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       # taz.de -- Humanitäre Lage in Gaza: Auch wo es Nutella gibt, hungern Menschen
       
       > Im Gazastreifen gibt es auch im Krieg weiter Restaurants und Cafés.
       > Mohammed Aref betreibt eines in Gaza-Stadt. Wie passt das mit Hunger
       > zusammen?
       
   IMG Bild: Vorne am Tresen gibt es Desserts, hinter dem Restaurant wird für Hilfsorganisationen gekocht: Chef Hamadas Lokal in Gaza-Stadt
       
       Gaza-Stadt/Tel Aviv taz | Im Restaurant von Chef Hamada auf der
       Al-Wahda-Straße in Gaza-Stadt lassen sich die [1][beginnende Offensive der
       israelischen Armee] und der Hunger für einen Augenblick vergessen. Eine
       dicke Nutellaglasur überdeckt kleine Pfannkuchen – und die Bitterkeit des
       Krieges. Drinnen gibt es Waffeln und Milchshakes, draußen stehen nebenan
       nur noch die Grundmauern des Nachbarhauses.
       
       Chef Hamada, der eigentlich Mohammed Aref heißt, hat sein gleichnamiges
       Restaurant Ende Februar nach seiner Rückkehr aus Südgaza nach Gaza-Stadt
       eröffnet. Werbung für sein Geschäft macht Aref vor allem auf Instagram, wo
       ihm mittlerweile fast 70.000 Menschen folgen. Der potenziellen Kundschaft
       präsentiert der stets strahlende Aref dort Schokoladenkuchen, Pizza und
       Waffeln – [2][ausgerechnet in Gaza-Stadt, für die Experten der Integrated
       Food Security Phase Classification (IPC) erst im August eine Hungersnot
       ausgerufen hatten.]
       
       Darauf sind auch proisraelische Influencer und das israelische
       Außenministerium jüngst aufmerksam geworden. Die Berichte über eine
       [3][Hungersnot im Gazastreifen] bezeichnen sie als „vollkommen falsche
       Hamas-Kampagne“.
       
       Mehrere Videozusammenschnitte auf dem offiziellen Youtube-Kanal des
       Ministeriums zeigen Lebensmittelmärkte und Restaurants wie das von Hamada
       in Gaza-Stadt. „Bilder lügen nicht“, steht dort auf mehreren Sprachen. Für
       sie ist klar: Wo es Schoko-Pfannkuchen gibt, [4][kann keine Hungersnot
       herrschen].
       
       Aref, der im echten Leben sehr viel ernster ist, macht das wütend. „Von
       meinem Geschäft leben alleine in meiner Familie 70 Menschen – natürlich
       mache ich Werbung, um Kundschaft zu bekommen.“ Anfang August hat Israel
       außerdem wieder kommerzielle Transporte von [5][Gütern in den Gazastreifen]
       genehmigt. Für die Nutella-Gläser aus seinen Videos habe er umgerechnet
       fast 90 Euro pro Glas bezahlt.
       
       ## „Wir wollten auch ein Stück Normalität schaffen“
       
       Aref führt durch das Restaurant. Als Mitte Januar die temporäre Waffenruhe
       für den Gazastreifen verkündet wurde, kehrte er nach Gaza-Stadt zurück und
       begann gleich mit der Renovierung des Lokals. Im vorderen Teil stehen nun
       Plastiktische, auf der Theke knetet ein Angestellter Pizzateig. Auf die
       Teigfladen legt er Dosenmais und Käse. Für umgerechnet 20 bis 30 Euro gibt
       es Milchshake, Pizza – und einen Moment Normalität, f[6][ür die Wenigen,
       die es sich leisten können].
       
       Im Restaurant ist am Nachmittag wenig los, die meisten Bewohner des
       Küstenstreifens haben nach zwei Jahren Krieg und Vertreibung kein Einkommen
       mehr. Viele haben ihre Ersparnisse längst aufgebraucht. Wer Lohn von
       außerhalb Gazas erhält, muss oft Kommissionen von rund 50 Prozent bezahlen,
       um an das Geld in bar zu kommen.
       
       „Wir wollten auch ein Stück Normalität schaffen“, sagt der Unternehmer
       Aref, der mit 17 Jahren die Schule abgebrochen und seither in Restaurants
       gearbeitet hat. Während der Waffenruhe, bei der täglich rund 600
       [7][Lastwagen mit Hilfsgütern nach Gaza] kamen, habe das gut funktioniert.
       Ab dem Beginn der israelischen Blockade im März sei es schwer geworden,
       noch Zutaten zu finden. „Anfang des Jahres konnte ich 70 Mitarbeiter
       beschäftigen, jetzt sind es noch halb so viele.“
       
       Die Drehspieße für Schawarma sind leer. Fleisch habe er schon lange nicht
       mehr gehabt, sagt Aref. Es sollen jüngst auch zwei Lastwagen mit Hähnchen
       im Gazastreifen angekommen sein. Aber [8][alles werde auf dem Schwarzmarkt
       verkauft] – zu hohen Preisen und nach Regeln, die er selbst nicht verstehe.
       
