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       # taz.de -- Häppchenweise Eröffnung der Elbphilharmonie: Kein Haus für alle
       
       > Kaum war die Plaza der Elbphilharmonie freigegeben worden, begann der
       > Run. Warum die Wut über Bauzeit und Kosten so schnell wich, bleibt
       > rätselhaft
       
   IMG Bild: Das Ende der 80 Meter langen Rolltreppe, über die die Besucher elegant in die Elphi gleiten sollen
       
       Hamburg taz | Und dann fährt man rauf am grauen Montagmorgen, und es ist
       völlig unspektakulär. Sicher, die weiße „Tube“-Rolltreppe der
       Elbphilharmonie gleitet leise und elegant, der Backsteinboden ist
       ordentlich und adrett, der Glas-Vorhang edel und sauber.
       
       Aber irgendwas fehlt, wenn man auf der sogenannten Plaza herumspaziert, die
       im November eröffnet wurde – als Prelude zu den offiziellen
       Eröffnungskonzerten am 11. und 12. Januar. Denn nicht nur, dass man sich
       klein fühlt in diesem kathedral-hohen Raum zwischen Ex-Kakaospeicher und
       aufgesetzter Philharmonie. Man weiß auch: Es ist nur der Vorhof des
       Konzertsaals, das Aperçu des Kulturtempels, den man uns vorab kredenzt.
       Diese Etappen-Eröffnung wirkt wie ein zelebriertes Zögern, ein
       Herrschaftsgestus nach dem Motto: Gewöhne das Volk langsam an das
       Großartige, sonst verkraftet es das nicht. Oder es stürmt beim
       Eröffnungskonzert unkontrolliert die Plaza und stört die allgemeine
       Andacht. Das will man verhindern.
       
       ## Nicht problemlos betretbar
       
       Denn Elite-Architektur ist die Elbphilharmonie trotz aller Politiker- und
       Intendanten-Mantras vom Haus für alle durchaus: Erstens zeugt sie von Macht
       und ökonomischer Potenz – auch wenn Prozedere und Kommunikation erbärmlich
       waren. Zweitens ist das Haus keineswegs stets und problemlos betretbar: Ein
       Ticket ist zu ziehen, ein Zeitfenster zu beachten, ein Drehkreuz zu
       passieren. Dann noch 80 Meter Rolltreppe hoch zur Plattform.
       
       Trotzdem erbost das keinen. Im Gegenteil: Geradezu frenetisch stürmen die
       Hamburger derzeit das einst gescholtene Gebäude. Und vielleicht ist es
       genau das, was dem einsamen Montagsbesucher auf der Plaza fehlt: das
       Gruppenerlebnis, die gemeinschaftliche Inbesitznahme der lang erwarteten
       Elbphilharmonie.
       
       Die wurde zwar im Namen des hamburgischen Volkes von der Bürgerschaft
       genehmigt. Das aber unter Vorspiegelung falscher Preise und Bauzeiten. Zur
       Erinnerung: Geplant waren einmal 77 Millionen Euro der öffentlichen Hand
       sowie drei Jahre Bauzeit. Geworden sind es zehn Jahre Bauzeit und 789
       Millionen Euro. Diese Dimension war definitiv nicht mehr Volkes Wille.
       
       Eigenartig ist nur, dass die Empörung über diesen Skandal so schnell in
       Euphorie umschlug. Fast könnte man meinen, die jahrelange Wut der Hamburger
       sei nicht echt, vielleicht nur Ausdruck enttäuschter Liebe gewesen. Die
       Hamburger seien in Wahrheit von Anfang an stolz gewesen auf das Projekt –
       sogar auf die Einzigartigkeit des baulichen und finanziellen Desasters.
       Denn einen PR-Effekt hatte dieses Debakel durchaus.
       
       In der Tat habe sich die öffentliche Irritation weniger auf das Gebäude
       bezogen, als auf Behörde, Entscheider und Bürokratie, sagt die Wuppertaler
       Soziologieprofessorin Heike Delitz. Die Verdrossenheit habe darin gelegen,
       „die Entscheidung nicht als eine anzuerkennen, die im eigenen Namen
       erfolgt, sondern im Interesse derer da oben“.
       
       Erst jetzt, wo das Gebäude keine abgeschottete Baustelle mehr, sondern
       betretbar sei, werde für viele greifbar, worin der Wert solch einer
       Architektur bestehe, sagt auch der Münchner Architekturphilosoph Martin
       Düchs. Zudem stifte die Elbphilharmonie städtische Identität: „Ich finde es
       nachvollziehbar, im Hafen ein Haus zu bauen, das Wellen- und
       Schiffsassoziationen weckt.“
       
       Diese Formen seien keine schlichten Abbild des Bestehenden, sondern
       zentrale Säulen hamburgischer Identität. Die am historischen Ort auf ein
       altes Gebäude gesetzte Elbphilharmonie sei eine geschichtsbewusste Vision,
       sagt Düchs. Zudem habe Hamburg jetzt endlich ein Landmark Building. Den
       guten alten Michel lässt er nicht gelten – „zu unscheinbar“.
       
