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       # taz.de -- Identitäre gegen Flüchtlingsrettung: Rumschwimmen, bis das Geld alle ist
       
       > Rechte Gruppen wollen die Rettung von Flüchtlingen im Mittelmeer
       > behindern. Doch dümpelt ihr Schiff seit einer Woche vor Suez herum.
       
   IMG Bild: Erst kündigten die Identitären an, NGO-Rettungsschiffe „stoppen“ zu wollen. Es ging ihnen aber auf, dass dies illegal wäre
       
       Die rechtsextreme Antwort auf die zivilgesellschaftlichen Seenotretter im
       Mittelmeer ist ein Schiff namens „C Star“. Gechartert wurde es von der
       neonationalistischen Identitären Bewegung, um die „Invasion der Illegalen“
       zu stoppen. Mit viel Social Mediagetöse sind in den letzten Tagen führende
       Kader der Identitären aus Frankreich, Deutschland, Österreich und Italien
       zum Start ihres „Defend Europe“-Projekts im sizilianischen Catania
       eingetroffen. Ihr Ziel: das gute Dutzend NGOS zu behindern, die vor Libyen
       Schiffbrüchige retten.
       
       Erst kündigten die Identitären an, NGO-Rettungsschiffe „stoppen“ zu wollen.
       Es ging ihnen aber auf, dass dies illegal wäre. Dann schrieben sie, sie
       böten der libyschen Küstenwache ihre „Hilfe bei der Beendigung des
       kriminellen NGO-Wahnsinns“ an. Damit sind sie auf einer Linie mit
       Österreichs Außenminister Sebastian Kurz von der ÖVP, der Österreichischen
       Volkspartei, der das Gleiche sagt und seit Langem verlangt, die zentrale
       Mittelmeerroute zu schließen. Die Identitären wollen dazu die Funksprüche
       der Seenotretter „überwachen“ und „eingreifen, wenn etwas Illegales
       geschieht“. Im Spendenaufruf verspricht „Defend Europe“, „alles“ zu tun,
       damit die Flüchtlinge „an die afrikanische Küste zurückgebracht“ werden.
       
       Bereits am 14. Mai hatte eine kleinere Gruppe der Identitären um den
       Österreicher Martin Sellner und den Italiener Lorenzo Fiato versucht, mit
       einem Schlauchboot das Rettungsschiff „Aquarius“ der deutschen NGO SOS
       Méditeranée im Hafen von Catania am Auslaufen zu hindern. Die Küstenwache
       schritt ein. Daraufhin begann der „Verein zur Erhaltung und Förderung der
       kulturellen Identität“ aus Graz, ein von Sellner angeführter Trägerverein
       der österreichischen Identitären, Geld für ein größeres Schiff zu sammeln.
       
       ## Wurden die Rechten festgesetzt?
       
       Bald hatten sie 63.000 Euro zusammen. Der Bezahldienst Paypal fror jedoch
       das Konto ein und gab das Geld an die Spender zurück. Die Identitären
       wichen auf die Crowdfundingplattform weSearchr aus, die von dem
       US-amerikanischen Alt-Right-Aktivisten Charles Johnson betrieben wird. Bis
       Donnerstag zahlten rund 1.500 Spender dort 123.000 US-Dollar ein.
       
       Damit charterten die Identitären die „C Star“. Das 40 Meter lange Schiff
       verließ seinen Heimathafen Dschibuti am 8. Juli. Seit dem 13. Juli ankert
       es vor Adabiya im Suezkanal. Das letzte Mal funkte ihr Transponder von dort
       am Mittwochmorgen. [1][Am Donnerstag berichtete die britische NGO „Hope not
       Hate“], ein Beamter der Hafenbehörde habe gesagt, die „C Star“ sei von den
       Sicherheitsbehörden, weil Papiere fehlten, festgesetzt worden. „Fake News“,
       schrieb „Defend Europe“ dazu. Eine andere Erklärung, warum das Schiff seit
       einer Woche vor Suez dümpelt, gab die Bewegung nicht.
       
       Die „C Star“ gehört einer Reederei namens C Vessels aus dem britischen
       Cardiff. Diese ist nach eigenen Angaben 2012 aus marinen
       „Sicherheitsfirmen“ hervorgegangen, die an der ostafrikanischen Küste
       operieren. Hinter C Vessels steht der Schwede Sven Tomas Egerstrom. Dieser
       sagte Hope not Hate, er sehe kein Problem darin, dass sein Schiff von
       „Defend Europe“ vor Libyen für „Recherchen“ genutzt werde.
       
       Sechs Identitäre sollen bei der Mission an Bord sein, dazu die Crew. Die
       Identitären haben erklärt, auch „Sicherheitsleute“ dabeizuhaben, falls es
       zu Zwischenfällen mit bewaffneten Schleppern komme. Der italienische
       Identitären-Anführer Fiato sagte, es solle sich bei diesen
       Sicherheitsleuten um Ukrainer handeln. Dazu passt, dass Egerstrom Ex-Chef
       und nach Recherchen von „Hope not Hate“ bis heute auch Anteilseigner einer
       weiteren Firma namens Sea Marshals Risk Management aus Cardiff ist. Diese
       bietet „bewaffnete Sicherheitsteams“ an – unter anderem aus ukrainischen
       Seeleuten. Sollte die C-Vessel-Crew aus solchen „bewaffneten Teams“
       bestehen, das Eskalationspotenzial in der Gemengelage aus Schleppern,
       Küstenwächtern, EU-Marine, NGO- und Flüchtlingsbooten wäre enorm.
       
