# taz.de -- Illegaler Welpenhandel: Tierheime am Limit
> Die Nachfrage nach Hunden ist in der Hochphase der Pandemie enorm
> gestiegen, der illegale Welpenhandel boomt. Die Folge sind überfüllte
> Tierheime.
IMG Bild: Ein Hund im Tierheim Hamburg wartet auf neue BesitzerInnen
Berlin taz | Pauline schaut mit ihre rot unterlaufenen Kulleraugen in die
Kamera. Die schwarz-weiße Bulldogge trägt eine Halskrause aus Plastik und
steht apathisch vor einem Hundebett im Koblenzer Tierheim, einen Tag zuvor
wurde sie notoperiert. „Du? Hallo?“, sagt Leiterin Kirstin Höfer mit
sanfter Stimme zu Pauline, doch die Hündin reagiert nicht. „Alles wird
gut“, sagt Höfer immer wieder. [1][Am Ende des Videos], das auf der
Facebook-Seite des Tierheims zu sehen ist, fragt Höfer: „Wer kennt diesen
Hund?“
Die zwischen fünf und sechs Jahre alte Bulldogge wurde mit schweren
Verletzungen ausgesetzt. Als eine Passantin sie am 8. Juli auf einem
Friedhof findet, so erzählt es Höfer, hängt Scheidengewebe aus ihrer
angeschwollenen Vagina heraus. „Pauline wurde jahrelang als Zuchthündin
benutzt, das belegt ihre ausgeleierte Gebärmutter“, sagt die
Tierheimleiterin. „Ihre rosafarbenen Pfoten deuten darauf hin, dass mit ihr
nie jemand spazieren gegangen ist.“
Höfer vermutet, dass Pauline kürzlich Welpen geboren hat. „Dabei hat sich
ihre Vagina von innen nach außen gestülpt.“ Wegen der großen runden
Welpenköpfe seien Bulldogen anfälliger für diese Verletzung, die
Scheidenvorfall heißt und operiert werden muss. Doch statt Pauline zum
Tierarzt zu bringen, haben ihre Besitzer*innen sie wie Müll entsorgt.
„Mit der Verletzung war Pauline für sie wertlos“, mutmaßt Höfer.
Während der Hochphase der Pandemie ist die Nachfrage nach Hunden regelrecht
explodiert. „Unsere Züchter können die Vielzahl der Anfragen nicht mehr
bewältigen“, [2][vermeldete der Verband für das Deutsche Hundewesen (VDH)
vor genau einem Jahr.] Auch viele Tierheime bekamen in dieser Zeit deutlich
mehr Adoptionsanfragen als sonst. „Für elf sichergestellte Welpen aus
illegaler Zucht erhielten wir knapp 1.200 Anfragen“, antwortet etwa das
Tierheim Siegen auf Anfrage. Das Tierheim Reutlingen bekam für manche Tiere
„Anrufe aus dem ganzen Bundesgebiet“.
## Zahl der illegal gehandelten Hunde extrem gestiegen
Mehr Hunde als üblich konnten letztlich aber nur wenige Einrichtungen
vermitteln. Denn die meisten Interessent*innen suchten Welpen oder
zumindest junge, unkomplizierte Hunde. Genau die aber gibt es im Tierheim
nur selten. Die Folge: Viele Menschen kauften Welpen auf Onlineportalen.
Das hat den illegalen Handel, dem vermutlich auch Bulldogge Pauline zum
Opfer fiel, dramatisch angekurbelt. Dieser ist der Tierschutzorganisation
Peta zufolge nach dem Drogen- und Waffenhandel die drittgrößte
Einnahmequelle für organisierte Banden.
Nach Angaben des Deutschen Tierschutzbundes hat sich die Zahl der illegal
gehandelten Hunde von 2019 auf 2020 fast verdreifacht. Es wurden mehr als
1.050 Hunde bei illegalen Transporten beschlagnahmt, fast alle davon waren
Welpen. Allein im ersten Quartal 2021 stellten die Veterinärämter 757 Hunde
sicher. Tierschutzbund-Sprecherin Hester Pommerening betont, dass so gut
wie alle diese Tiere durch zufällige Transportkontrollen entdeckt worden
seien. „Es handelt sich also nur um die Spitze des Eisbergs.“ Da
systematische Kontrollen wegen des Schengen-Abkommens nicht möglich seien,
müsse das Problem anders angegangen werden: etwa durch die Aufklärung
potenzieller Käufer*innen, die die Hunde überhaupt erst bestellen.
