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       # taz.de -- Havarieschutz: Sicher ohne Außenluft
       
       > In der Nordsee nimmt am 1. Januar die "Nordic" ihren Dienst auf und löst
       > die "Oceanic" ab. Sie kann als weltweit erster Notschlepper in
       > gefährlichem Umfeld operieren.
       
   IMG Bild: Der modernste Notschlepper der Welt: Die Nordic liegt ab 1. Januar vor Norderney bereit.
       
       Am 1. Januar ist es soweit: Die "Nordic" wird ihre Position vor Norderney
       einnehmen. Dann löst der supermoderne Notschlepper die alte Dame "Oceanic"
       ab, die 1969 in Dienst gestellt und seit 1996 als Nordsee-Notschlepper vom
       Wasser- und Schifffahrtsamt gechartert worden ist. Die "Nordic" gehört der
       Hamburger Bugsier-Reederei und wird im Rahmen der Arbeitsgemeinschaft
       Küstenschutz bereedert - einem Zusammenschluss von Bugsier-, der Fairplay-
       und Unterweserreederei sowie Wiking Helikopter. "Die Nordic ist der
       modernste Notschlepper der Welt", sagt Carsten Wibel, Projektmanager
       Küstenschutz bei Bugsier. "Es ist ein schönes Gefühl, so ein Schiff mit
       konzipiert zu haben und dann gebaut vor einem zu sehen", sagt Wibel stolz
       beim taz-Besuch auf der Nordic.
       
       Um die Ausstattung der Nordic hatte es lange Zeit Krach auf politischer
       Ebene gegeben. Ursprünglich hatte die Wasser- und Schifffahrtverwaltung 114
       Millionen Euro für den Schiffsneubau bereitstellen wollen - darin sollten
       weder ein Rauch- und Gas- noch ein Explosionsschutz enthalten sein (taz
       berichtete). Der Bundestag gab jedoch 2006 neue Leistungskriterien für den
       neuen Nordsee-Notschlepper vor, die einen Gas-, Rauch- und Explosionsschutz
       enthielten. "Vor dem Hintergrund zunehmender Verkehrszahlen und größer
       werdender Schiffe, einem hohen Anteil an Gefahrenguttransporten und der
       wachsenden Havariegefahr aufgrund der vielen Windparks an der Nordseeküste,
       musste das Notschleppkonzept aktualisiert werden", sagt Wibel.
       
       Auch die Lehren aus dem "Pallas"-Desaster vor der Nordseeinsel Amrum, bei
       dem 1998 im Wattenmeer 1.900 Tonnen Öl ausliefen und 16.000 Seevögel
       verendeten, habe bei der Entscheidung eine Rolle gespielt, glaubt Wibel. So
       konnte die Bugsier-Reederei ein Konzept für einen Neubau erstellen und sich
       im Rahmen einer europaweiten Ausschreibung durchsetzen. "Wir haben es
       wirtschaftlicher hinbekommen, als manche gedacht haben", sagt Wibel.
       
       Die Nordic hat eine Stammbesatzung von zwölf Männern und Frauen. Dazu kommt
       ein vierköpfiges Boardingteam, das im Ernstfall mit Schutzausrüstung per
       Beiboot oder Hubschraubern zum Havaristen übersetzt. Zusätzlich hält die
       Nordic zwölf Ausbildungsplätze bereit.
       
       Das Einzigartige an der Nordic ist jedoch die Technik. "Es ist der erste
       Notschlepper mit außenluftunabhängiger Luftversorgung, der auch den Einsatz
       in gefährlichen Atmosphären erlaubt", sagt Wibel. Zudem seien die beiden
       Motoren durch moderne Technik explosionsgeschützt, damit nicht durch das
       Ansaugen von Außengasen gefährliche explosive Gemische im Motor entstehen
       können. Treten bei einem Havaristen zündfähige oder gesundheitsgefährdende
       Stoffe aus, war herkömmlichen Schleppern das Herstellen einer
       Schleppverbindung ohne Gefahr für Schiff und Besatzung unmöglich. Die
       Nordic hingegen kann durch umfangreiche Maßnahmen direkt in die Wirkzone
       eindringen. So ist die gesamte Brücke, die Mannschaftsräume und der
       Maschinenraum, durch eine "Zitadelle" geschützt - einem eigens erzeugten
       Überdruck, der das Eindringen von Schadstoffen verhindert. Das ermöglicht
       der Besatzung, ohne zusätzliche Schutzmaßnahmen in der Zitadelle ihre
       Aufgaben wahrzunehmen. Gleichzeitig sind innerhalb der Zitadelle alle
       technischen Einrichtungen vor zündfähigen Gasen geschützt. "Wir können bis
       zu acht Stunden außenluftunabhängig an einem Havaristen arbeiten", sagt
       Wibel.
       
       Grund für diese aufwändige Luftversorgung ist, dass bei einem
       Notschleppereinsatz zur unmittelbaren Gefahrenabwehr nicht immer alle
       Informationen über die beim Havaristen austretenden Schadstoffe vorliegen
       können.
       
       Muss die Boardingcrew die Nordic verlassen, um zu dem Havaristen
       überzusetzen und das Schlepp-Geschirr anzubringen, geschieht dies durch
       eine Schleuse. Kommt die Crew zurück, findet in dieser Schleuse die
       Kontaminierung statt.
       
       Die Nordic hat in Zukunft - wie die Oceanic - ihre feste Position vor
       Norderney. 28 Tage im Monat, dann geht es zurück nach Cuxhaven, um die Crew
       auszutauschen und neuen Proviant aufzunehmen. Zieht Wind auf, werden ab
       Windstärke fünf prophylaktisch die Anker gelichtet und dann geht die Nordic
       auf Patrouillenfahrt zwischen der internationalen und der nationalen
       Fahrrinne vor Ostfriesland. "Damit wir im Notfall keine unnötige Zeit
       verlieren", sagt Wibel.
       
       29 Dec 2010
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Kai von Appen
       
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