URI: 
       # taz.de -- Grüne im Aufwind vor der Bayern-Wahl: Das Prinzip Rhabarber-Maß-Schorle
       
       > Vor der Landtagswahl schießen die Grünen in Bayern in ungeahnte Höhen.
       > Über Kruzifixe, Trampeltiere und einen Angstmann namens Seehofer.
       
   IMG Bild: Viele Dinge in Bayern haben sich verändert und die CSU hat Angst
       
       Am Ortsausgang von Miesbach im Oberland, da wo man im Auto Schwung nimmt
       Richtung Weyarn, Thalham oder Pienzenau, habe ich das sichere Gefühl
       bekommen, dass die CSU sich in eine Politik gegen die Mehrheit
       hineingesteigert hat. Es war Ende Juli.
       
       Noch drei Wochen vorher hatten Seehofer, Söder und Dobrindt die Kanzlerin
       angegriffen wie nie. Sie fabrizierten Bilder vom überforderten Deutschland,
       in dem entweder sie sich mit rigoroser Politik durchsetzen oder die AfD
       riesig wird, weil die Deutschen nicht mehr können vor lauter Fremden. Die
       CSU allein gegen Angela Merkel, gegen die Globalisierung und vor allem
       gegen die Flüchtlinge, so dramatisch, so ausweglos.
       
       Die Flüchtlinge standen jetzt hier am Ortsausgang von Miesbach mit Tüten
       vom Netto. Sie warteten dort, obwohl auf der Strecke nach Thalham zu ihrer
       Unterkunft kein Bus fährt. Aber, erzählte die Freundin, bei der wir zu
       Besuch waren: Die Flüchtlinge warten nie lang. Es nimmt sie zuverlässig
       jemand mit, am Straßenrand ist im Laufe der Zeit eine kleine Ausbuchtung
       entstanden, sie ist sogar aufgekiest, also mit Sand und Kies befestigt,
       damit man da bei Regen nicht im Dreck steht. Eine richtige Haltestelle, so
       pragmatisch, so einfach.
       
       Miesbach liegt am Alpenrand, südöstlich von München. Es ist die kleinste
       Kreisstadt in Oberbayern, und sie hat in Wolfgang Rzehak einen grünen
       Landrat. Eine Sensation ist das allerdings auch wieder nicht, Rzehak war
       erstens vorher Kassierer des Eishockeyvereins, ist zweitens Verwaltungswirt
       und trägt nun eben seine Halbe, also das Wegbier, den Haindlberg hoch zum
       Landratsamt.
       
       Die Grünen sind nämlich schon lange ziemlich verankert in Bayern. Nur ist
       das bisher alles im Rahmen geblieben. Jetzt, genau vor der bayerischen
       Landtagswahl am Sonntag, schießen sie in ungeahnte Höhen.
       
       In den vergangenen Jahren sind die Grünen in Bayern langsam gewachsen. Aus
       der rebellischen Aufbruchspartei, die Franz Josef Strauß und die Atomanlage
       von Wackersdorf bekämpfte, wurde eine freundliche Bewegung für Bio und
       Bürgerrechte. Ins schöne und wohlhabende Bayern ziehen viele Menschen aus
       anderen Teilen Deutschlands, die weder den Katechismus noch das
       CSU-Parteibuch vom Opa geerbt haben. Im Freistaat hat sich aber auch die
       Welt vieler Alteingesessener geändert, zum Beispiel in Bauernfamilien, die
       ökologisch anbauen oder Solarstrom erzeugen oder beides.
       
       ## Zack, bio, zisch
       
       Für die Energiewende wird zu wenig getan, sagen 61 Prozent der Bayern, das
       ergab dieses Jahr eine Studie. Sie wurde ausgerechnet im Auftrag der
       CSU-nahen Hanns-Seidel-Stiftung erstellt.
       
       Vielleicht sind es aber nicht bloß solche Daten, sondern sehr kleine Dinge,
       an denen man beobachten kann, wie sich die Dinge verändert haben. Als ich
       im Sommer auf der Durchreise in München Station mache, sitze ich mit einem
       Freund im Augustiner-Biergarten auf der Schwanthalerhöhe. Am Tisch
       gegenüber wuchtet ein Gast ein paar Maßkrüge auf den Tisch. In einem der
       Krüge ist aber kein Bier. Darin steckt kopfüber eine Flasche mit
       Rhabarberschorle. Das Trendgetränk der urbanen Mittelschichtler im
       bayerischsten aller Gefäße.
       
