URI: 
       # taz.de -- Haasenburg-Prozess: Erziehungsarbeit mit Hämatomen
       
       > Nach der Schließung der Haasenburg-Heime ist es nun zum Prozess wegen
       > Körperverletzung gekommen. Ein Erzieher wurde freigesprochen.
       
   IMG Bild: Der 27-jährige Angeklagte Dirk Sch. im Gerichtssaal.
       
       LÜBBEN taz | Im zweiten Prozess vor dem Amtsgericht Lübben gegen ehemalige
       Mitarbeiter der Haasenburg GmbH konnte dem Angeklagten Dirk Sch. nicht
       nachgewiesen werden, den heute 18-jährigen S. bei einer
       „Anti-Agressionsmaßnahme“ mit dem Ellbogen niedergeschlagen zu haben. Es
       kam zum Freispruch.
       
       Richter Rainer Röhrig ließ sich nach dem Prozess zu der Bewertung
       hinreißen, er habe von dem Opfer, dem schüchtern wirkenden S., „keinen
       einzigen brauchbaren Satz“ gehört, obschon durchaus Interessantes zu
       vernehmen war. Doch warum kam es dann zu diesem Prozess?
       
       Beobachter stellten vor allem Staatsanwältin Jessica Hansen ein schlechtes
       Zeugnis aus. Eine Beobachterin sprach von „schlampiger Arbeit“. Hansen war
       es trotz langen Ermittlungen nicht einmal gelungen, ihren
       Hauptbelastungszeugen S. dazu zu bringen, dass er seine erste Aussagen von
       vor einem Jahr erneut im Gericht wiederholt. Offenbar hatte die Ermittlerin
       mit dem Jungen gar nicht mehr gesprochen. Dieser gab an, von dem Prozess
       aus der Presse erfahren zu haben.
       
       S. hatte in seiner ersten Vernehmung den Erzieher so schlüssig belastet,
       dass die Staatsanwältin genügend Anhaltspunkte darin für einen Prozess
       erkannt hatte. Im Kontrast dazu verstieg sich Richter Röhrig später zu der
       rhetorischen Frage, ob es sich bei S. überhaupt „um einen Geschädigten“
       handeln würde. Dem Angeklagten konnten schließlich keine Schläge mit dem
       Ellbogen nachgewiesen werden. Zudem wirke der Hauptbelastungszeuge
       sichtlich fahrig.
       
       ## Blutungen am Ohr
       
       Dabei hatte der Richter nur zuvor aus einem ärztlichen Protokoll zitiert,
       das den Besuch von S. in der Notaufnahme in Lübben nach dem Vorfall in der
       Haasenburg GmbH dokumentiert. Dort waren Blutungen im Ohr und eine
       Handprellung diagnostiziert worden. Offenbar keine Schädigung nach Lesart
       des Richters. Schon vor Prozessbeginn hatte das Amtsgericht Lübben in einer
       Pressemeldung angekündigt, die Anti-Aggressionsmaßnahme sei „infolge des
       vorherigen Verhalten des Jugendlichen notwendig gewesen“. Das ließ
       aufhorchen.
       
       Denn genau die Legitimität dieser Maßnahmen wird von den Fachleuten der
       Expertenkommission, die die Vorgänge in der Haasenburg untersuchten, in
       Abrede gestellt. Das dokumentieren sie in ihren Empfehlungen, die für das
       damalige Potsdamer Bildungsministerium als Grundlage dienten, dem
       fragwürdigen Betreiber der Haasenburg GmbH die Betriebsgenehmigung zu
       entziehen. Auch das Verwaltungsgericht Cottbus, das im Januar 2014 die
       Heim-Schließung bestätigte, formulierte „Anti-Aggressionsmaßnahmen“
       stellten „kein zulässiges Erziehungsmittel und Regelinstrument der
       Grenzsetzung dar“.
       