       Ist der Michel, sind Kirchen als Wahrzeichen generell überholt? Ja,
       vielleicht, denn tatsächlich wurden in den vergangenen Jahren meist
       kulturelle Landmark Buildings gebaut: Berlins Philharmonie und
       Nationalgalerie, Oslos und Kopenhagens Oper. Kultur-Tempel haben Kirchen,
       Kultur-Paläste weltliche Machtarchitektur als Wahrzeichen abgelöst. Und
       erfüllen jetzt deren einstige Funktion: „Interessengruppen zu vereinen, die
       auf keine andere Weise vereinbar waren, zugunsten des Stolzes auf das
       gemeinsame Werk“, wie Delitz es formuliert.
       
       Dieser nachgereichte Stolz entsteht aber nicht zwangsläufig: „Beim Berliner
       Flughafen und Stuttgart 21 wird das wohl nicht eintreten, denn beide
       Entwürfe haben nichts, was von besonderer architektonischer Qualität
       spricht“, sagt Delitz. Und von ästhetischer – dem Pfund, mit dem die
       Elbphilharmonie jetzt wuchern kann und so die Kostendebatte überschreibt.
       
       „Das Verlangen nach Schönheit ist ein moralisches Grundbedürfnis des
       Menschen“, sagt Düchs. Zudem kein beliebiges: „Neuere psychologische und
       philosophische Forschungen zeigen, dass man sich einem allgemein
       verbindlichen Schönheitsideal zumindest annähern kann.“Wobei der kleinste
       gemeinsame Nenner die Sorgfalt der Gestaltung wäre. Und das sieht auch der
       flüchtigste Elbphilharmonie-Besucher: dass der Backsteinboden, die
       Holzwände, die Pailletten gewissenhaft gearbeitet sind.
       
       ## Schwellen zu überwinden
       
       Andererseits stecke – so formulierte es einst Sozialphilosoph Pierre
       Bourdieu – in der Suche nach Schönheit immer auch die Exklusion, und damit
       eine gewisse Abwertung oder gar Diskriminierung derer, die ausgeschlossen
       werden. „Natürlich stellt sich bei jeden Kulturbau die Frage, wen man
       erreicht“, sagt Düchs. „Da sind Schwellen zu überwinden, die bestimmte
       soziale Schichten nicht gewöhnt sind.“ Aber für die Elbphilharmonie sei er
       optimistisch, dass das gelingen werde. Ob das jetzt so zahlreiche
       Plaza-Volk später die klassischen Konzerte zu schätzen weiß oder sich –
       günstige Karten hin oder her –, ob es sich doch ausgeschlossen fühlt, wird
       sich zeigen.
       
       Der Subtext dieser Architektur reicht bis zu den exklusiv gefertigten
       Wandverkleidungen, Lampen und Fenstern. Die Unikate aus edlem Material
       zeugen vom Privileg der Oberschicht, deren Räume der Normalbürger
       allenfalls museal besichtigen darf. „Ich halte es für legitim, das
       Bestmögliche herauszuholen, statt zu sagen: „Ich hol die Lampe bei Ikea“,
       erklärt Düchs. „Aber irgendwann ist auch der Punkt erreicht, wo der
       finanzielle Aufwand obszön wird.“ Das sei ein Abwägungsprozess.
       
       Außerdem zeugt überzogene Exklusivität nicht nur von Dünkel, sondern auch
       von der Panik, verwechselbar zu sein. Doch das wäre die Elbphilharmonie
       auch ohne in Tschechien speziell gefertigte Lampen nicht. Da sind die
       Architekten Herzog & de Meuron, von deren Eitelkeit dieses Gebäude auch
       zeugt, über das Ziel hinausgeschossen – inklusive der Hybris, eine
       unmögliche Statik (schwerer Bau auf leichtem Bau) und Akustik (Konzerthaus
       im lauten Hafen) zu bauen und gleich mehreren physikalischen Gesetzen
       trotzen zu wollen.
       
       Andererseits gehört es seit dem 18. Jahrhundert zum Beruf des Architekten,
       sich an die Stelle Gottes zu setzen, sagt die Soziologin Delitz. Und – wie
       auch im Fall der Elbphilharmonie – Gebäude zu schaffen, die explizit gen
       Himmel zeigen. „Kulturgebäude wie eine Philharmonie zeugen von einer
       scheinbar säkularen, tatsächlich quasi-religiösen Institution oder
       Gesellschaft“, sagt Delitz, die jedem Menschen eine Sehnsucht nach dem –
       nicht unbedingt religiösen – Erhabenen attestiert.
       
       Was tut der morgendlich fröstelnde Plaza-Wanderer nun mit dem Erhabenen? Er
       fühlt sich noch einsamer, wenn er die behagliche Lobby des Nobel-Hotels
       „The Westin“ nur von außen besehen darf und aus dem Bistro „Störtebeker“
       angesichts der Preise rückwärts wieder heraus taumelt. Kein Platz fürs
       gemeine Volk. Da bleibt nur die kalte, zugige Brüstung draußen. Mal sehen,
       wie lange das den frenetischen Hamburgern gefällt.
       
       27 Dec 2016
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Petra Schellen
       
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