabinett
       besteht zu großen Teilen aus religiösen Zionisten und Ultraorthodoxen, die
       weniger eine sicherheitspolitische Agenda fahren als vielmehr eine
       politische: Sie wollen ihre Wähler*innen mit einer harten Reaktion auf
       die Angriffe zufriedenstellen. Die Entscheidung von Ministerpräsident
       Benjamin Netanjahu fiel anders aus: Er rehabilitierte Verteidigungsminister
       Yoav Gallant vorerst und setzte auf den Rat des Militärs. [2][Israel flog
       Vergeltungsschläge], doch vermied größeren Schaden, der eine weitere
       Eskalation hervorgerufen hätte.
       
       Und doch: Das Vertrauen in die Netanjahu-Regierung befindet sich im freien
       Fall. Laut Umfragen würde die amtierende Regierungskoalition bei Neuwahlen
       von aktuell 64 Sitzen auf 46 fallen. Allein Netanjahus Likud-Partei würde
       12 Sitze verlieren. Zum Leidwesen vieler Israelis jedoch sieht es derzeit
       nicht nach Neuwahlen aus. Auch die Regierung kennt die Umfrageergebnisse
       und hat an solchen kein Interesse. Stattdessen könnte die Regierung, so
       fürchten viele Israelis, einen anderen Weg aus ihrer Krise suchen: Ein
       Krieg könnte von der innenpolitischen Krise und der Justizreform ablenken
       und außerdem die rechte Wählerschaft zufriedenstellen. Ob die Rechnung
       aufgeht? Zweifelhaft.
       
       Am Mittwoch endet das Pessachfest – und damit möglicherweise auch die
       relative Vorsicht, die die Polizei zuletzt in der Al-Aksa-Moschee an den
       Tag gelegt hat, um weitere Eskalationen zu vermeiden.
       
       10 Apr 2023
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Gewalteskalation-in-Nahost/!5923208
   DIR [2] /Gewalteskalation-in-Nahost/!5926870
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Judith Poppe
       
       ## TAGS
       
   DIR Schwerpunkt Nahost-Konflikt
   DIR Israel
   DIR Hamas
   DIR Hisbollah
   DIR Palästinenser
   DIR GNS
   DIR Israel
   DIR Jerusalem
   DIR Westjordanland
   DIR Westjordanland
   DIR Schwerpunkt Syrien
   DIR Schwerpunkt Nahost-Konflikt
   DIR Raketenabwehr
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Israelische Luftangriffe: 12 Tote im Gazastreifen
       
       Nach einer Woche Waffenruhe zwischen Israel und militanten Palästinensern
       sterben zwölf Personen, darunter drei Mitglieder einer Terrororganisation.
       
   DIR Proteste in Israel: 16. Woche in Folge
       
       Die Demonstrationen in Israel gegen die Justizreform dauern an – obwohl
       Ministerpräsident Netanjahu das Vorhaben vorläufig auf Eis gelegt hat.
       
   DIR Gewalteskalation in Nahost: Zwei Verletzte in Ostjerusalem
       
       Zwei Menschen sind durch Schüsse in Ostjerusalem verletzt worden. Laut
       israelischer Polizei besteht der Verdacht auf einen Terroranschlag.
       
   DIR Israels chaotische Sicherheitspolitik: Gefährlich für das Land
       
       Beim Versuch, seine Koalition zufrieden und seine Umfragewerte stabil zu
       halten, riskiert Netanjahu das Wichtigste: die Sicherheit seiner Bürger.
       
   DIR Nach Raketenbeschuss: Israels Armee greift in Syrien an
       
       Israel greift regelmäßig Ziele im benachbarten Bürgerkriegsland Syrien an.
       So nach eigenen Angaben der israelischen Armee auch in der Nacht zu
       Sonntag.
       
   DIR Gewalteskalation in Nahost: Raketen zu Pessach und im Ramadan
       
       In Israel eskaliert die Gewalt mit militanten Palästinensern. Beginn war am
       Tempelberg, doch könnte sich die umstrittene Justizreform noch auswirken.
       
   DIR Gewalteskalation in Nahost: Israel schießt zurück
       
       Nachdem nach israelischen Angaben die Hamas Raketen vom Südlibanon und
       Gazastreifen aus auf Israel abfeuerte, übt dessen Militär Vergeltung.