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       # taz.de -- Grüner Politiker über Straßenneubau: „Wir wollen auf die Bremse treten“
       
       > Deutschland hat genug Straßen, sagt der grüne Bundestagsabgeordnete
       > Matthias Gastel. Alle Projekte sollen auf Klimaverträglichkeit überprüft
       > werden.
       
   IMG Bild: Holdorf in Niedersachen: Hier soll der sechsspurige Ausbau der Autobahn A1 umgesetzt werden
       
       taz: Herr Gastel, die Grünen-Spitze hat im Zuge der Proteste gegen die A49
       und für den Erhalt des Dannenröder Forsts ein Moratorium für den Neubau von
       Autobahnen und Bundesstraßen gefordert, also einen vorläufigen Stopp dieser
       Projekte. Der Begriff taucht im Programm zur Bundestagswahl nicht auf. 
       
       Matthias Gastel: Aus gutem Grund. Der Begriff ist unpräzise. Wir sagen viel
       konkreter, was wir wollen: Wir wollen alle noch nicht im Bau befindlichen
       Straßenbauprojekte auf den umwelt- und klimapolitischen Prüfstand stellen
       und die Notwendigkeit überprüfen. Wir wollen auf die Bremse treten.
       Deutschland hat keinen Mangel an Straßen, von wenigen Lücken abgesehen.
       Jedes Haus ist mit einer Straße erschlossen. Aber sehr viele Menschen haben
       keinen Bahnanschluss.
       
       Der Bundesverkehrswegeplan, dessen Projekte Sie überprüfen wollen, wurde
       auch von Bundesländern mit grüner Regierungsbeteiligung vorbereitet. Haben
       die Grünen das Problem Straßenbau nicht gesehen? 
       
       Das Dilemma mit dem Bundesverkehrswegeplan zeigt das Beispiel
       Baden-Württemberg: Das Land hat Straßen angemeldet und vorher deren
       Sinnhaftigkeit geprüft. Doch hat der Bund für Baden-Württemberg Straßen in
       den Bundesverkehrswegeplan aufgenommen, die das Land überhaupt nicht
       wollte. Gleichzeitig hat die Landesregierung den Ausbau von Schienenwegen
       beantragt. Das ist größtenteils abgelehnt worden.
       
       Der Bund plant mehr Straßen und deutlich weniger Schienenwege als von den
       Ländern angemeldet wurden. Im Jahr 2020 haben wir in Deutschland 124
       Kilometer neue Fahrspuren an Bundesstraßen und Bundesautobahnen bekommen
       und keinen Kilometer neue Schienenwege. Das ist in den Vorjahren nicht
       wesentlich anders gewesen.
       
       Wie soll der Bundesverkehrswegeplan ersetzt werden? 
       
       Im Bau befindliche Projekte sollen weitergehen. Gleichzeitig bringen wir
       ein ganz neues Verfahren von Infrastrukturplanung, nämlich eine
       Bundesnetzplanung, auf den Weg. Das bedeutet, dass Verkehrsträger
       zusammengedacht werden, und dass bei jeder Planung Verkehrsverlagerungs-
       und Klimaziele, der Flächenverbrauch und gesundheitliche Aspekte zu Grunde
       gelegt werden.
       
       Bei mir in der Region gibt es Orte mit Umgehungsstraßen, die täglich zu
       Staus führen, und die alte Verkehrsmenge innerorts ist geblieben. Genau das
       darf nicht passieren. Bevor eine Straße geplant wird, müssen Alternativen
       geprüft werden. Das kann eine temporäre Seitenstreifenfreigabe, der Ausbau
       einer Bahnstrecke oder ein dichterer Takt im ÖPNV sein.
       
       Das dauert. Die Straßen sind schon hoffnungslos verstopft. Was kann schnell
       passieren? 
       
       Wir werden auch die Sanierung stärken, da wir bei Straßen und Brücken einen
       immensen Bedarf haben. Im Straßenneubau sehen wir jedoch meist keine
       Lösung. Deswegen setzen wir auf den Bahnausbau. Dazu gehören viele
       Kleinmaßnahmen, die sich in drei bis fünf Jahren umsetzen lassen. Die
       Verkürzung von Abständen, in denen Züge fahren, kann schnell erfolgen. Das
       geschieht aber nicht, weil es dafür keine Finanzierung gibt.
       
       Es gibt Investitionsgelder für Ersatz, also für kaputte Dinge, und für Aus-
       und Neubau, doch für kleine Maßnahmen nicht. Für derartige Vorhaben werden
       wir einen eigenen Haushaltstitel schaffen und die Mittel dafür schnell
       bereitstellen. Dann haben wir an vielen Strecken innerhalb von wenigen
       Jahren mehr Kapazität. Wir erhöhen die Angebote und leisten damit einen
       Beitrag, den Straßenverkehr zu reduzieren.
       
       Wollen das nicht alle? Die Regierung stellt Milliarden für den Bahnausbau
       zur Verfügung. 
       
       Das sind Lippenbekenntnisse, bei den Taten sieht es anders aus. Wir haben
       im laufenden Jahr 1,6 Milliarden für Aus- und Neubau der Schienenwege und
       doppelt so viel für den Aus- und Neubau von Straßen. Wir setzen auf
       Umschichtungen, wir wollen bisherige Straßenmittel zu Gunsten des Aus- und
       Neubaus der Schienenwege umschichten.
       
       Auch die Union will ab dem nächsten Jahr mehr Geld für die Schiene ausgeben
       als für die Straße. 
       
       Bei der Bahn werden offenbar alle möglichen Leistungen, auch Einmaleffekte
       wie die Eigenkapitalerhöhung wegen der Coronakrise, eingerechnet. Bei der
       Straße fehlt aber, was über Öffentlich-Private Partnerschaften finanziert
       wird.
       
       Mit wem wollen Sie weniger Straßenbau durchsetzen? Union und SPD setzen
       nach wie vor aufs Auto. 
       
       Das stimmt. In Sachen Straßenbau sind das Betonparteien. [1][Aber die
       gesellschaftliche Akzeptanz für Straßenbau sinkt.] Wir Grüne werden von
       immer größer werdenden Teilen der Gesellschaft unterstützt, auf die Schiene
       zu setzen.
       
       Sie setzen auf gesellschaftlichen Druck? 
       
       Ja. Die A49 und die [2][Proteste für den Erhalt des Dannenröder Forstes]
       sind nicht das einzige Beispiel. In vielen Wahlkreisen gibt es
       Straßenbauprojekte, die noch vor kurzem kaum jemanden interessiert haben,
       an denen jetzt Kritik und Zweifel geweckt werden.
       
       Robert Habeck hat vor einiger Zeit gesagt, Tempo 130 auf Autobahnen ist
       eine Voraussetzung für eine grüne Regierungsbeteiligung. Steht das noch? 
       
       Ich kann mir keinen Koalitionsvertrag vorstellen, der nicht Tempo 130
       vorsieht. Als Schwabe bin ich davon begeistert: Das kostet nichts, lässt
       sich schnell umsetzen, ist ein erheblicher Beitrag zur Verkehrssicherheit,
       aber auch zur Reduzierung von Treibhausgasen und Lärm.
       
       28 Jun 2021
       
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