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       # taz.de -- Hamburger Anti-Gender-Volksinitiative: CDU als nützliche Idioten
       
       > Der Volksinitiative gegen das Gendern geht es um ein antifeministisches
       > Rollback. Die Sprache ist dafür nur ein Vehikel. Und die CDU spielt mit.
       
   IMG Bild: Findet eigene Sprachspielereien besser als jene, die sie als oktroyiert empfindet: Sabine Mertens
       
       Ganz kurz geriet die Hamburger CDU tatsächlich ins Schwanken. Gerade hatte
       die Partei mit der [1][Volksinitiative „Schluss mit dem Gendern in
       Verwaltung und Bildung“] so eine schöne Wahlkampfbegleitmusik gefunden und
       angekündigt, beim Sammeln der Unterschriften zu helfen – da sagte die
       Initiatorin Sabine Mertens bei der Anmeldung der Initiative, worum es ihr
       eigentlich geht.
       
       Beim Gendern handele es sich um „PR-Maßnahmen der LGBTQ-Bewegung“, so die
       Kunsttherapeutin, pardon: der Kunsttherapeut Mertens, so bezeichnet sie
       sich nämlich selbst. Und solcherlei PR kann sie nicht gutheißen, denn es
       sei nun mal eine Tatsache, „dass sich normalerweise Männer und Frauen zum
       jeweils anderen Geschlecht hingezogen fühlen“, zitiert das Hamburger
       Abendblatt sie. Alles andere wäre demnach also anormal. Mit aus Sicht von
       Mertens fatalen Folgen: „Wenn wir nun alle schwul, lesbisch und trans
       werden sollen, dann ist die Evolution zu Ende.“
       
       Das war sogar für die Hamburger CDU ein bisschen doll, die immerhin ihre
       besten Zeiten unter einem schwulen Bürgermeister hatte – mit einem Senat,
       in dem mehr Schwule saßen als Frauen. „Der Diskriminierung von
       Homosexuellen stellen wir uns klar entgegen“, sagte Fraktionschef Dennis
       Thering. „Die Aussage von Frau Mertens ist daher inakzeptabel.“ Das
       Problem: Die Initiative ist bislang eine One-Woman-Show. Praktisch niemand
       anderes tritt öffentlich auf. Therings Worte klangen deswegen wie eine
       Absage.
       
       Doch die Aussicht auf ein potenziell zugkräftiges Thema, das bis in den
       Bürgerschaftswahlkampf 2025 reichen könnte, war zu verlockend. Die CDU
       distanzierte sich erneut von Mertens’ homophoben Äußerungen, rief ihre
       Mitglieder aber dennoch auf, Unterschriften für die Initiative zu sammeln
       und in Social Media dafür zu werben. Deswegen kann die Volksinitiative die
       ebenfalls eilfertig angebotene Unterstützung der AfD mit einem Lächeln
       zurückweisen.
       
       Der frauenfeindliche Gehalt sowohl von Mertens’ Worten wie von den Zielen
       der Initiative ist in der Hamburger CDU gar nicht weiter aufgefallen. Kein
       Wunder in dem traditionellen Männerhaufen, der in seiner
       Bürgerschaftsfraktion immer noch mit gerade mal 25 Prozent Frauen auskommt.
       
       Wenn Mertens befürchtet, weil „alle“ queer werden „sollten“, stünde uns das
       Ende der Evolution bevor, offenbart sie nicht nur ein arg eindimensional
       biologistisches Verständnis von Evolution, in dem die Weiterentwicklung von
       Gesellschaft gar nicht vorkommt. Sie reduziert damit implizit auch Frauen
       auf die Rolle von Zuchtstuten und Gebärmaschinen, die in erster Linie für
       Arterhalt und -entwicklung zuständig sind.
       
       Auch jenseits der Entgleisungen ihrer Gründerin sind die Ziele der
       Initiative misogyn. Wenn Mertens tatsächlich glaubt, Menschen würden
       schwul, lesbisch oder trans, nur weil Behörden sie in ihrer Kommunikation
       mit ansprechen (dürfen) – was ist dann erst mit der beruflichen
       Gleichstellung? Wie sollen denn Mädchen auf die Idee kommen, Ärztin,
       Architektin oder Astronautin zu werden, wenn schon die Sprache dafür keine
       Form findet? Mertens, die sich im Stern selbst „Wirtschaftswunderkind“
       nennt, träumt von der Welt der 50er Jahre, als der Arzt noch Herr Doktor
       war und Frau Doktor viel häufiger seine Frau als eine promovierte
       Medizinerin.
       
       ## Antifeministin seit den 70ern
       
       Gleichstellung ist für Sabine Mertens Teufelszeug, schon seit sie in den
       70ern an der Uni die zweite Frauenbewegung erleiden musste. Seit 2020 zieht
       sie im islamophoben Blog „Achse des Guten“ über „Gender Mainstreaming“ her
       – ebenso wie über Parité-Gesetze und Frauenquoten für Parlamente und
       Fraktionen. Übrigens auch, wenn die CDU sie ventiliert.
       
       Mertens und ihrer Initiative geht es um ein gesamtgesellschaftliches,
       antifeministisches Rollback. Der Kampf um den Erhalt der – vermeintlich
       statischen – Sprache ist nur ein Vehikel dafür. Und die Hamburger CDU gibt
       dazu bestenfalls die nützlichen Idioten.
       
       Die Partei setzt aus taktischen Erwägungen auf eine Kampagne, die nicht zum
       gesellschaftspolitisch eher liberal verorteten designierten
       Spitzenkandidaten Dennis Thering passt, sondern zu den beiden schrillen
       Twitter-Krawallbrüdern [2][Christoph Ploß] und [3][Christoph de Vries].
       Doch die sitzen hoch und trocken im Bundestag und würden den Teufel tun,
       sich im Bürgerschaftswahlkampf eine blutige Nase zu holen. Auch weil sie
       wissen: Es mag verbreitetes Unbehagen am Gendersternchen geben, aber gleich
       CDU wählen würden die Leute deswegen nicht.
       
       7 Mar 2023
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Jan Kahlcke
       
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