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       # taz.de -- „Housing First“ für Obdachlose: Die eigene Bude ist die beste Hilfe
       
       > Berlin startet Modellprojekt „Housing First“: Wohnungen für Obdachlose
       > ohne Bedingung. Noch fehlen aber die Wohnungen.
       
   IMG Bild: Menschen, die jahrelang auf der Straße leben, brauchen vieles. Aber vor allem eine Wohnung
       
       Kaum ein Thema hat die Stadt zuletzt so beschäftigt wie die zunehmende
       Wohnungslosigkeit. Von rund 40.000 Betroffenen gehen Experten aus.
       Zunehmend sind darunter Familien, Rentner und Langzeitarbeitslose, die in
       Mietschulden geraten und drohen ihre Wohnung zu verlieren oder bereits
       verloren haben. Dazu kommen geschätzt 4- bis 6.000 Obdachlose, die
       buchstäblich auf der Straße leben und häufig sogenannte „multiple
       Problemlagen“ haben: Krankheiten aller Art, Verhaltensstörungen,
       Depressionen. Die Ratlosigkeit, wie man ihnen helfen kann, ist besonders
       groß, denn viele sind nicht in der Lage, bestehende Hilfsangebote
       anzunehmen. Für diese Gruppe startet im Oktober ein Modellprojekt, das in
       den USA und anderen europäischen Ländern bereits Erfolge verzeichnet,
       hierzulande aber weitgehend unbekannt ist: „Housing First“.
       
       Das Konzept stellten drei VertreterInnen von Berliner
       Wohnungsloseninitiativen am Donnerstag im Sozialausschuss des
       Abgeordnetenhauses vor. Die Grundidee sei, Obdachlosen direkt eine Wohnung
       mit eigenem Mietvertrag zu geben, unbefristet und ohne Bedingungen,
       erklärte Claudia Peiter vom Sozialdienst katholischer Frauen (SkF). „Es
       geht um learning by doing: den Haushalt versorgen, einkaufen, mit der
       Nachbarschaft klarkommen.“
       
       Die Annahme weiterer Hilfen wie Therapien sei freiwillig. Einzige Ausnahme:
       Für einen gewissen Zeitraum müssten die Betreffenden Hausbesuche zulassen,
       bei denen ihnen Hilfsangebote vorgeschlagen werden.
       
       ## Menschen stabilisieren
       
       Im Vergleich mit dem bisherigen System bedeutet dies einen
       Paradigmenwechsel. Normalerweise müssen Obdachlose sich durch verschiedene
       Wohnformen – Wohnheime, betreute WG oder Einzelwohnen – „hocharbeiten“,
       indem sie sich gegenüber Beratern und Sozialarbeitern kooperativ zeigen und
       so ihre „Wohnungsfähigkeit beweisen“, erklärte Peiter. Das Problem: „Dabei
       gibt es oft Abstürze“ oder Leute blieben zu lange in der Hilfe stecken.
       
       Die Leiterin der Wohnungslosenhilfe der Berliner Stadtmission, Karen
       Holzinger, ergänzte im Gespräch mit der taz: „Die Idee ist, dass allein die
       Tatsache, dass man wieder in einer sicheren Wohnung lebt, die Menschen
       stabilisiert. Und dass Angebote, die freiwillig sind und nicht Teil eines
       Machtgefälles, eher angenommen werden.“ Sie geht daher davon aus, dass zu
       Beginn des Projekts der Hilfebedarf sehr hoch sein werde. Laut Holzinger
       werde man verschiedene Professionen „flexibel anbieten“, nicht nur
       Sozialarbeiter, auch Hauswirtschaftler würden gebraucht.
       
       Der Haken an der Sache: Den Mangel an günstigem Wohnraum bekommt auch das
       Modellprojekt zu spüren. Die Sozialverwaltung habe leider nicht, wie
       gehofft, etwas über die städtischen Wohnungsbaugesellschaften erreichen
       können, bedauerte Holzinger. Nun werde ab 1. Oktober ein Mitarbeiter im
       Projekt erst einmal Wohnungen an Land ziehen müssen.
       
       Konkret braucht es in den drei Jahren Laufzeit 70 Wohnungen: Das Projekt
       des SkF soll pro Jahr 10 Frauen begleiten, das von der Stadtmission 40
       Männer und Frauen über den gesamten Zeitraum. Holzinger: „Das wird
       spannend: Lassen sich Vermieter darauf ein? Die Leute werden ja umfassend
       bereut. Aber es bleibt natürlich ein gewisses Risiko.“
       
       3 May 2018
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Susanne Memarnia
       
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