       Prinzip Maßschorle: Man steckt das Frische ins Traditionelle, das Neue ins
       Alte. Zack, bio, zisch.
       
       Seit dem Aufstieg der rosa Schorle in Deutschland sind die Anbauflächen vom
       Rhabarber größer geworden, und so ist das auch mit den Grünen. Die Partei
       selbst würde es sicher nachhaltiges Wachstum nennen. Die CSU hielt es schon
       lange für gefährlich. „Soll ich darauf warten, dass es 25 Prozent werden?“,
       fragte der damalige Generalsekretär 2013 angriffslustig. Er hieß Alexander
       Dobrindt. Im Wahlkampf attackierte er die Grünen brutal, klebte ihnen den
       Ruf an, eine Pädosexuellen-Partei zu sein, und putschte die Empörung über
       den Veggieday auf. Es klappte. Dobrindts Kampagne demoralisierte die Grünen
       und verschreckte viele Wähler.
       
       Um das Grünen-Wachstum über Jahre zu dämpfen, brauchte es aber Horst
       Seehofer. Seine Zynismen, Eskapaden und Ekelhaftigkeiten sind ja eher neu.
       Für CSU-Verhältnisse war er lange liberal und sozial, ein Landesvater des
       Weihenstephan-Wiesenbutter-Bayern. Unter dem weißblauen Himmel des
       Ministerpräsidenten hatten alle Platz, von Ilse Aigner bis Gerhard Polt. In
       Berlin ließ er seine Autominister machen. Aber wenn es sein musste, war er
       zur Natur so sanft wie der Donauausbau ohne Staustufe. Stellenweise wirkte
       es wie eine schwarz-grüne Regierung, die die Grünen nicht brauchte.
       
       ## Der Angstmann
       
       Seit 2015 ist es anders. Alle reden ja ständig davon, dass sich seit dem
       Wir-schaffen-das-Herbst jenes Jahres Angela Merkel verändert habe. Aber wer
       sich auch verändert hat, ist Seehofer. Er hat Angst: vor der AfD, vor
       Markus Söder, vor dem Absturz. Darum macht er Angst: vor der AfD, vor
       Angela Merkel, vor den Flüchtlingen. Seehofer ist ein Angstmann geworden.
       Einiges vom aktuellen Elend der deutschen Politik hat darin seine Ursache.
       Und auch einiges – aber längst nicht alles – vom Glück der Grünen:
       
       1. Seehofer ist noch CSU-Chef und leider auch Bundesinnenminister, aber
       nicht mehr Ministerpräsident. In diesem Amt löste den Angstmann ein Trampel
       ab. Der Trampel hieß Markus Söder, er wollte Seehofers Getöse überbieten,
       er polterte über die Bühne. Er ließ Kruzifixe in Amtsstuben hängen, das ist
       so ein bisschen, als verbiete man es, in Maßkrüge etwas anderes zu füllen
       als kühles Augustiner.
       
       Er erließ ein überzogenes Polizeigesetz. Das Kruzifix in der einen, den
       Knüppel in der anderen Hand, beendete der Trampel noch den
       Multilateralismus, bevor ihm jemand miese Umfragen hereinreichte,
       deretwegen er beschloss, doch lieber Staatsmann zu spielen. Bisschen spät.
       
       2. Seehofer erschöpft Merkel, Merkel erschöpft Seehofer, die beiden
       erschöpfen Andrea Nahles und ihre SPD. Wenn sie einen Gestaltungsanspruch
       haben, dann verschwindet der hinter dem Eindruck, dass sie sich alle mal
       ausschlafen sollten. Die Koalition taktiert sich kirre.
       
       Da haben es die Grünen sehr leicht, zu vermitteln, dass sie real etwas
       bewirken wollen. In Bayern wie im Bund treten sie mit frischen Spitzenduos
       auf, die jeweils ihr Teamplay gegen den Dauerdissens der Koalitionäre, aber
       auch der Linkspartei stellen. Katharina Schulze und Ludwig Hartmann in
       Bayern, Annalena Baerbock und Robert Habeck im Bund.
       
       3. Der Kontrast der Sprache ist stark. Baerbock und Habeck sprechen in
       Verben. Streiten, debattieren, ändern, planen, reformieren, gewinnen. Die
       CSU prägt Begriffe. Anti-Abschiebe-Industrie, Asyltourismus. Masterplan.
       Wenn’s glimpflich läuft: Ordnung. Verben sind lebendig, das Vokabular der
       CSU ist dagegen eine Ansammlung klotziger Hauptwörter für noch klotzigere
       Hauptleute.
       
