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       # taz.de -- Humboldt Forum in Berlin eröffnet: Kritik? Egal!
       
       > Bei der digitalen Eröffnung des Humboldt Forums im Stadtschloss ging man
       > der Kontroverse aus dem Weg. Die wieder aufgeflammte Kritik war kein
       > Thema.
       
   IMG Bild: Außen retro, im Geiste auch: das Humboldt Forum in Berlin
       
       Berlin taz | Mit dieser Veranstaltung hat sich das Humboldt Forum keinen
       Gefallen getan. Als am Mittwochabend der deutsche Fernsehmoderator Mitri
       Sirin zur digitalen Eröffnung des Humboldt Forums in der Berliner
       Schlossattrappe lud, da war von Anfang an klar, in welche Richtung seine
       ersten Fragen gehen müssen. Zu laut ist es in den vergangenen Tagen um das
       677 Millionen Euro teure Prestigeobjekt mit Geburtsfehler im Herzen der
       Stadt geworden.
       
       Der Intendant des Forums, Hartmut Dorgerloh, hätte also auf Sirins Frage zu
       kritischen Stimmen im Allgemeinen und [1][Nigerias jüngst erneut geäußerten
       Anspruch auf die Benin-Bronzen] im Besonderen gut vorbereitet sein können.
       Stattdessen lautete seine freche Antwort, dass „uns die Leute die Bude
       einrennen werden“. Und wenig später flimmerten doch tatsächlich auf dem
       hohen Medienturm im Foyer des Forums wie zur Untermalung von Dorgerlohs
       Aussage Bilder ebenjener Bronzen, die im Rahmen der schrittweisen Eröffnung
       des Forums ab dem Spätsommer das Publikum in Scharen anlocken sollen.
       
       Zur Erinnerung: Die Kritik am Humboldt Forum war immer harsch, ist aber
       zuletzt noch einmal zu Höchstform aufgelaufen. Ein Förderverein trommelt
       derzeit damit, den Palast der Republik wiederaufbauen zu wollen. Tags zuvor
       organisierte die Coalition of Cultural Workers Against the Humboldt Forum
       (CCWAHF), eine Gruppe von Kulturproduzent*innen in Berlin, einen
       Protestchor und eine Plakataktion auf dem Schinkelplatz.
       
       Auch die Kunsthistorikerin Bénédicte Savoy, die bis 2017 Mitglied im
       wissenschaftlichen Beirat des Humboldt Forums war und aus Protest
       zurücktrat, hat sich wieder zu Wort gemeldet, ebenso das Bündnis Decolonize
       Berlin mit der Website [2][barazani.berlin], das die [3][Geschichte der
       Kritik am Forum nachzeichnet.]
       
       Die brisanteste Diskussion aber, die gerade aufflammt und auf die Dorgerloh
       am Mittwochabend so unverschämt reagierte, ist die über die berühmten
       Benin-Bronzen. Jusuf Tuggar, der Botschafter Nigerias in Berlin, erneuerte
       erst vergangene Woche die Forderung an Deutschland, endlich die
       umstrittenen Benin-Bronzen zurückzugeben. Erstmal hat Nigeria das 1972
       verlangt.
       
       Im Jahr 1897 hatten britische Soldaten bei einer Strafexpedition
       Benin-Stadt verbrannt und unter anderem 3.500 bis 4.000 Bronzen geraubt.
       „Allein die Vorstellung, in der heutigen Zeit koloniale Raubkunst wie die
       Benin-Bronzen hinter der Fassade eines rekonstruierten
       Hohenzollern-Schlosses präsentieren zu können, lässt sich nur mit
       kuratorischer Naivität, kulturpolitischer Ignoranz oder einem
       Geschichtsbild von vorgestern erklären“, so Daniel Wesener,
       kulturpolitischer Sprecher der Berliner Grünen, zur bräsigen Haltung des
       Humboldt Forums.
       
       Nun ist es nicht an Hartmut Dorgerloh allein zu entscheiden, ob die
       Benin-Bronzen dorthin zurückdürfen, wo sie nun mal ohne Wenn und Aber
       hingehören. Anders als in Frankreich hat sich in Deutschland bislang wenig
       getan, was sich eine offizielle Linie in Sachen Rückgabepolitik nennen
       könnte.
       
       Und auch in der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, die das Ethnologische
       Museum mitsamt den Bronzen verwaltet, spricht man noch immer lieber über
       den Ausbau der Kooperationen mit Herkunftsländern und
       Ursprungsgesellschaften als über Restitution. Und gerade deshalb wirkte die
       Antwort Dorgerlohs so anmaßend, dass sie sich wie ein hässlicher Schatten
       über den Rest der digitalen Eröffnung legte.
       
       Immer wieder musste man sich fragen, ob die hartnäckige Kritik dieses Forum
       wirklich erneuert hat oder ob all die fortschrittlichen Akteur*innen nur
       deshalb zur Mitwirkung eingekauft wurden, um dem Ganzen einen frischen
       Anstrich zu verpassen und den Kern des Ganzen, die Frage nach angemessener
       Aufarbeitung des Kolonialismus, zu umschiffen.
       
       Die Projekte im Humboldt Forum, die diese Frage wirklich aufwerfen, sie
       wurden bei der Eröffnung schlecht verkauft: Bei der Einführung in die
       Ausstellung „Nach der Natur“ der Humboldt-Universität zum Beispiel, wo
       drängende Fragen wie Klimawandel, Umwelt- und Generationengerechtigkeit
       verhandelt werden, kam der leitenden Kurator, Gorch Pieken, ganze zwei
       Minuten zu Wort.
       
       Oder bei der Ausstellung des Berliner Stadtmuseums „Berlin Global“, wo es
       um das komplizierte Verhältnis Berlins zur Welt geht: Anstatt Kurator Paul
       Spies viel über die Ausstellung selbst erzählen zu lassen, in der es auch
       um die Auswirkungen des Kolonialismus auf die Stadt bis heute geht, lässt
       man ihn lustig über Armbänder plaudern, die man sich nach der analogen
       Eröffnung eingangs holen und am Ende wird auswerten lassen können. Der
       kolossale Cremekasten in Berlins Mitte ist und bleibt eine weiße
       Machtdemonstration des westlichen Kapitalismus – das hat die digitale
       Eröffnung am Dienstagabend vor allem gezeigt.
       
       Es wird weiterhin großer Anstrengungen bedürfen, daraus ein echtes Labor,
       ein kontroverses Ausstellungshaus zu machen, wo sogar mit jenen noch über
       die unbequemsten Fragen gestritten werden kann, die es am liebsten abreißen
       würden.
       
       17 Dec 2020
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Susanne Messmer
       
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