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       # taz.de -- Hormonbehandlung für trans Jugendliche: Unergründliches Unbehagen
       
       > Medizinische Hilfen für trans Jugendliche werden von verschiedenen Seiten
       > dämonisiert. Dabei gibt es gute Argumente für die Behandlungen.
       
   IMG Bild: Der körperliche Übergang zum Erwachsenenalter ist eine schwierige Zeit
       
       Einen Druck, sich anzupassen, verspüren wohl alle Kinder und Jugendliche.
       Um beliebt zu sein meist, oder um zumindest nicht gemobbt zu werden. Das
       gilt nicht nur für Schule und Freundeskreis, sondern auch für die eigenen
       Eltern – und es gilt für queere Kinder ganz besonders. Aus teils
       berechtigter Sorge um das eigene Kind und dessen Zukunft entscheiden sich
       Eltern oft für Maßnahmen, die eine größere „Normalität“ herstellen sollen.
       
       Jugendlichen, die sich trauen, sich ihren Eltern gegenüber als homosexuell
       zu outen, wird daher immer noch häufig unterstellt, dies sei nur eine
       Phase, ein „normales“ gegengeschlechtliches Begehren werde sich mit der
       Zeit schon einstellen. Und dies kommt von Eltern, die so liberal sind, dass
       sich ihre Kinder überhaupt trauen, mit ihnen zu sprechen.
       
       Aber auch normierende medizinische Eingriffe sind weiterhin üblich,
       beispielsweise bei „geschlechtlich vereindeutigenden“ Operationen an
       intersex Kindern, oft wenn sie noch sehr klein sind. Ein Eingriff, der nur
       deswegen als legitim wahrgenommen wird, weil der geschlechtlich nicht
       binäre Körper als „nicht intakt“ gelesen wird. Medizinische Behandlungen
       hingegen, die älteren Kindern helfen könnten, mit der Last der
       Zweigeschlechtlichkeit besser umzugehen, gelten vielen noch als verdächtig.
       
       Wenn sich die Pubertät nähert, haben trans Kinder die Möglichkeit, mit
       einer begleitenden Ärzt:in über die Einnahme von sogenannten
       Pubertätsblockern zu sprechen. Diese sollen die Stigmatisierung im
       unerwünschten biologischen Geschlecht verhindern und der jungen
       jugendlichen Person mehr Zeit verschaffen.
       
       ## Prominente Kritik
       
       Diese Behandlung von jungen trans Personen wurde kürzlich durch die „Harry
       Potter“-Autorin Joanne K. Rowling [1][harsch auf Twitter kritisiert]. Die
       britische Schriftstellerin hatte sich schon vor einiger Zeit zur
       Vertreterin von Frauen- und Transrechten erklärt, war aber von trans
       Aktivist:innen und Feminist:innen immer auch scharf kritisiert worden.
       Anfang Juli schrieb sie dann, Kinder – vor allem Mädchen, die nicht den
       herkömmlichen Geschlechternormen entsprächen – würden zu Hormoneinnahme und
       Operationen verleitet.
       
       Rowling warnte vor den angeblich irreversiblen Pubertätsblockern und
       bezeichnete die Behandlung von trans Kindern und Jugendlichen als
       Konversionstherapie, verglich sie also mit einer in Deutschland
       mittlerweile verbotenen Behandlung, die homosexuelle Menschen „heilen“
       soll.
       
       Rowling ist mit derartigen Warnungen nicht allein, sondern höchstens die
       gegenwärtig prominenteste Vertreterin einer differenzfeministischen
       Strömung, die die Existenz von trans Identität routiniert anzweifelt. Ein
       Sprachrohr dieser Strömung ist in Deutschland beispielsweise die
       Zeitschrift Emma, die die Selbstbestimmung von trans Jugendlichen immer
       wieder infrage stellt. In dieser Denkrichtung wird gern eine Manipulation
       unterstellt, der Personen, die sich für geschlechtsangleichende Maßnahmen
       entscheiden, angeblich zum Opfer fallen.
       
       Zugleich wird mit einem Begriff von „Gesundheit“ gearbeitet, der den
       vermeintlich intakten Körper überhöht – und darauf beharrt, seine
       Intaktheit nur durch die Brille des binären Geschlechterverständnisses zu
       begreifen. Auch wenn es in Einzelfällen Probleme geben mag, sind solche
       Generalisierungen falsch und schädlich.
       
       Die pubertätsarretierende Therapie mittels GnRH-Analoga wird seit den
       1990er Jahren an Jugendlichen mit Transidentität angewandt. Diese Hormone
       drosseln die körpereigene Produktion von Testosteron beziehungsweise
       Östrogen. Eine Gabe von Hormonen des selbstidentifizierten Geschlechts
       hingegen erfolgt erst später, in Deutschland üblicherweise ab 16 Jahren,
       geschlechtsangleichende Operationen dann erst in Richtung Volljährigkeit.
       
       Sollten die Pubertätsblocker wieder abgesetzt werden, etwa weil sich die
       Person doch anders entschieden hat, dann verursachen die körpereigenen
       Hormone das Einsetzen der (allerdings späteren) Pubertät. Die Jugendlichen
       werden in diesem Prozess idealerweise von einem Team aus
       Psychotherapeut:innen und verschiedenen Fachärzt:innen begleitet.
       