Illegal gehandelte Welpen stammten meist aus Rumänien, Bulgarien, Polen
oder Ungarn, sagt Pommerening. Bei ihrer Ankunft in Deutschland seien sie
in der Regel weder entwurmt noch geimpft. „Die Tiere sind von den langen
Transporten geschwächt, viele sind dehydriert und stark unterernährt, haben
Fieber, Durchfall und Parasiten.“ Weil sie viel zu früh von ihren Müttern
getrennt würden, meist mit zwei bis vier Wochen, könnten sie nicht genug
Abwehrkräfte aufbauen.
## Überfüllte Tierheime
Alle illegal gehandelten Welpen, die Veterinärämter beschlagnahmen, kommen
ins Tierheim. Die taz hat 70 Tierheime in Deutschland kontaktiert und sie
nach der Situation auf ihren Hundestationen gefragt. 38 haben sich per
E-Mail oder Telefon zurückgemeldet.
Sechs der Tierheime sind so überfüllt, dass sie keine Hunde von
Privatleuten mehr annehmen können – teils wegen sichergestellter Welpen,
teils wegen Hunden, die spontan im Lockdown gekauft und nach kurzer Zeit
wieder abgegeben wurden. Weitere fünf Heime fürchten, bald ihre
Kapazitätsgrenze zu erreichen. „Wir müssen jederzeit damit rechnen, dass
ein Händler ertappt und wieder zwanzig oder dreißig Hunde auf einmal zu uns
kommen“, schreibt etwa der Hamburger Tierschutzverein von 1841 e.V. 17
Tierheime geben an, keine vermehrten Aufnahmen zu verzeichnen.
Im Lübecker Tierheim steigt die Zahl der Aufnahmen seit dem 2. Juli – dem
Tag [3][nach dem Ende der Homeoffice-Pflicht] – “extrem“ an. „Wir erhalten
immer mehr Fundtiere aus illegalen Zuchten, die meisten sind ungefähr ein
Jahr alt“, sagt Leiterin Elena Cujic. Hinzu kämen fast jede Woche
sichergestellte Welpen. Diese seien oft kaum überlebensfähig und müssten
„24 Stunden am Tag“ medizinisch versorgt werden. Für Cujic und ihre
Kolleg*innen bedeutet das: durcharbeiten. „Wir machen zig Überstunden
und fahren nur noch zum Schlafen nach Hause.“
Das Tierheim München schreibt, dass ein Drittel ihrer aktuellen Aufnahmen
sogenannte „Corona-Hunde“ seien – also solche, die im Lockdown unüberlegt
angeschafft wurden. Viele Menschen hätten schlicht unterschätzt, wie viel
Zeit ein junger Hund in Anspruch nehme. [4][Andere kämen mit dem Verhalten
der Hunde nicht klar.] „Hier macht sich bemerkbar, dass die Hundeschulen
während der Lockdowns geschlossen hatten.“
Besonders besorgniserregend ist die Situation im Berliner Tierheim, mit 16
Hektar Fläche einem der größten Europas. Wenn man über das Gelände
schlendert, an den mit Efeu bewachsenen Betonmauern vorbei, ahnt man nicht,
dass hier knapp 250 Hunde leben. Ab und zu hört man vereinzelt ein Bellen,
ansonsten ist es ruhig. Erst wenn man eines der runden Hundehäuser betritt,
beginnen die Hunde zu kläffen. „Da sich die meisten Hunde nicht mit ihren
Artgenossen vertragen, müssen sie einzeln untergebracht werden“ erklärt
Beate Kaminski, die hier seit zehn Jahren arbeitet. „Das kostet Platz.“
Daher könne das Tierheim eigentlich keine Hunde mehr aufnehmen. Auch die
Welpenstation sei komplett voll. „Allein in diesem Jahr haben wir 80 Welpen
aufgenommen“, sagt Kaminski. Im Vorjahreszeitraum seien es deutlich weniger
gewesen.
