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       # taz.de -- Grundsatzurteil zu Haushalt: Fettes Minus für den Klimaschutz
       
       > 60 Milliarden Euro ungenutzter Coronagelder wurden in den Klimafonds
       > verschoben. Das Bundesverfassungsgericht erklärt das für rechtswidrig.
       
   IMG Bild: Um 60 Milliarden ärmer: Die Klimapolitik von Kanzler Scholz und seinen Stellvertretern Habeck und Lindner
       
       Berlin taz Selten ging Geldvernichtung so fix: „Die 60 Milliarden Euro an
       Kreditermächtigungen werden gelöscht.“ Bundesfinanzminister Christian
       Lindner (FDP) hat nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu den im
       [1][Klima- und Transformationsfonds enthaltenen Coronageldern] selbige
       kurzerhand gestrichen – und eine Ausgabensperre für den Fonds verhängt. Nur
       eineinhalb Stunden lagen zwischen dem Gerichtsurteil und der Ankündigung
       des Finanzministers.
       
       Neben Lindner standen am Mittwoch ein grimmig dreinblickender Robert Habeck
       (Grüne) und ein fast gelöst wirkender Kanzler Olaf Scholz (SPD). Er und die
       beiden Vizekanzler waren am Mittwoch kurzfristig im Bundeskanzleramt
       zusammen vor die Presse getreten. Demonstrative Dreieinigkeit nach einem
       Grundsatzurteil – welches das Potenzial hat, die Ampel und die
       Staatsausgaben zu sprengen.
       
       Das Verfassungsgericht hatte konkret entschieden, dass der Bund für die
       Bewältigung der Coronakrise gedachte Kreditermächtigungen in Höhe von 60
       Milliarden Euro nicht in den Klima- und Transformationsfonds, kurz KTF,
       verschieben darf. Geklagt hatte die Union. Durch das Urteil bricht mehr als
       ein Viertel der Mittel im Klimafonds weg. Erst im August hatte die
       Bundesregierung den bis 2027 laufenden Wirtschaftsplan vorgelegt – die
       Klage der Union ignorierte sie.
       
       Aus dem KTF sollten bisher einschließlich der 60 Milliarden Euro aus den
       Coronahilfen Ausgaben in Höhe von 212 Milliarden Euro betritten werden. Der
       Fonds wies allerdings von Anfang an eine Finanzierungslücke von 7,6
       Milliarden Euro auf. Eine Lücke, die nun zum Loch wird.
       
       Unmittelbare Auswirkungen für den [2][auf Kante genähten Bundeshaushalt],
       der diese Woche abschließend beraten werden soll, sieht Scholz zwar nicht.
       „Der Deutsche Bundestag wird seine Beratungen für den Haushalt wie geplant
       fortsetzen.“ Darauf hätten sich die Ampelfraktionen verständigt.
       
       Ob oder wie das Loch im KTF geschlossen wird, ist jedoch offen. Scholz
       kündigte an, dass der Wirtschaftsplan für den Fonds im Lichte des Urteils
       zügig überarbeitet werde.
       
       Der KTF ist ein zentrales Instrument der Bundesregierung für den
       sozial-ökologischen Umbau von Wirtschaft und Gesellschaft. Er ist als
       Sondervermögen des Bundes angelegt. Gefüllt wird er mit Einnahmen aus dem
       CO2-Preis, der zum 1. Januar 2024 auf 40 Euro und 2025 auf 50 Euro pro
       Tonne steigen soll.
       
       Mit dem Geld aus dem Fonds sollen sowohl die steigenden Kosten für Sprit
       und Heizen für die Verbraucher:innen gedämpft als auch Projekte für den
       klimaneutralen Umbau der Wirtschaft finanziert werden. Viele davon haben
       mit Klimaschutz nur sehr entfernt zu tun. Etwa die Förderung der
       Intel-Chipfabrik in Magdeburg oder Gelder für die Halbleiterfabrik der
       taiwanischen TSMC in Dresden.
       
       Für 2024 sah der bisherige Wirtschaftsplan Ausgaben von knapp 58 Milliarden
       Euro vor. Davon sollten 18,8 Milliarden Euro in Maßnahmen für eine bessere
       Energieeffizienz von Gebäuden fließen. „Alle zugesagten Verpflichtungen
       werden eingehalten“, sagte Habeck. Das gelte etwa für die Förderung der
       Energieeffizienz und für erneuerbare Energien im Gebäudebereich.
       
       Darüber hinaus ist aber unklar, ob die Intelmilliarden, der
       Industriestrompreis oder das Geld für den Ausbau der Bahn und für die
       Ladeinfrastruktur für E-Autos wie geplant kommen. Entsprechende Nachfragen
       konnte die Bundesregierung am Mittwoch nicht beantworten.
       
       Scholz und sein Finanzminister Lindner glauben außerdem, dass das Urteil
       „weitgehende Auswirkungen auf die Staatspraxis und die Haushaltspolitik von
       allen Ländern haben wird“. Spannend wird sein, wie genau finanzpolitische
       Spielräume in Zukunft interpretiert werden.
       
       Die Linke fordert mit Blick auf das Karlsruher Urteil die Aufhebung der
       Schuldenbremse. „Diese finanzpolitischen Verrenkungen waren nur nötig, weil
       Union, SPD, Grüne und FDP die Schuldenbremse ins Grundgesetz geschrieben
       haben und damit Investitionen ausgebremst haben“, sagte die
       Parteivorsitzende Janine Wissler. Aber auch die SPD sieht die
       Schuldenbremse inzwischen als „Investitionsbremse“ und will sie zumindest
       reformieren.
       
       ## Viele Länder haben Sonderfonds
       
       Der Bremer Ökonom Rudolf Hickel fordert eine Aufhebung der Schuldenbremse
       in Bund und Ländern. Viele Länder haben Sonderfonds eingerichtet. Die
       Entscheidung der Richter:innen sei „eine Aufforderung an den Bund und
       die Länder, die Schuldenbremse in der Verfassung durch das Instrumentarium
       der öffentlichen Kreditaufnahme für Zukunftsinvestitionen“ zu erweitern.
       
       Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts sei schlecht für die
       deutsche Wirtschaft, meint Sebastian Dullien, Direktor des Instituts für
       Makroökonomie und Konjunkturforschung der gewerkschaftsnahen
       Hans-Böckler-Stiftung. „Es fehlen jetzt für geplante, sinnvolle und
       wichtige Ausgaben in den kommenden Jahren 60 Milliarden Euro.“ Er warnte
       davor, Maßnahmen zum Klimaschutz einzudampfen. „Dann verfehlt Deutschland
       entweder die Klimaziele massiv oder es kommt zu massiven Schäden an der
       Wirtschaftsstruktur, der Hilfen zur Transformation fehlen“, sagte er.
       
       Auch Umweltverbände befürchten, dass die Finanzierung für den Klimaschutz
       wegbrechen könnte. Martin Kaiser, Vorstand von Greenpeace Deutschland,
       spricht von einem Rückschlag für den Klimaschutz. „Nun rächt sich, dass die
       Ampel den klimaneutralen Umbau der Wirtschaft von Anfang an mit
       finanzpolitischen Taschenspielertricks bezahlen wollte.“ Bundeskanzler
       Scholz müsse seine Richtlinienkompetenz und den gesamten
       haushaltspolitischen Spielraum nutzen, um Bürger:innen auf dem Weg in
       die Klimaneutralität finanziell zu unterstützen.
       
       15 Nov 2023
       
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