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       # taz.de -- Humanitäre Lage im Gazastreifen: Das Wasser wird knapp
       
       > Israel hat seine Stromlieferungen nach Gaza unterbrochen. Das soll die
       > Hamas zu Zugeständnissen zwingen – und hat dramatische Folgen im Alltag.
       
   IMG Bild: Ahmed al-Qassas vor dem Zelt seiner Familie. Links neben den Kindern verläuft ein Abwasser- rinnsal
       
       Deir al-Balah/Chan Junis/Berlin taz | Vor dem Zelt von Ahmed al-Qassas
       riecht es nach Abwasser. In einem flachen Graben nur wenige Meter neben der
       temporären Behausung seiner Familie steht die Brühe und versickert nach und
       nach im sandigen Boden. Nach der israelischen Invasion der Stadt Rafah im
       Süden des Gazastreifens ist die Familie al-Qassas nach Chan Junis geflohen,
       seitdem leben Eltern und Kinder dort als Binnengeflüchtete in einem
       Zeltcamp. Was früher eine Selbstverständlichkeit war – fließendes Wasser,
       sauberes Trinkwasser, ein Bad, eine Toilette –, ist für sie jetzt zum
       Problem geworden.
       
       Früher, in seiner Wohnung in Rafah, an der Grenze zum Nachbarland Ägypten,
       öffnete Ahmed al-Qassas einfach den Hahn. Nun warte seine Familie täglich
       darauf, dass der Lastwagen mit entsalztem Meerwasser ins Camp komme.
       „Manchmal bezahlen wir eine kleine Gebühr, manchmal stellen
       Hilfsorganisationen es kostenlos zur Verfügung“, erzählt al-Qassas. Mit
       Kanistern in den Händen stellen er oder seine Kinder sich dann in die Reihe
       der Wartenden. Es ist die einzige Option, um günstig an sauberes
       Trinkwasser zu kommen.
       
       Bisher konnte al-Qassas sich die „kleine Gebühr“ leisten – obwohl er in
       Rafah neben der Wohnung auch seine Arbeit in einem Supermarkt verloren hat.
       [1][Doch seit vergangener Woche hat Israel seine Stromlieferungen in den
       Gazastreifen wieder unterbrochen]: ein Druckmittel, um die Hamas zu
       Zugeständnissen in den Verhandlungen über den Geisel-Waffenruhe-Deal zu
       zwingen. Und eine Bedrohung für Familie al-Qassas. Denn mit dem Strom aus
       Israel wurde im nördlich von Chan Junis gelegenen Deir al-Balah die
       Entsalzungsanlage betrieben, die Südgaza mit Frischwasser versorgt. Ohne
       den Strom aus Israel musste die nun in die Notversorgung wechseln.
       Entsalztes Wasser wird knapp, die Preise dafür steigen.
       
       Schon einmal hatte Israel seine Stromlieferungen in den Gazastreifen
       gekappt – am 7. Oktober 2023, nach dem Beginn des Massakers der Hamas und
       anderer militanter Gruppen an israelischen Zivilisten und Soldaten. Etwa
       120 Megawatt habe der Gazastreifen damals innerhalb kürzester Zeit
       eingebüßt, erzählt Mohammed Thabet, Sprecher der Gaza Electricity
       Distribution Company (GEDCO). Das ist der Großteil des vor dem Krieg im
       Küstenstreifen verbrauchten Stroms. Das einzige Kraftwerk im Gazastreifen
       konnte [2][verschiedenen Medien] zufolge zusätzliche 80 Megawatt
       produzieren. Doch auch das reichte längst nicht aus, um den Bedarf zu
       decken. Mit Treibstoff betriebene Generatoren im Privat- und Firmenbesitz
       sowie Solarpanels gewannen an Bedeutung. Aber bis heute ist nur ein
       Bruchteil des Vorkriegsniveaus an Megawatt erreicht.
       
       ## Vergebliche Zusammenarbeit mit Israel
       
       Ende 2024 hatten die palästinensische Energiebehörde, GEDCO und
       US-amerikanische Mediatoren mit Israel ausgehandelt, dass die
       Entsalzungsanlage in Deir al-Balah mit 5 Megawatt aus Israel versorgt
       werden soll. Durch israelische Angriffe, erzählt Thabet, sei zuvor die
       große Stromleitung, die zu der Entsalzungsanlage führt, beschädigt worden.
       Die Kissufim Line trägt den Namen des Kibbuz, der Deir al-Balah auf
       israelischer Seite gegenüberliegt. Auch er wurde am 7. Oktober überfallen.
       GEDCO habe die Kissufim Line zweimal wieder aufgebaut, sagt Thabet. Die
       Reparatur habe man mit Israel koordiniert, weil die Leitung nahe des
       Grenzzauns verlaufe.
       