## Beschlagnahmte Welpen oft schwer krank
Weil illegal gehandelte Welpen in der Regel nicht gegen Tollwut geimpft
sind, müssen sie zunächst in Quarantäne, teilweise monatelang. Das ist
gesetzlich vorgeschrieben. „Für Welpen, die einzeln sichergestellt werden,
ist das eine Katastrophe“, sagt Kaminski. Schließlich bräuchten sie eine
Familie – entweder eine Hunde- oder eine Menschenfamilie. Dann erzählt sie
von dem hohen Pflegebedarf der beschlagnahmten Welpen. Oft hätten sie
Parvovirose, eine hochansteckende Infektionskrankheit, die tödlich
verlaufen kann. Betroffene Tiere litten unter starkem Erbrechen, Fieber und
Durchfall. „Bevor Tierpfleger*innen eine Box mit infizierten Welpen
betreten, müssen sie Schuh-Überzieher, Schutzanzüge und Handschuhe
anziehen.“
Trotz medizinischer Versorgung würden immer wieder Welpen an Parvovirose
sterben, häufig nach wochenlangem Kampf. Manchmal gehe es aber auch ganz
schnell. Im Dezember etwa brachten Besitzer*innen ihren todkranken
Malteser-Welpen vorbei, auch er stammte vermutlich aus illegalem Handel.
„Oben und unten lief braune Flüssigkeit heraus, der Hund hat am ganzen
Körper gezittert.“ Drei Stunden später war er tot. Seinen Besitzer*innen,
so vermutet es Kaminski, wollten wohl die hohen Tierarztkosten nicht
zahlen.
„Welpen aus illegalem Handel bekommen vor der Übergabe an die
Käufer*innen oft einen Cocktail aus Adrenalin und verschiedenen
Aufbaupräparaten gespritzt und wirken dadurch gesund“, erklärt Kaminski.
Wenige Stunden später merkten die Besitzer*innen dann, dass ihr Hund
krank sei. Kaminski warnt davor, Hunde auf Internetportalen zu kaufen, denn
illegale Händler*innen gingen immer geschickter vor. „Sie tarnen sich
als Züchter*innen, Auslandstierschutzverein oder geben vor, ihren Job
verloren und nun kein Geld mehr für ihren Hund zu haben.“ Sobald jemand
vorschiebe, die Übergabe müsse zum Beispiel wegen Renovierungsarbeiten auf
einem Parkplatz stattfinden, solle man die Polizei informieren. „Inzwischen
mieten sich aber auch immer mehr Händler*innen eine Wohnung für die
Übergabe an.“
## Wie lässt sich der illegale Welpenhandel eindämmen?
Um den illegalen Handel mit Tieren einzuschränken, hat das Internetportal
Ebay-Kleinanzeigen im Herbst 2020 seine [5][Tierschutz-Grundsätze]
verschärft. Seither ist es zum Beispiel verboten, Qualzuchtrassen wie Möpse
oder Französische Bulldogen anzubieten sowie Tiere, die sich im Ausland
befinden. Ebenfalls untersagt sind Wurfankündigungen und der Verleih von
Tieren. Gewerbliche Züchter*innen dürfen höchstens drei Würfe von zwei
Rassen innerhalb von 365 Tagen anbieten, private Nutzer*innen lediglich
ein Tier. Welpen dürfen nur dann vermittelt werden, wenn das Muttertier
vorgestellt werden kann. Außerdem hat Ebay-Kleinanzeigen das Mindestalter
für den Abgabezeitpunkt von Welpen von acht auf zwölf Wochen erhöht.
Andreas Ackenheil, Anwalt für Hunderecht in Mainz, begrüßt diese
Änderungen. „Damit setzt Ebay ein klares Zeichen.“ Allerdings fragt sich
Ackenheil, wie Ebay Kleinanzeigen die Einhaltung dieser Regeln überprüfen
möchte – und welche Sanktionen bei Verstoßen folgen. „Reicht es, diejenigen
Nutzer*innen zu sperren?“ Der Anwalt ist überzeugt: Illegale
Händler*innen werden immer einen Weg finden, ihre Welpen zu verkaufen.