       Das Gericht bezog sich auf den Bericht der Untersuchungskommission. Dieser
       lagen Zeugenaussagen vor, die es als „gesichert“ erscheinen ließen, dass
       Anti-Aggressionsmaßnahmen von Betreuern „auch mitprovoziert wurden und dass
       dabei Bestrafungsabsichten für Verweigerungen wirksam wurden“. Ebenso könne
       der Eindruck entstehen, dass sie auch als „pädagogisches Mittel etwa zur
       Durchsetzung von Regeln eingesetzt wurden.“
       
       ## Vier äußerst kräftige Haasenburg-Mitarbeiter
       
       Davon jedoch weiß Richter Röhrig wenig: Hämatome, Blutungen am Ohr eines
       16-Jährigen, verursacht von vier äußerst kräftigen Haasenburg-Mitarbeitern,
       hält der Richter womöglich für hinnehmbare Folgen der Erziehung. Nach den
       Einlassungen von S. attestierte der Richter dem Jungen gar einen
       „problematischen Intellekt“.
       
       Zusammenfassend schilderte der Jugendliche den Vorfall so: Er sei in seinem
       Zimmer gewesen und war wütend, weil er nicht auf die Toilette durfte. Er
       habe die Fäuste geballt und bis zehn gezählt, weil das eine Übung seines
       früheren Anti-Aggressionstrainers gewesen sei, um sich zu beruhigen. Doch
       Erzieher K. habe das als Aggression gedeutet und Alarm ausgelöst. Dann sei
       ein kräftiger Erzieher von hinten gekommen und er habe einen Schlag am Kopf
       gesprüht. Er habe keine Faust, sondern Stoff gespürt. Dann sei er „kurz
       weg" gewesen und habe sich auf dem Boden in der Begrenzung wieder gefunden.
       Er habe in der Lippe und aus der Nase geblutet. Es habe nur einen kräftig
       gebauten Erzieher in der Gruppe gegeben, nämlich Sch.
       
       Doch diese Verletzungen, gab der Richter später an, würden sich nicht in
       dem ärztlich Attest des Krankenhauses finden. Auf die Nachfrage der taz, ob
       Staatsanwältin Jessica Hansen den Notarzt befragt habe, der S. untersucht
       haben muss, gab sie keinen Kommentar ab.
       
       ## Arme umgedreht, Beine gekreuzt
       
       Als Zeugen waren auch drei ehemalige Erzieher der Haasenburg-GmbH geladen.
       Zwei von ihnen gaben Erinnerungslücken an. Deren Aussagen wiesen nach
       Meinung des Richters wie auch der Staatsanwältin „auffällige
       Ähnlichkeiten“. Deutlich wurde auch, dass sie die Art und Weise der
       Anti-Agressionsmaßnahmen bestätigten. Um S. zu „beruhigen“, wie der
       Angeklagte erklärte, wurden dessen Arme von zwei Leuten umgedreht, dann
       wurde er „sanft auf den Boden gelegt“. Dabei hielt einer den Kopf, einer
       kreuzte die Beine in Richtung Rücken und zwei hielten die Hände.
       
       Und nun stellt das Amtsgericht Lübben schon vor Beginn der Verhandlung
       klar, dass die Maßnahmen, innerhalb derer ein Junge ins Gesicht geschlagen
       wurde, „notwendig“ war. Schon bei dem ersten Prozess im Januar, bei dem es
       um sexuellen Missbrauch von Schutzbefohlenen ging, hatte das Gericht den
       Sachverhalt mit dem Hinweis auf eine „Liebesbeziehung“ zwischen einem
       Erzieher und Mädchen bagatellisiert, das in dem Heim geschlossen
       untergebracht war.
       
