URI: 
       # taz.de -- Gleichstellung in der Politik: „Kacheln Sie jetzt!“
       
       > Mit der Kampagne #ParitätJetzt fordert ein Bündnis die
       > Wahlrechtskommission für einen kleineren Bundestag auf, eine Quote
       > mitzudenken.
       
   IMG Bild: Da muss man mal ran: Die Hälfte der Sitze im deutschen Bundestag soll künftig Frauen gehören
       
       In Offenbach können Frauen besser Politik machen als anderswo. Dort sind
       über 44 Prozent der Fraktionsspitzen, die Hälfte der Beigeordnetenposten
       sowie 50 Prozent der Ausschussvorsitzenden Frauen. Das ergab gerade ein
       [1][Vielfaltsranking in deutschen Großstädten], durchgeführt von der
       Heinrich-Böll-Stiftung und der FernUniversität Hagen. Im Bundestag sieht
       das Geschlechterverhältnis anders aus. Mit einem Anteil von nicht einmal 35
       Prozent sind Frauen gemäß ihres Anteils an der Gesamtbevölkerung
       unterrepräsentiert. In den meisten Landesparlamenten gibt es noch weniger
       Frauen.
       
       Dieser Missstand ist seit Jahren bekannt. In Brandenburg und Thüringen gab
       es daher Bestrebungen, ein Paritätsgesetz für Wahlen zu etablieren, unter
       anderem durch quotierte Listen. Die Versuche scheiterten allerdings aus
       juristischen Gründen. [2][In Niedersachsen, das im Oktober einen neuen
       Landtag wählt, hat Ministerpräsident Stephan Weil die Parität zur
       Chefsache] erklärt. „Wir müssen mit Bedauern, aber nüchtern feststellen,
       dass es ohne entsprechende Vorgaben nicht gelingt, dass Männer und Frauen
       in gleichem Maße in den Parlamenten vertreten sind“, hatte der
       SPD-Politiker im Januar 2019 mit Verve betont. Bei diesen Worten ist es
       jedoch geblieben.
       
       Jetzt wagt eine Initiative aus rund 40 überregionalen Organisationen einen
       weiteren Versuch. Der [3][Deutsche Frauenrat,] Gewerkschaften, die
       [4][Initiative HeForShe], der Landfrauenverband, UN Women Deutschland, das
       Bundesforum Männer, das [5][Berliner Netzwerk Parité] und andere starteten
       am Donnerstag die bundesweite Kampagne #ParitätJetzt. Die
       Aktivist:innen haben ein klares Ziel: [6][Die Hälfte der Sitze im
       Bundestag soll künftig Frauen gehören.]
       
       Das Vorhaben ist ambitioniert wie der Termin klug gewählt. In den kommenden
       Monaten soll die Reform zur Verschlankung des Bundestages beschlossen
       werden. Die zuständige Wahlrechtskommission soll dafür unter anderem
       „verfassungskonforme Vorschläge“ machen, wie die [7][gleichberechtigte
       Teilhabe von Frauen und Männern] realisiert werden kann, darunter
       Möglichkeiten bei der Kandidat:innenaufstellung. Die Wahlrechtskommission
       will über die Parität am 29. September sowie am 13. Oktober beraten.
       
       ## Gespaltene Kommission
       
       Eine „historische Chance“ nannte Helga Lukoschat, Vorsitzende der
       Europäischen Akademie für Frauen in Politik und Wirtschaft, dieses
       Zeitfenster. Da die Kommission selbst aber gespalten ist – die eine Hälfte
       der Mitglieder hält eine paritätische Kandidat:innenaufstellung für
       verfassungskonform, die andere Hälfte nicht – sei zu befürchten, so
       Lukoschat, dass die Parität bei den Verhandlungen keine echte Chance haben
       wird. Um das „demokratische Defizit“ auszugleichen, das nach den Worten der
       Juristin Christa Weigl-Schneider solange existiert, wie Parteien keine
       Geschlechterquote haben, wirbt das Bündnis um breite Unterstützung in der
       Bevölkerung: von Social Media-Aktionen über Text-Bild-Beiträge, sogenannte
       Kacheln, auf der Kampagnenseite [8][www.paritaetjetzt.de] bis hin zu
       Briefen an Bundestagsabgeordnete.
       