       ## Linsen und Reis für die Hilfsorganisationen
       
       Vor der Türe ziehen Menschen mit leeren Töpfen auf dem Weg zu
       Ausgabestellen für humanitäre Hilfe vorbei. Im Restaurant spielt Musik,
       unterbrochen vom Klappern der Küchengeräte. Mitunter klirren die Fenster
       von Explosionen in der Ferne. In den Vororten von [9][Gaza-Stadt ist
       bereits die israelische Armee vorrückt] und bereitet sich auf die Eroberung
       der Stadt vor.
       
       Arefs wichtigste Einkommensquelle liegt im mit Planen überspannten
       Hinterhof. Dort kochen er und sein 30-köpfiges Team in großen Töpfen Linsen
       und Reis für die Verteilung durch Hilfsorganisationen. An den Wänden reihen
       sich Konserven mit Tomatensoße, Säcke mit Reis und Feuerholz, derzeit der
       einzige Brennstoff.
       
       Die zwischenzeitlich astronomischen Preise seien mittlerweile leicht
       gefallen, der Hunger aber geblieben. Derzeit koste eine Reisfüllung für
       einen der gewaltigen Kochtöpfe für [10][die humanitäre Verteilung]
       umgerechnet 500 Euro, im Juli sei es noch dreimal so viel gewesen.
       
       Dennoch reiche es meist nicht für alle, sagt Aref. [11][Selten gebe es
       Gemüse, Früchte oder Eier, fast nie Fleisch]. In Vorbereitung auf die
       Offensive auf Gaza-Stadt hat Israel humanitäre Pausen für Hilfstransporte
       in den Norden zudem bereits gestoppt, seither ziehen die Preise wieder an.
       
       ## Ein neues Leben zwischen Trümmern
       
       Seit Mai versucht Israel, etablierte Hilfsorganisationen zu verdrängen und
       die Bevölkerung [12][über zentralisierte Verteilstellen der Gaza
       Humanitarian Foundation (GHF)] versorgen zu lassen. Für Nordgaza betreibt
       die Organisation nur eine Ausgabestelle, an der laut vielfacher Berichte
       chaotische Zustände herrschen. Mehr als 2.000 Hilfesuchende wurden seit Mai
       nahe der GHF-Zentren erschossen, die meisten von der israelischen Armee.
       
       Olga Cherevko, die für das [13][UN-Nothilfebüro OCHA] in Gaza arbeitet,
       warnt zudem: Auch Videos von Märkten seien keine Beweise gegen eine
       Hungersnot. Selbst die gesunkenen Preise blieben für den Großteil der
       Bevölkerung weiter unbezahlbar: „Die meisten Familien haben nach fast zwei
       Jahren ohne Einkommen ihre Ersparnisse aufgebraucht“, sagt Cherevko am
       Telefon. Nutella, Chips und Instantnudeln könnten zudem niemanden gesund
       machen, der über Monate unterernährt war. Um eine Katastrophe zu
       verhindern, müsse der Gazastreifen mit Hilfsgütern „überschwemmt“ werden.
       
       Der Kinderarzt Musab Farwana sagt am Telefon, sein Krankenhaus müsste
       eigentlich 500 Kinder pro Tag mit Spezialnahrung behandeln, [14][die
       Vorräte seien jedoch erschöpft].
       
       ## „Eine Menge aus Nichts“
       
       Aref hat zu Kriegsbeginn seine Frau und die zwei Kinder aus Gaza
       herausbringen können, seit mehr als 600 Tagen ist er von ihnen getrennt.
       [15][Nach der Flucht in den Süden landet er zunächst in Rafah] und
       beschließt nach einigen Monaten ohne Arbeit, einen Essensstand aufzumachen.
       
       Zunächst in Rafah, dann in Nuseirat in Zentral-Gaza hielt er sich seitdem
       mit Restaurants über Wasser, lebt in einem Zelt. „Im Sommer haben wir es
       vor Hitze kaum ausgehalten, im Winter hat der Regen alles überschwemmt“,
       erinnert sich Aref. Die erste Chance zur Rückkehr in den Norden nutzte er.
       
       Bei Instagram zeigen seine Videos vom 28. Januar ihn in der Karawane der
       Zehntausenden Rückkehrer. Vom Haus seiner Familie nahe [16][dem
       Al-Schifa-Krankenhaus] findet Arif damals nur noch eine Ruine vor.
       
       Seither haben viele versucht, sich zwischen den Trümmern wieder ein Leben
       aufzubauen. Aref deutet auf seinen Pizzaofen, den er aus Material aus den
       zerstörten Häusern habe bauen lassen. „Wir können hier in Gaza aus Nichts
       eine Menge machen. Aber wir sind erschöpft.“ Es mache ihm Angst, erneut
       vertrieben zu werden – und es nicht noch einmal auf die Beine zu schaffen.
       
       11 Sep 2025
       
       ## LINKS
       
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