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       # taz.de -- Hohe Lebenshaltungskosten in UK: Teures Großbritannien! Oder?
       
       > Deutsche, die in Großbritannien Urlaub machen, jammern schnell: alles so
       > teuer hier. Dabei kommen deutsche Urlauber besser weg als die Briten
       > selbst.
       
   IMG Bild: Urlaub in London ist machbar, aber ohne teure Riesenrad-Fahrerei
       
       Die deutsche Familie am Nebentisch war etwas enttäuscht, als sie in der
       Küche eines walisischen Hostels saß. „Wir sind ja nicht arm, aber
       Großbritannien ist so teuer wie Skandinavien!“
       
       Am schlimmsten sei es natürlich in London, wo ein Pint Bier (0,568 Liter)
       lockere 9 Euro kostet. In einem ganz normalen Pub, wohlgemerkt, nicht im
       Ritz.
       
       Diese gefühlte Wahrheit trügt allerdings ein bisschen. So teuer ist
       Großbritannien gar nicht. Es kommt nur darauf an, was man kauft, wie ein
       umfangreicher [1][Preisvergleich] zeigt. Zum Beispiel sind Zwiebeln sehr
       billig und kosten 21,6 Prozent weniger als in Deutschland. Preiswert sind
       auch Reis, Hühnchenfleisch und Salatköpfe.
       
       Teurer sind hingegen normale Restaurants: plus 18,1 Prozent im Vergleich zu
       Deutschland. Umgekehrt ist McDonald’s aber billiger: minus 17,3 Prozent.
       Bei den Getränken ist es ähnlich: Bier kostet 32,8 Prozent mehr, dafür sind
       es bei Coke oder Pepsi 25,4 Prozent weniger.
       
       ## Arme Briten
       
       Kurz: Für Deutsche ist ein Urlaub in Großbritannien machbar. Schwieriger
       ist es für die Briten selbst. Sie müssen ähnliche Preise wie in Deutschland
       zahlen – verdienen aber im Durchschnitt weniger. Das Pro-Kopf-Einkommen
       liegt um fast 12 Prozent niedriger, wenn man die Kaufkraft berücksichtigt.
       
       Die [2][Briten selbst haben auch das Gefühl, dass sie verarmen], und dafür
       einen Begriff geprägt: „The cost of living crisis“, also die Krise der
       Lebenshaltungskosten. In den vergangenen vier Jahren folgte ein
       ökonomischer Schock auf den nächsten: Erst kam der Brexit, dann wurde die
       Coronapandemie so falsch gesteuert, dass die Wirtschaft um 10 Prozent
       einbrach. Kaum hatte sich das Geschäftsleben leidlich erholt, führte der
       [3][Ukrainekrieg] zu einer Inflation von 9 Prozent, weswegen die Bank of
       England die Leitzinsen drastisch hochgesetzt hat, was nun die Wirtschaft
       belastet.
       
       Es wäre leicht, Großbritannien als ökonomisches Desaster zu beschreiben.
       Aber gerade Deutsche sollten sich hüten, selbstzufrieden auf die Nachbarn
       zu blicken. Denn trotz aller Schocks ist die britische Wirtschaft in den
       vergangen vier Jahren stärker gewachsen als die deutsche. Von 2020 bis 2023
       betrug das Plus dort 1,7 Prozent – in der Bundesrepublik waren es nur 0,7
       Prozent.
       
       Die Deutschen sind zwar reicher als die Briten, aber mindestens genauso
       verbohrt. Viele nehmen gar nicht wahr, dass eine Krise droht. Immer noch
       halten es 53 Prozent der Bundesbürger für eine gute Idee, an der
       Schuldenbremse festzuhalten – und auf Investitionen zu verzichten, obwohl
       Straßen und Schienen verrotten und Klimaschutz so wichtig wäre.
       
       ## Der Brexit ist die Schuldenbremse der Briten
       
       Jedes Land hat eben eigene ideologische Marotten. Eine explizite
       Schuldenbremse hat Großbritannien nicht, aber dafür darf der Brexit nicht
       angetastet werden. Der neue [4][Labour-Premier Keir Starmer] versichert
       fast täglich, dass er nicht zurück in die EU will. Stattdessen setzt er auf
       Handel mit fernen Ländern.
       
       Ein Erfolg ist schon in Sicht: Demnächst wird Großbritannien dem
       CPTPP-Handelsvertrag zwischen Australien, Brunei, Chile, Japan, Kanada,
       Malaysia, Mexiko, Neuseeland, Peru, Singapur und Japan beitreten. Diese
       Länderliste ist beachtlich, bringt aber nicht viel: Der britische
       Rechnungshof hat schon ausgerechnet, dass die britische Wirtschaftsleistung
       um ganze 0,04 Prozent steigen wird.
       
       Für die Briten wird es also vorerst dabei bleiben, dass sie weniger als die
       Deutschen verdienen – aber etwa die gleichen Preise zahlen. The „cost of
       living crisis“ geht weiter.
       
       1 Sep 2024
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.numbeo.com/cost-of-living/compare_countries_result.jsp?country1=Germany&country2=United+Kingdom
   DIR [2] /Grossbritanniens-Haushaltsloch/!6023925
   DIR [3] /Schwerpunkt-Krieg-in-der-Ukraine/!t5008150
   DIR [4] /Britische-Regierungsplaene-vorgestellt/!6021092
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Ulrike Herrmann
       
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