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       # taz.de -- Handball-Revolution in Magdeburg: Emotionale Strategen
       
       > Der noch ungeschlagene SC Magdeburg zeigt in Berlin erneut tollen
       > Handball. Das kürzlich noch Undenkbare scheint möglich: der deutsche
       > Meistertitel.
       
   IMG Bild: Keine überstürzten Entscheidungen: Magdeburgs Rückraumspieler Michael Damgaard beim Wurf
       
       Wenn man nach zehn ungeschlagenen Spielen beim Tabellenzweiten einen derart
       überlegenen Auftritt hinlegt wie der SC Magdeburg bei den Füchsen Berlin am
       Samstagabend, dann könnte man schon auf den Gedanken kommen, kurz
       innezuhalten und das Geleistete mit einer klitzekleinen Pause zu
       honorieren. Zumal Handballer stets im Akkord schuften. Zählt man die
       anderen Wettbewerbe hinzu, haben die Magdeburger in knapp 11 Wochen 18
       Begegnungen gewonnen, einschließlich dem Klub-WM-Sieg in Saudi-Arabien
       gegen Barcelona.
       
       „Die schreien jetzt auch: ‚Frei, frei, frei!‘“, weiß Trainer Bennet
       Wiegert. „Mein Herz sagt auch: ‚Ja Leute, ihr habt euch das verdient. Aber
       bitte, überlegt, woher das jetzt kommt. Das kommt nicht von freien Tagen.‘“
       Natürlich werde am Sonntag trainiert. Am Dienstagabend treten die
       Magdeburger in Spanien beim BM Logrono La Rioja an. Und freilich hat sich
       der stets hochtourig arbeitende Wiegert bereits alle verfügbaren Videos
       über dieses Team angeschaut. Am Sonntag werde er seine Erkenntnisse dem
       Team vorstellen.
       
       [1][Wiegert hat eine eigene Website.] Über sich hat er dort den schönen
       Satz notieren lassen: „Auf dem Spielfeld zeigt er offen seine Emotionen,
       vor allem, wenn es um Gerechtigkeit geht.“ In der Berliner
       Max-Schmeling-Halle gab es jedoch keine Gerechtigkeitsfragen zu
       diskutieren. Zu deutlich waren die Unterschiede zwischen den Berlinern, die
       immerhin auch eine Serie von 24 ungeschlagenen Spielen vor ihrer Niederlage
       vergangenen Mittwoch in Flensburg vorzuweisen hatten. Das Endergebnis
       (29:33) milderte die Unterlegenheit der Füchse etwas ab. Mitunter betrug
       der Rückstand zehn Tore.
       
       „Entscheidend war, dass wir ab der 1. Minute komplett da waren, nicht nur
       taktisch, sondern vor allem mental“, befand Wiegert. Er lobte die
       emotionale Begeisterung, mit der sein Team verteidigt hatte. Nach gut 11
       Minuten lag Magdeburg bereits 9:4 vorn. Und diese besondere Mischung aus
       Emotionalität und taktisch kühler Reife ist einer der maßgeblichen Gründe,
       weshalb die Magdeburger derzeit die Hierarchie der Handball-Bundesliga
       durcheinanderwirbeln. Denn in den vergangenen zehn Jahren gab es mit dem
       THW Kiel, der SG Flensburg-Handewitt und den Rhein-Neckar Löwen aus
       Mannheim nur drei Teams, die deutscher Meister werden konnten.
       
       ## Selbst der Gegner schwärmt
       
       Dass ein Spitzenspiel am 11. Spieltag ohne Beteiligung von Kiel und
       Flensburg-Handewitt stattfinden kann, haben Experten bis vor Kurzem noch
       für undenkbar gehalten. Die Verantwortlichen der Füchse Berlin, die trotz
       der Niederlage immer noch den zweiten Platz einnehmen, gerieten gar ins
       Schwärmen über das Magdeburger Spiel. [2][Stefan Kretzschmar],
       Sportvorstand der Füchse Berlin und ehemals beim SC Magdeburg als
       Sportdirektor und Spieler tätig, hob etwa die „wahnsinnig guten Würfe“ der
       Gäste hervor. Dort gebe es keine unüberlegten Versuche aus dem Rückraum.
       
       Selbst wenn man gut verteidigen würde, finde sich immer stets noch einer,
       der zum Abschluss käme. Am häufigsten gefunden wurde in Berlin wieder
       einmal der Isländer Omar Ingi Magnusson, der neun Tore erzielte und bereits
       letzte Saison ligaweit die meisten Tore warf. Im Unterschied zu den
       Gastgebern bewegte sich die Fehlerquote der Magdeburger zudem in einem kaum
       nennenswerten Bereich.
       
       Aus Sicht von Kretzschmar hatte diese so unerwartet ungleiche Partie
       einiges mit dem Ausfall der deutschen Nationalspieler Paul Drux und Fabian
       Wiede zu tun. Mit Wiede hätte das Aufbauspiel vermutlich besser geklappt.
       So rückten die Gewinnchancen der Füchse im Verlaufe des Spiels in weite
       Ferne. Und auf den LED-Werbebanden flimmerte ein Literaturtipp durch:
       „Hanning. Macht. Handball.“ Bei der Parallellektüre wäre man wenigstens in
       dem Werk des Geschäftsführers Bob Hanning auf Füchse-Erfolgserlebnisse
       gestoßen.
       
       Was den Berlinern zu schaffen machte, die fehlende Breite im Kader, war
       auch beim SC Magdeburg häufig ein Problem. Wiegert freut sich, dass man das
       mittlerweile auffangen kann. Seit 2015 arbeitet er am Erfolg des SC
       Magdeburg. Er sagt: „Vielleicht ist es jetzt so eine Zeit, dass die
       Kontinuität im Kaderaufbau Früchte trägt.“
       
       Der 39-Jährige formuliert betont vorsichtig. Gedanklich ist ihm die
       Möglichkeit der Rückschläge stets präsent. Jeden Spieler könne man nicht
       ersetzen, sagt er. Andererseits will er sich den Spaß derzeit nicht nehmen
       lassen. „Ich freue mich einfach, es könnte auch anders sein.“ Die Fans sind
       naturgemäß weniger zwiegespalten. Vor der Max-Schmeling-Halle skandierten
       sie nach dem Spiel: „Deutscher Meister wird nur der SCM“. Vor nicht allzu
       langer Zeit hätte man darüber noch herzlich gelacht.
       
       14 Nov 2021
       
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   DIR [1] https://www.bennet-wiegert.de/
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   DIR Johannes Kopp
       
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