       Doch offenbar ist noch jemand bereits an Bord: Am Mittwoch postete der aus
       Bonn stammende Alexander Schleyer auf seinem Instagram-Kanal ein Bild, das
       ihn auf der Brücke eines Schiffes zeigt. „Me on bridge duty navigating her
       in the Red Sea“, schrieb er dazu. Der heute in Wien lebende Schleyer hatte
       Sellner nach der Schlauchboot-Aktion im Mai geschrieben: „Ihr braucht ein
       richtiges Boot. […] Melde mich dann auch freiwillig als Navigator.“ Die
       Kenntnisse dazu erwarb er vermutlich bei der Bundeswehr. Denn Schleyer
       bloggte einst für das neurechte Magazin Blaue Narzisse aus Chemnitz, und
       zwar über seinen Einsatz auf dem deutschen Marineschulschiff „Gorch Fock“.
       Ausweislich seiner Autorenbiografie diente Schleyer nach dem Abitur zwei
       Jahre als Marinesoldat und war auch als Funker auf dem Bundeswehrboot
       „Alster“ bei der UNIFIL-Mission vor Libanon im Einsatz.
       
       ## Identitäre warten in Catania
       
       Bis Januar 2017 arbeitete Schleyer für den FPÖ-Abgeordneten Christian
       Höbart. Dann tauchten Bilder von Schleyer vor einer Reichskriegsflagge auf,
       dazu sein Posting an Sellner, in dem er sich dazu „bekenne, Kanackenkinder
       ausgrenzen zu wollen“ und deren „primitive Eselfickerkulturen dahin zu
       verbannen, wo sie geläufig sind“.
       
       Während die „C Star“ im Roten Meer feststeckte, wuchs die Zahl der
       Identitären, die in Catania auf sie warten. Neben Sellner und Fiato sind
       bis Donnerstag unter anderem der Österreicher Patrick Lenart und der
       Franzose Clément Galant aus Lyon eingetroffen. Aus Deutschland kamen der
       Berliner Architekturstudent und Identitären-„Regionalleiter“ Robert Timm
       sowie Simon Kaupert vom Identitären-Ableger Kontrakultur Halle.
       Gesellschaft leisten ihnen die Publizistinnen Katie Hopkins von dem
       britischen Krawallblatt Daily Mail und die US-amerikanische
       Alt-Right-Bloggerin Brittany Pettibone, die sich sonst gern über „Genozid
       an den Weißen“ auslässt, sowie Laura Southern, die zuletzt bei der „Welcome
       to Hell“-Demo in Hamburg gesichtet wurde.
       
       Enzo Bianco, der Bürgermeister von Catania, hat gegenüber den
       Seerettungs-NGOs am Mittwoch versichert, er werde die „C Star“ nicht in den
       Hafen einlaufen lassen. Was geschieht, wenn das Schiff mit den rechten
       Aktivisten trotzdem Richtung Libyen in See sticht, ist unklar. Die libysche
       Küstenwache ist unberechenbar. Und bis heute duldet Libyen nicht einmal die
       Schiffe der EU-Marinemission EUNAVFOR MED in seinen Gewässern – und die EU
       ist der wichtigste Partner der libyschen Regierung. Wahrscheinlichstes
       Szenario ist, dass die Identitären an die Grenze der libyschen Gewässer
       fahren, ein paar Transparente über die Reling hängen und Instragram-Selfies
       posten, bis ihr Geld für die Schiffsmiete aufgebraucht ist.
       
       ## Die EU-Flüchtlingspolitik
       
       Die Seerettungs-NGOs wollen zu der Identitären-Aktion nichts sagen, um sie
       nicht aufzuwerten. Sie plagen andere Sorgen. Zwar konnte der italienische
       Staatsanwalt Carmelo Zuccaro seine Vorwürfe, die NGOs arbeiteten mit den
       Schleppern zusammen, bei einer Anhörung im italienischen Senat im April
       nicht untermauern. Doch jetzt ist es die EU, die ihnen das Leben
       schwermacht.
       
       Am vorvergangenen Freitag sollte es in Rom ein großes Treffen aller NGOs
       mit der italienischen Rettungsleitstelle MRCC geben, um die Zusammenarbeit
       zu besprechen. Doch kurz davor sagte MRCC ab – wegen „operativer
       Veränderungen“. Gemeint war damit offenbar ein sogenannter Verhaltenskodex,
       den die EU den NGOs auferlegen will. Ein Knackpunkt: Die NGOs sollen
       verpflichtet werden, jeden aufgenommenen Schiffbrüchigen selbst in einen
       sicheren Hafen zu bringen. „Dafür sind wir nicht ausgelegt“, sagt Titus
       Molkenbur von der NGO „Jugend Rettet“. Deren Schiff Iuventa kann nur 25
       Personen aufnehmen. Bei den anderen NGOs ist es ähnlich. Sie sichern
       deshalb die Schiffbrüchigen vor Ort mit Rettungswesten, mit Beibooten, bis
       ein großes Transportschiff sie aufnimmt. „Wenn wir künftig selbst den
       langen Weg bis nach Italien fahren müssen, wären wir tagelang nicht vor
       Ort“, sagt Titus. Genau das, glaubt er, sei der Hintergedanke des Kodex.
       
       21 Jul 2017
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] http://hopenothate.org.uk/2017/07/20/defend-europe-ship-arrested-port-suez/
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Christian Jakob
       
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