URI: 
       # taz.de -- Hans Magnus Enzensberger wird 90: Artistischer Argumentator
       
       > Der Vielseitigste von allen: Ein Geburtstagsgruß an den Schriftsteller
       > und Intellektuellen Hans Magnus Enzensberger.
       
   IMG Bild: Hans Magnus Enzensberger bei einer Pressekonferenz 2013
       
       Hans Magnus Enzensberger, der am Montag [1][90 Jahre alt] wird, ist der
       Vielseitigste unter den deutschen Schriftstellern und Intellektuellen. Er
       ist Lyriker, Romanautor, Essayist, Dramatiker, Übersetzer, Lektor,
       Zeitschriften- und Radioredakteur, Herausgeber, Hörspiel- und
       Kinderbuchautor, Librettist und Drehbuchautor.
       
       Die Kehrseite dieser intellektuellen Gelenkigkeit ist die politische
       Sprunghaftigkeit, was ihm den Ruf eingetragen hat, sich „die Attitüde des
       Unverantwortlichen“ zugelegt zu haben, der „sich um die praktischen Folgen
       seiner auslösenden Reize nicht kümmert“ – so der gleichaltrige [2][Jürgen
       Habermas]. Die aktualitätsbezogenen, im politischen Handgemenge
       geschriebenen Essays gehören denn auch nicht zu den stärksten Seiten des
       artistischen Intellektuellen Enzensberger.
       
       Nach dem Studium in Erlangen, Freiburg, Hamburg und Paris wurde
       Enzensberger 1957 vom legendären Rundfunkredakteur Alfred Andersch für die
       Mitarbeit bei seiner Zeitschrift Texte und Zeichen und bei
       Spätabendsendungen beim Süddeutschen Rundfunk gewonnen.
       
       Für diesen verfasste Enzensberger Essays und Features. Die Resultate dieser
       Arbeiten für den Rundfunk erscheinen 1962 unter dem Titel „Einzelheiten.
       Bewußtseins-Industrie“ in zwei Bänden in der edition suhrkamp und machen
       den Autor schlagartig bekannt. Insidern allerdings fiel Enzensberger schon
       fünf Jahre zuvor als vielstimmiger Lyriker auf („Verteidigung der Wölfe“).
       
       ## Besser: Argumente
       
       1964 erschien der Band „Politik und Verbrechen“, zwei Jahre danach die
       brillanten „Politischen Kolportagen“. In beiden Bänden wandte sich
       Enzensberger gegen den westlichen Opportunismus im Umgang mit
       verbrecherischen Diktaturen in ihren Hinterhöfen und terroristischen
       Organisationen in ihren Ländern.
       
       Von 1965 bis 1975 war Enzensberger der Herausgeber des Kursbuchs, des
       einflussreichsten Organs unmittelbar vor und während der Studentenbewegung.
       Seine Stellung zu dieser war von Ambivalenzen nicht frei. Er war kein Mann
       für politische Linien und verteidigte sich gegen Angriffe aus welcher
       Richtung auch immer mit den Hinweisen: „Normalität ist eine defensive
       Kraft“ und „Bekenntnissen ziehe ich Argumente vor“.
       
       Von 1985 bis 2007 fungierte Enzensberger als Herausgeber der „Anderen
       Bibliothek“, die das intellektuelle Profil der Bundesrepublik bis heute
       entscheidend geprägt hat. In der Reihe sind bisher über 250 Bände
       erschienen.
       
       Enzensbergers vielseitige Arbeit wurde mit zahlreichen renommierten Preisen
       vom Georg-Büchner-Preis (1963) bis zum Prinz-von-Asturien-Preis (2002)
       ausgezeichnet. Grandezza bewies er 2002, als er das Preisgeld für den
       Ludwig-Börne-Preis an die damalige taz-Autorin Gabriele Goettle weitergab.
       In die Literaturgeschichte eingehen wird Enzensberger allerdings nicht mit
       seinem essayistischen Werk, sondern mit seinen grandiosen Gedichten, die in
       ihrer Raffinesse und Leichtigkeit unübertroffen sind.
       
       11 Nov 2019
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Warum-Briten-Dinner-for-One-kaltlaesst/!5129531
   DIR [2] /90-Geburtstag-von-Juergen-Habermas/!5600386
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Rudolf Walther
       
       ## TAGS
       
   DIR Jürgen Habermas
   DIR APO
   DIR Hans Magnus Enzensberger
   DIR Schlagloch
   DIR BDS-Movement
   DIR Schwerpunkt 1968
   DIR Wolfgang Pohrt
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Klassenfragen und Macht: Wir Kleinbürger
       
       Die Aufhaltsamkeit des Kleinbürgertums oder das Ende eines Versprechens:
       Wie eine Nicht-Klasse sich auflöst und ihre Mitglieder abgewertet werden.
       
   DIR BDS und der Nelly-Sachs-Preis: Nicht die Hater salonfähig machen
       
       BDS als vielstimmige Initiative für Freiheit zu verharmlosen, verkennt ihr
       Kalkül. Kamila Shamsie den Nelly-Sachs-Preis nicht zu geben, ist richtig.
       
   DIR 90. Geburtstag von Jürgen Habermas: Die großen Kämpfe der Theorie
       
       Wo Habermas wirkte, gab es Streit. Seine Philosophie, die auf Vernunft und
       Argumente setzt, entstand inmitten schlechter Laune und böser Absicht.
       
   DIR Nachruf auf Wolfgang Pohrt: Abweichler, Rechthaber, Analytiker
       
       Am Freitag ist der Ideologiekritiker Wolfgang Pohrt gestorben. Er
       hinterlässt mehr Feinde als Freunde. Das hätte ihm gefallen.