       Ein [2][Überblicksartikel im Journal für Klinische Endokrinologie und
       Stoffwechsel] vom März bezeichnet die Wirkung der Pubertätsblocker als
       „reversibel“, als Nebenwirkungen nennt der Artikel Stimmungsschwankungen,
       Wachstumsverlangsamung und eine Verzögerung der Knochenreifung. Wenn die
       geschlechtsangleichende Therapie beginnt, könne diese Verzögerung jedoch
       oft aufgeholt werden. Da es wenige trans Kinder gibt und viele erst spät
       auf verständnisvolle Ärzt:innen treffen, gibt es nicht über alle
       Behandlungsvarianten in allen Altersstufen vollständig befriedigendes
       Datenmaterial. Die psychischen Vorteile scheinen jedoch die physischen
       Nachteile zu überwiegen.
       
       ## Schwierige Gesellschaft
       
       Eine 2014 publizierte Outcome-Studie an 55 holländischen Patient:innen, die
       vor Beginn der Pubertätsarretierung, vor Beginn der gegengeschlechtlichen
       Therapie und ein Jahr nach der geschlechtsangleichenden Operation befragt
       und untersucht wurden, zeigt, dass sich das subjektive Wohlbefinden und die
       Lebensqualität im Therapieverlauf signifikant verbessert hatten und im
       Vergleich mit gleichaltrigen cis Jugendlichen gleich oder besser waren.
       
       Kinder und Jugendliche, deren geschlechtliche Identität von ihren
       Bezugspersonen ernst genommen wird, und die in ihrem Entscheidungsprozess
       begleitet und unterstützt werden, haben weniger psychische und soziale
       Probleme. Wenn sie hingegen gezwungen werden, eine Pubertät zu durchlaufen,
       die ihrer Selbstwahrnehmung widerspricht, wenn also als weiblich
       selbstidentifizierte Jugendliche in den Stimmbruch kommen oder männlichen
       Jugendlichen Brüste wachsen, verstärkt das die Ablehnung des eigenen
       Körpers und die damit einhergehende Verzweiflung. Zudem verändern sich die
       Körper in einer nicht angehaltenen Pubertät tatsächlich irreversibel.
       
       Rowling warnt davor, es trans Kids zu leicht zu machen, in vorgeblicher
       Sorge um diese. Wenn diese Sorgen aber als unbegründet oder mindestens
       stark übertrieben gelten können, was ist dann die Motivation dafür, diese
       so vehement vorzubringen? Betreibt Rowling in Wirklichkeit eine
       Hasskampagne, wie einige trans Personen vermuten? Rowling selbst scheint
       fest daran zu glauben, dass sie Frauen und Mädchen vor Eingriffen in ihren
       Körper und ihr Hormonsystem schützen muss.
       
       Sie scheint das auf die gleiche Weise zu glauben, wie die Katholikin und
       Initiatorin der „Demos für alle“, [3][Hedwig Freifrau von Beverfoerde, vor
       der „Frühsexualisierung“ von Kindern warnt] oder die Schriftstellerin
       Sibylle Lewitscharoff auf die Gefahren durch künstliche Befruchtung
       hinweisen will, wenn sie Menschen, die so gezeugt wurden, [4][vor einigen
       Jahren als „Halbwesen“ bezeichnet hat]. Hinter der vermeintlichen Sorge
       steckt die Abwehr des Uneindeutigen, Ambiguen, Perversen, nicht
       Zuordenbaren. Und dahinter lauern die Ängste.
       
       Ängste und deren Abwehr sind jedoch schlechte Ratgeber. Kinder und
       Jugendliche brauchen nicht mehr Warnungen vor ihrem eigenen Empfinden,
       sondern eine größere sichtbare Vielfalt der geschlechtlichen Identitäten
       und des sexuellen Begehrens. Statt sich zu schämen und „falsch“ zu fühlen,
       könnten sie so für sich Vorbilder finden und ihre eigenen Bedürfnisse
       besser benennen. Möglicherweise werden Kinder, die sich nicht mit ihrem
       zugewiesenen Geschlecht identifizieren auch nicht mit „dem anderen“
       Geschlecht identifizieren, wenn es normal für sie ist, dass es eben nicht
       nur zwei gibt.
       
       Vielleicht werden Jugendliche auch für sich die Bezeichnung „nicht binär“
       oder „agender“ statt trans bevorzugen. Das ist aber eben kein Argument
       dafür, Kinder in die Pubertät mit einem Körper zu zwingen, mit dessen
       wahrgenommenen Geschlecht sie sich jedenfalls nicht identifizieren.
       
       15 Jul 2020
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /J-K-Rowlings-transfeindliche-Tweets/!5687871
   DIR [2] https://link.springer.com/article/10.1007/s41969-020-00090-0
   DIR [3] /Konservative-Demo-fuer-alle-in-Hannover/!5027983
   DIR [4] /Kommentar-Lewitscharoffs-Halbwesen/!5046950
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Kirsten Achtelik
       
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