       Monika Schulz-Strelow, einst Präsidentin von FidAR (Frauen in die
       Aufsichtsräte) und aktuell Sprecherin des bundesweiten
       Gleichstellungsbündnisses „Berliner Erklärung“, sagte, dass die Kommission
       ihre Beratungsergebnisse nicht nur mit sich selbst diskutieren dürfe. Sie
       verwies auf EU-Länder, in denen Geschlechterquoten innerhalb von Parteien
       und diesbezügliche Wahlrechtsgesetze bereits gelten. „In Frankreich und
       Belgien ist ein Frauenanteil in den Parlamenten von 50 Prozent
       festgeschrieben“, sagte sie: „Jetzt haben sie 42 Prozent – und justieren
       nach.“ An die Bevölkerung appellierte sie: „Kacheln Sie jetzt!“ Damit ist
       natürlich nicht Brettern auf der Autobahn gemeint, sondern das Befüllen von
       Social Media-Kacheln mit Botschaften im Sinne der Parität.
       
       Es seien dezidiert auch Männer aufgefordert mitzumachen, sagte Thomas
       Altgeld, Vorsitzender des [9][Bundesforum Männer.] „Männer können durch
       Gleichberechtigung nicht verlieren, sondern nur gewinnen“, erklärte er:
       „Durch eine andere Form von Männlichkeit.“ Eine männlich dominierte Politik
       habe „uns Kriege und ökonomische und ökologische Krisen beschert.“ Das sei
       auch nicht im Sinne vieler Männer. Es gehe nicht um „Frauen gegen Männer“,
       auch nicht um „Alt gegen Jung“, sondern um „unsere gemeinsame Zukunft“.
       
       Die Kampagne läuft mehrere Wochen, das Bündnis will die Beratungen der
       Wahlrechtskommission kritisch begleiten.
       
       22 Sep 2022
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.boell.de/de/repraesentation-frauen-kommunalpolitik
   DIR [2] /Initiative-fuer-Paritaet-in-Niedersachsen/!5832377
   DIR [3] https://www.frauenrat.de/
   DIR [4] https://www.heforshe.org/en
   DIR [5] /Forderungskatalog-Berliner-Erklaerung/!5777679
   DIR [6] https://www.deutschlandfunkkultur.de/paritaetswahlgesetz-die-haelfte-des-bundestags-fuer-frauen-100.html
   DIR [7] /Frauen-in-Parlamenten/!5596921
   DIR [8] https://paritaetjetzt.de/
   DIR [9] /Offener-Brief-an-Familienministerin-Paus/!5861910
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Simone Schmollack
       
       ## TAGS
       
   DIR Parität
   DIR Bundestag
   DIR Quote
   DIR Kommission
   DIR Wahlrecht
   DIR Frauen
   DIR Männer
   DIR GNS
   DIR Paritätsgesetz
   DIR Parität
   DIR Energiekrise 
   DIR Parität
   DIR Schwerpunkt Bundestagswahl 2025
   DIR Feminismus
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Frauenanteil in Berlins Landespolitik: Wanted: Kulturwandel
       
       Seit der Wahl im Februar sitzen mehr Frauen im Abgeordnetenhaus. Eine
       Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung zeigt, was zu wirklicher Parität noch
       fehlt.
       
   DIR Reform des Wahlrechts: Parität ist ein Gebot der Zeit
       
       In den deutschen Parlamenten und Rathäusern sitzen eindeutig zu wenige
       Frauen. Und das liegt nicht an mangelnder Kompetenz
       
   DIR Entlastungspaket der Bundesregierung: Trickreich gerechnet
       
       Das dritte Entlastungspaket der Regierung stellt sich als Scheinriese
       heraus. Derweil verteidigt Christian Lindner seinen geplanten
       Inflationsausgleich.
       
   DIR Initiative für Parität in Niedersachsen: Mehr Frauen in den Landtag
       
       In Niedersachsen wollen Politikerinnen ein Paritätsgesetz auf den Weg
       bringen. In Thüringen und Brandenburg ist das bereits gescheitert.
       
   DIR Frauen in der Politik: Männer, die auf Handys starren
       
       Die politische Kultur bleibt männlich dominiert, bestätigt eine neue
       Studie. Aber die Autor:innen haben Ideen, wie die Parteien das ändern
       können.
       
   DIR Forderungskatalog „Berliner Erklärung“: Mehr Frauenquoten müssen her
       
       Verbände fordern die Parteien auf, für Geschlechtergerechtigkeit zu sorgen.
       Dafür brauche es klare Gesetze, mehr Geld und neue Ideen.