       All die Mühen seien vergeblich gewesen, sagen nun viele. Lokalen Quellen
       zufolge produziert die Entsalzungsanlage ohne den Strom aus Israel nur noch
       30 Prozent der vorherigen Kapazitäten mithilfe von Generatoren und
       Solarpanels. Israel lässt schon seit Anfang März keine Hilfsgüter mehr in
       den Gazastreifen – auch keinen Treibstoff. Das eingelagerte Benzin wird
       teurer, die Vorräte knapper. Irgendwann, so die Befürchtung, fällt die
       Entsalzungsanlage in Deir al-Balah völlig aus.
       
       Gegenden, die bisher dreimal pro Woche Wasser geliefert bekamen, erhielten
       es jetzt viel seltener, sagt Thabet. Er fürchtet eine humanitäre
       Katastrophe.
       
       Auch Angehörige der im Gazastreifen verbliebenen israelischen Geiseln
       sorgen sich. 24 von ihnen sollen noch am Leben sein, einige Angehörige
       haben eine Petition vor dem Obersten Gerichtshof eingereicht, die Israel
       auffordert, die Stromversorgung wieder aufzunehmen. Die Entscheidung der
       Netanjahu-Regierung, sagen sie, bringe ihre Lieben in Gefahr.
       
       ## Dreckwasser ist eine Gefahr
       
       Etwa 100 Liter Wasser – zum Trinken, aber auch zum Kochen, Waschen,
       Abspülen – benötige seine Familie am Tag, erzählt Ahmed al-Qassas. Zwei
       kleine Kinder – acht Monate und drei Jahre alt – gehören zu ihr, seine Frau
       und er, die Mutter und der kranke Vater. Vor allem für Kinder und Ältere
       kann verunreinigtes Wasser schnell zur Gefahr werden.
       
       Obwohl gerade Ramadan ist – ein Monat, in dem Muslime tagsüber fasten, aber
       morgens und abends auftischen –, habe er seine Frau gebeten, weniger zu
       kochen, sagt al-Qassas. Kurz nachdem Israel die Kappung der Stromversorgung
       angekündigt hat, kam zum ersten Mal der Tanklaster nicht ins Camp.
       
       Zum Duschen, Abspülen, Waschen holt die Familie al-Qassas sich Wasser an
       einer Versorgungsstelle. Es ist trüb – sicher nicht zum Trinken geeignet.
       Und eigentlich auch nicht zur Körperpflege. Doch eine Wahl bleibt der
       Familie nicht. Seine kleine Tochter habe gerade eine Hautkrankheit, sagt
       Ahmed al-Qassas. Der Besuch beim Arzt habe nichts gebracht, die
       verschriebenen Medikamente könne er sich nicht leisten. [3][Er ist sicher,
       am Schmutzwasser habe sich die Kleine infiziert]. Im ganzen Camp würden die
       Menschen selber Gruben in den sandigen Boden graben und ihr Abwasser
       hineinleiten.
       
       Das Abwasser macht auch GEDCO-Sprecher Mohammed Thabet Sorgen. Die Pumpen,
       die das Wasser reinigten, fielen irgendwann aus, das verschmutzte Wasser –
       etwa aus dem Rinnsal neben dem Zelt von Ahmed al-Qassas – fließe ins Meer.
       Und damit auch an Israels Küste.
       
       Trotz allem, sagt Ahmed al-Qassas, begegne er jedem neuen Tag mit Geduld
       und mit Glauben. An Gott. Und daran, dass er auch an diesem Tag wieder
       Wasser auftreiben kann – irgendwie.
       
       14 Mar 2025
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Krieg-in-Nahost/!6071568
   DIR [2] https://today.lorientlejour.com/article/1352455/impact-of-israels-total-siege-on-gaza.html
   DIR [3] /Humanitaere-Lage-im-Gazastreifen/!6042275
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Sami Ziara
   DIR Lisa Schneider
       
       ## TAGS
       
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