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       # taz.de -- Häusliche Gewalt in Großbritannien: Neues Gesetz für mehr Opferschutz
       
       > Mitten in der Pandemie sind England und Wales dabei, ein neues Gesetz zu
       > verabschieden. Zuvor waren alarmierende Zahlen veröffentlicht worden.
       
   IMG Bild: Verlassene Straßen im Londoner Lockdown. Doch was passiert hinter verschlossenen Türen?
       
       London taz | Mitten in der Pandemie könnten England und Wales bald ein
       [1][neues Gesetz] zu häuslicher Gewalt bekommen, das Opfern mehr Schutz
       bieten soll. Es steht kurz vor der Verabschiedung, Schottland und
       Nordirland haben eine eigenständige Gesetzgebung. Die Initiative geht noch
       auf die Zeit der früheren Premierministerin Theresa May zurück – doch in
       der Coronakrise gibt es nun eine erhöhte Aufmerksamkeit.
       
       Denn auch aus Großbritannien kommen traurige Rekordzahlen: Die Hilfegesuche
       von Opfern, die zu Hause Gewalt ausgesetzt sind, haben sich seit den
       Ausgangsbeschränkungen laut der nationalen Notrufnummer um durchschnittlich
       25 Prozent erhöht. Die Organisation Refuge, welche das Angebot leitet,
       verzeichnete nach eigenen Angaben an einem Tag sogar 700 Prozent mehr
       Anrufe als sonst.
       
       Zwischen Beginn des Lockdowns am 23. März und dem 12. April wurden überdies
       16 Frauen im eigenen Heim ermordet. In den letzten zehn Jahren habe es in
       diesem Zeitraum hingegen nur durchschnittlich fünf Todesfälle gegeben, sagt
       Karen Ingala Smith, die Gründerin der Organisation Counting Dead Women.
       Insgesamt waren im statistischen Vorjahr (endete März 2019) laut dem
       britischen statistischen Amt in Großbritannien 2,4 Millionen Opfer
       häuslicher Gewalt im Alter zwischen 16 und 74 Jahren, davon waren 786.000
       Männer.
       
       Die alarmierenden Hinweise der Hilfsorganisationen wurden in den britischen
       Medien vielfach diskutiert. Als es zum Tag der Debatte über den
       Gesetzentwurf kam, billigte die Regierung schon am Morgen eine
       Sonderzahlung von 76 Millionen Pfund (umgerechnet 87 Millionen Euro) für
       Opfer häuslicher Gewalt.
       
       ## Gesetz definiert häusliche Gewalt nicht nur körperlich
       
       Das neue Gesetz soll nun unter anderem klarstellen, dass unter häuslicher
       Gewalt nicht nur Körperverletzung zu verstehen ist, sondern auch, wenn etwa
       jemand im häuslichen Kontext Geldentzug als Druckmittel einsetzt oder es zu
       psychischer Misshandlung kommt. Lokalbehörden und Polizei sollen neue
       Möglichkeiten bekommen, um gegen Täter vorzugehen und Opfer zu schützen.
       
       Die Anwältin Harriet Wistrich von der Organisation [2][Centre for Women’s
       Justice] bestätigte, dass die Coronakrise womöglich zu einem stärkeren
       Bewusstsein für häusliche Gewalt geführt haben könnte. „Wir waren alle
       überrascht, dass die Regierung den Gesetzentwurf zur Debatte stellen
       würde.“ Sie hofft nun, dass der Entwurf auch sorgfältig geprüft werde,
       obwohl die Abgeordneten teilweise nur per Zoom an den Unterhaussitzungen
       teilnehmen.
       
       Wistrich selbst hat im Gesetzentwurf einen Mangel entdeckt. Nach ihrer
       Erfahrung mit verschiedenen Fällen redeten sich Männer oft damit heraus,
       dass Verletzungen als Versehen infolge von einvernehmlichem „hartem Sex“
       passiert seien. Das müsse unzulässig werden, gerade bei Todesfällen.
       
       Wistrich bezweifelt, dass es mit dem neuen Gesetz getan ist, weil die
       Polizei auch jetzt nicht alle zur Verfügung stehenden Mittel nutze. Mit
       Rechtsklagen müsse ihre Organisation oft Nachhilfe leisten, etwa weil bei
       der Kategorisierung eines Falles Fehler gemacht wurden. „Wenn die
       Polizeidienstkräfte einen Vorfall nicht als potenzielle häusliche Gewalt
       aufnehmen, fehlt Opfern oft der ihnen zustehende persönliche und rechtliche
       Schutz.“
       
       11 May 2020
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.gov.uk/government/publications/domestic-abuse-bill-2020-factsheets
   DIR [2] https://www.centreforwomensjustice.org.uk/
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Daniel Zylbersztajn
       
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