„Wenn ich eine Anzeige für einen Welpen hochlade, den es in Wirklichkeit
gar nicht gibt, und sich ein Interessent bei mir meldet, dann kann ich ihm
schreiben: ‚Leider ist der Hund schon vermittelt, aber ich habe noch einen
Mops im Angebot.‘“ Damit hätte der Händler unbemerkt einen Hund aus einer
Qualzucht verkauft.
Was tun, um den illegalen Welpenhandel einzudämmen? Der Tierschutzbund
fordert schärfere Kontrollen und härtere Strafen für Händler*innen. Die
Bußgelder seien viel zu niedrig, je nach Anzahl der illegal transportierten
Hunde müssten Händler*innen ein paar Hundert, nur gelegentlich auch bis
zu 2.000 Euro zahlen. Selten würden auch die Transportfahrzeuge der
Händler*innen einbehalten, sagt Sprecherin Pommerening. „Solche Strafen
stellen für Großhändler*innen kein finanzielles Risiko dar.“ Um Wirkung
zu erzielen, müssten die Bußgelder im fünfstelligen Bereich liegen.
Zudem sollten Tierschutzthemen in das Ausbildungsprogramm der Polizei
aufgenommen und Polizist*innen geschult werden. Darüber hinaus fordert
der Tierschutzbund von der Regierung, den Online-Handel mit Tieren zu
verbieten. „Ausgenommen werden können Tierheime und Auffangstationen, die
ihre Tiere im Internet präsentieren“, sagt die Sprecherin.
Reform der Tierschutz-Hundeverordnung
Immerhin: [6][Die vom Landwirtschaftsministerium geplante Reform der
Tierschutz-Hundeverordnung] hat der Bundesrat im Juni nur unter der
Bedingung weiterer Änderungen zugestimmt. [7][Der Bundesrat fordert die
Regierung unter anderem dazu auf, den Online-Handel von Welpen zu
beschränken.] Nur Züchter*innen, die eine Erlaubnis vom Veterinäramt haben
und damit regelmäßigen Kontrollen unterliegen, sollten ihre Welpen im
Internet verkaufen dürfen.
Pauline, der ausgesetzten Bulldogge, geht es von Tag zu Tag besser. [8][In
einem Facebookvideo], das die Hündin fünf Tage nach ihrer Ankunft im
Koblenzer Tierheim zeigt, springt sie Leiterin Kirstin Höfer auf den Schoß
und schleckt sie vor Freude im Gesicht ab. „Als Pauline zu uns kam, war sie
sehr ängstlich, sie hatte zuvor noch nie einen Bezug zu einem Menschen“,
sagt Höfer. „Jetzt ist sie total verschmust.“ Die ersten Adoptionsanfragen
hat die Hündin schon bekommen.
25 Jul 2021
## LINKS
DIR [1] https://www.facebook.com/590358464341695/videos/2871508636431429
DIR [2] https://www.vdh.de/pressemitteilung/artikel/corona-krise-laesst-nachfrage-nach-hunden-steigen-tasso-und-vdh-warnen-vor-wuehltischwelpen/
DIR [3] /Haustier-allein-zu-Haus/!5773902
DIR [4] /Gruene-wollen-Tierhalterinnen-pruefen/!5749555
DIR [5] https://themen.ebay-kleinanzeigen.de/policy/#Grunds%C3%A4tze%20zur%20Vermittlung%20von%20Tieren
DIR [6] https://www.bmel.de/SharedDocs/Downloads/DE/Glaeserne-Gesetze/Referentenentwuerfe/VOAendHundeVO-tiertransport.pdf?__blob=publicationFile&v=4
DIR [7] https://dserver.bundestag.de/brd/2021/0394-21B.pdf
DIR [8] https://www.facebook.com/590358464341695/videos/836862323611688
## AUTOREN
DIR Rieke Wiemann
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