       4. Der bayerische Grüne Ludwig Hartmann hat ein sperriges Substantiv: den
       Flächenverbrauch. Den er aber mit Verben erklärt: Bayern wird zubetoniert,
       die Natur zersiedelt, der Ortskern zugebaut, die Heimat mit Beton
       überspült. Hartmann verspricht, das alles einzudämmen. Vor lauter Heimat
       weiß man bei ihm gar nicht mehr, ob das noch die Rhabarberschorle ist oder
       doch eher ein alter irdener Maßkrug.
       
       [1][Die Grünen stehen in Umfragen bei 18 Prozent.] Die SPD zwischen 10 und
       12. Man könnte sagen: Um die 30 Prozent, das ist halt auch das, was
       Rot-Grün in Bayern eben immer zusammen bekommen hat.
       
       Aber vor und nach einer Wahl sind nicht nur die Werte wichtig. Neben Mathe
       braucht man das Momentum. Das Momentum liegt nicht beim Verlierer, nicht
       beim Trampel und erst recht nicht beim Angstmann. Wenn die CSU so
       abrauscht, wie die Prognosen es sagen, dann könnten sich die Grünen in
       Bayern nicht nur an einer Regierung beteiligen. Sie könnten sie definieren.
       
       11 Oct 2018
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Landtagswahlen-in-Bayern/!5542410
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Georg Löwisch
       
       ## TAGS
       
   DIR Schwerpunkt Landtagswahl Bayern
   DIR Grüne Bayern
   DIR Bayernwahl
   DIR Bayern
   DIR Bayern
   DIR Annalena Baerbock
   DIR Schwerpunkt Landtagswahl Bayern
   DIR Bayern
   DIR Schwerpunkt Landtagswahl Bayern
   DIR Schwerpunkt Landtagswahl Bayern
   DIR Schwerpunkt Landtagswahlen
   DIR Bayernwahl
   DIR Schwerpunkt Landtagswahl Bayern
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Miesbacher Sparkassen-Affäre: Thermobett für den Hund
       
       In der Miesbacher Sparkassen-Affäre verwöhnten sich ein Direktor und ein
       Landrat auf Kosten des Geldinstituts mit dem, was man so unter Luxus
       versteht.
       
   DIR Grüne bei der Bayernwahl: Höhenwind bläst Grüne auf Platz 2
       
       Die Grünen bejubeln einen Sieg, den sie „historisch“ nennen. Doch ob sie
       auch an die Macht kommen, ist äußerst zweifelhaft.
       
   DIR Ergebnis der bayerischen Landtagswahl: Es ist kompliziert
       
       CSU und SPD verlieren, Grüne und AfD gewinnen. Für Schwarz-Grün reicht das
       Ergebnis wohl, für eine Mitte-rechts-Koalition vielleicht auch.
       
   DIR Kabarettist Helmut Schleich über CSU: „Die Messer sind schon aufgeklappt“
       
       Der Münchner Kabarettist Helmut Schleich erwartet nach der Bayern-Wahl ein
       Gemetzel in der CSU – und wünscht sich inzwischen schon Strauß zurück.
       
   DIR Glossar zur Bayernwahl: Wer san mia?
       
       Söder sei Dank wissen die Bayern, wo sie ihre Kreuze aufhängen müssen. Aber
       wo sollen sie sie machen? 17 Fakten zu einem historischen Tag.
       
   DIR Kolumne Die eine Frage: Die unpopulistischste Partei
       
       Woran liegt der Aufschwung der Grünen? Gängige Erklärungen verweisen auf
       den Hitzesommer, Dirndl oder Anstand. Drei alternative Gründe.
       
   DIR Vor der Landtagswahl in Bayern: Der sich selbst am nächsten ist
       
       Markus Söder predigt Respekt, doch der soll nur ihm gelten. Er überschüttet
       das Volk mit Geschenken, das aber reserviert reagiert.
       
   DIR Die Wahrheit: Vom Futur zwei zum Plusquamperfekt
       
       Die CSU steht bei der Bayernwahl womöglich vor einer krachenden Niederlage.
       Ist daran ursächlich der urzeitliche Ichthyostega schuld?
       
   DIR Landtagswahlen in Bayern: Die CSU im freien Fall
       
       Mit dem christsozialen Credo dürfte es im Freistaat bald vorbei sein. Allen
       Umfragen zufolge verliert die CSU an Wählerstimmen. Eine schmerzhafte Zäsur
       steht bevor.