       Anders als Richter Röhrig kamen die Verwaltungsrichter in Cottbus bei ihrem
       Urteil, das die Schließung der Einrichtung bestätigte, zu dem Ergebnis,
       dass die ihnen vorliegenden Protokolle den Eindruck entstehen ließen, das
       Anti-Aggressionsmssnahmen „als Mittel Grenzsetzung, Machtausübung und
       Unterwerfung missbraucht wurden“. Die Entgegnung der Haasenburg GmbH, diese
       Maßnahmen so respektvoll wie möglich und nur in seltenen Fällen
       durchgeführt zu haben, bleibt für die Cottbusser Richter eine „bloße
       Behauptung, der schon die von ihr selbst zitierten Beispielsfälle
       widersprechen“.
       
       24 Mar 2015
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Kaija Kutter
   DIR Kai Schlieter
       
       ## TAGS
       
   DIR Körperverletzung
   DIR Prozess
   DIR Schwerpunkt Haasenburg Heime
   DIR Schwerpunkt Haasenburg Heime
   DIR Schwerpunkt Haasenburg Heime
   DIR Schwerpunkt Haasenburg Heime
   DIR Hamburg
   DIR Prozess
   DIR Schwerpunkt Haasenburg Heime
   DIR sexueller Missbrauch
   DIR Schwerpunkt Haasenburg Heime
   DIR Heime
   DIR Schwerpunkt Haasenburg Heime
   DIR Schwerpunkt Haasenburg Heime
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Prozesse um Haasenburg-Skandalheime: Beschwerden für die Tonne
       
       Brandenburgs Justiz zeigt bei der Aufarbeitung der Misshandlungen von
       Heimkindern keinen Ehrgeiz. Sie informiert das Justizministerium falsch.
       
   DIR Missbrauch in Haasenburg-Heimen: Leider verjährt
       
       Mehrere Verantwortliche der Haasenburg-Heime stehen vor Gericht. Aber viele
       Vorwürfe sind verjährt – weil oberflächlich ermittelt wurde.
       
   DIR Ab ins Heim: Doch wieder Kinderknast
       
       Nach einem Jahr Pause wird wieder ein Jugendlicher aus Hamburg in
       Brandenburg geschlossen untergebracht. Verantwortlich ist das
       Familieninterventionsteam.
       
   DIR Haasenburg-Prozess gegen Erzieher: „Das Opfer war ohne Anwalt“
       
       Der Hamburger Fachanwalt Rudolf von Bracken kritisiert mangelnde Fürsorge
       der Staatsanwaltschaft gegenüber dem jugendlichen Opferzeugen.
       
   DIR Kommentar Haasenburg-Verfahren: Aufklärung tut not
       
       Der zweite Prozess um die geschlossene Haasenburg GmbH ist grotesk. Wie
       objektiv sind das Amtsgericht Lübben und die Staatsanwaltschaft Cottbus?
       
   DIR Erster Haasenburg-Prozess: Der „freiwillige“ Missbrauch
       
       Die Bewährungsstrafe für einen Ex-Haasenburg-Mitarbeiter wegen sexuellen
       Missbrauchs geht in Ordnung. Die Urteilsbegründung nicht.
       
   DIR Aufschub für Heimschließung: Haasenburg hat keine Kinder mehr
       
       Die umstrittenen Kinderheime sind geleert. Das Jugendamt holte die drei
       letzten Jugendlichen am Donnerstag mit der Polizei ab.
       
   DIR Haasenburg-Heime schließen: Dicht noch vor Weihnachten
       
       Die Kinder- und Jugendheime der Haasenburg müssen bis zum 20. Dezember
       geschlossen werden. Das hat Brandenburgs Jugendministerin jetzt
       entschieden.
       
   DIR Ungeklärter Tod in Haasenburg-Heim: Der Fall Lena
       
       Der Tod eines 16-jährigen Mädchens in einem Heim der Haasenburg GmbH wirft
       Fragen auf. Wurde die Leiche vor dem Eintreffen der Polizei verändert?
       
   DIR Kinderheim in Brandenburg: Der Horror am Waldrand
       
       Der Staat schickt Kinder und Jugendliche in Heime der Haasenburg GmbH, in
       denen brutaler Drill herrscht. Die Behörden wissen von den Missständen.