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       # taz.de -- Golf als Lebenshilfe: Sich mit dem Schläger schulen
       
       > Wer Golf spielt, kann viel über seinen Charakter erfahren. Läuft's mal
       > gar nicht auf dem Platz, läuft vielleicht auch im Leben etwas daneben.
       
   IMG Bild: Kraftvoll konzentriert: Hurly Long bei der Befreiung aus dem Bunker
       
       „Im Grunde ist Golf ganz einfach. Man nimmt einen Schläger, haut in die
       Erde, flucht und geht weiter.“ 
       
       So einfach und fatalistisch wie diese Branchenweisheit funktioniert das
       Spiel? Fast. [1][Golf ist natürlich mehr]. Golf lehrt Konzentration. Und
       Demut. Und das Verlieren. Man kann nichts zwingen. Wenn du meinst, du hast
       es raus, fehlt dir von Wolke sieben aus genau die eine Spur Kontemplation
       zum wirklich guten Schlag. Und er wird fatal misslingen. Anything goes –
       oft daneben.
       
       Aber Golf wohnt immer auch Trost inne: Auf einen schlechten Schlag folgt
       bald ein guter. Und leider auf einen guten sehr schnell ein sehr viel
       schlechterer. Besser ist man schon, wenn man den gleichen Fehler nicht mehr
       so oft macht. Golf ist buddhistische Gelassenheit auf dem Grün: Nicht du
       spielst Golf, sondern Golf spielt dich. Golf ist Meditation in Bewegung.
       Ständig ist eine Perfektion geboten, die nie gelingt, Golf ist eine
       permanente Erinnerung an die eigene Unzulänglichkeit. By the way:
       Intensivkurse heißen Golf Clinic. Schlechtes Spiel gilt also als Krankheit.
       
       Golf hält einem den Spiegel vor: Wenn du nicht im Swing mit dir bist,
       bekommst du auch keinen Golfschwung hin. Dann schiebst du den Ball auch aus
       kurzer Entfernung am Loch vorbei. Das funktioniert auch vice versa: Du
       findest auf dem Golfplatz zu deiner Mitte, kommst in den Flow – und
       vergisst über Stunden alles, was vorher nervend oder störend war. Danach
       stehen die Chancen gut, den Rest des Tages in Schwung zu sein.
       
       ## Überall Analogien
       
       Golf macht süchtig. Gut, das sagen viele über ihren Sport. Aber Golf ist
       nicht nur Droge, sondern auch Therapie. Golf ist sein eigenes süßes
       Gegengift, ein wohliges Lebenselixier, Charakterspiegel und
       Charakterschule. Nirgends sonst geht man so weite Wege für ein so winziges
       Ziel. Zehn Kilometer Weg für 18-mal einen Bierdeckel treffen. Lerneffekt:
       Mühe und Ausdauer lohnen. Nur beim Golf liegt das Ziel unter der
       Oberfläche. Analogien gibt es überall: Ständig Angst vor einem wichtigen
       Schlag, weil er schiefgehen könnte? Ich werde meinen Mut Neuem gegenüber
       hinterfragen müssen. Wer bockig aus tiefem Gras wütend den Ball
       herauszwingen will, kennt vielleicht auch im Leben seine Grenzen nicht.
       
       Immer die richtige Balance finden, das passende Maß. Das geht bis zur
       diplomierten Küchenpsychologie: Meine Annäherungsschläge zum Grün sind
       schlecht. Hab ich Kontaktschwierigkeiten, Probleme, mich anderen zu
       nähern? Der US-Psychologe Michael Murphy schreibt: „Was diese Disziplin
       an Anmut, Fingerspitzengefühl, Kraft und Wissen vermittelt, wirkt sich auch
       auf euer ganzes Leben aus.“ Und weiter: „Golf ist ein Mikrokosmos der
       Welt, eine Projektion all unserer Hoffnungen und Wünsche, eine Odyssee von
       Loch zu Loch, von Abenteuer zu Abenteuer. Mal komisch, mal tragisch – eine
       Bühne, auf der das Drama unserer Selbsterfahrung optimal in Szene gesetzt
       wird.“ Ist das nicht wunderbar?
       
       Na ja, neulich hatte ich den Ball so wunderbar profilike und nachgerade
       majestätisch aus gut 150 Metern über einen Teich gezaubert, er rollte sich
       glückstrunken noch etwas aus und lag, ja, optimal in Szene gesetzt, kaum
       mehr als einen Meter neben der Fahne. Euphorie, Glückwünsche der anderen.
       Ich kann es ja doch. Der Putt ging dann daneben. Wolke sieben – und
       abgestürzt. Zum Kotzen ist das. Scheiß Golf!
       
       Aus dem Abc der Vorurteile heute C wie Caddie: „Hast du auch so einen
       Sklaven als Tascheschlepper?“ Wahr ist: Alle Professionals haben solch
       einen (sehr gut bezahlten) Helfer. Aufgabe im Hochkonzentrationssport
       Profigolf ist (neben dem Taschetragen) das Course-Management, sie wirken
       als Tippgeber, Ansprechpartner, Nervenberuhiger. Hobbygolfer tragen oder
       schieben selbst. Das Wort Caddie ist abgeleitet vom französischen le cadet,
       was so viel heißt wie Kadett, Jüngster. Früher verdienten sich Kinder oft
       ein Taschengeld mit dem Taschetragen, [2][Bernhard Langer] kam so zum Golf.
       
       27 Dec 2019
       
       ## LINKS
       
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