# taz.de -- Im Kampf für „Blut und Ehre“
> In Serbien treten immer mehr Jugendliche rechtsradikalen Gruppen bei.
> Diese profitieren von dem generellen nationalistischen Schwenk der
> Politik. Dem Staat fehlt ein Konzept
BELGRAD taz ■ „Wir verdreschen Zigeuner, wir hassen Ungarn, Kroaten,
Muslime und Juden“, sagt der 22-jährige Nemanja. Er ist ein serbischer
Skinhead. Seine Helden sind die vom UNO-Tribunal gesuchten mutmaßlichen
Kriegsverbrecher Radovan Karadžic und Ratko Mladić, „weil sie für das
Serbentum gekämpft haben“. Und Adolf Hitler, weil er die „jüdische
Weltverschwörung“ durchschaut habe.
Juden kennt Nemanja zwar keine, aber er „weiß“, dass sie Amerika gegen
Serbien „aufgehetzt“ haben. Der ungarischen Minderheit will er zeigen, „wo
es langgeht“, nämlich, dass „Serbien den Serben“ gehört. Er kommt aus Novi
Sad, der Hauptstadt der multiethnischen Provinz Vojvodina.
Nemanja steht stellvertretend für viele Jugendliche im sozial ruinierten
Serbien. 75 Prozent waren nie im Ausland und bezeichnen ihre
Zukunftsaussichten als „hoffnungslos“. Über 50 Prozent sind arbeitslos. Vor
allem in der multiethnischen Vojvodina treten immer mehr junge Leute
rechtsradikalen Organisationen bei. Wer kann, kehrt seiner Heimat den
Rücken. Mittlerweile haben rund 400.000 junge Menschen Serbien verlassen.
Jedoch gibt es keine Institution, die mit Jugendlichen arbeitet.
Leute wie Nemanja gebe es in der ganzen Welt, meinen Soziologen. Spezifisch
für Serbien sei aber, dass rechtsradikale Gruppen die Randerscheinung in
einer Gesellschaft seien, die sich weigert, sich mit der eigenen „Blut und
Boden“-Ideologie zu konfrontieren und die eigene Schuld für Verbrechen im
jugoslawischen Bürgerkrieg einzugestehen. Daher verwundere die intolerante
Haltung gegenüber anderen Völkern und Religionen sechs Jahre nach
Kriegsende nicht.
Einerseits hat der Staat keine Strategie gegen chauvinistische Gruppen.
Andererseits sind die extremistischen „Serbischen Radikalen“ (SRS), die für
den kriegshetzerischen, nationalen Radikalismus von Slobodan Milošević
stehen, politisch rehabilitiert und mit über dreißig Prozent die mit
Abstand stärkste Partei in Serbien. Mittlerweile versuchen fast alle
Parteien, auch die nationalkonservativen, mit nationalistischer und
sozialistischer Demagogie bei den Wählern zu punkten. Das spornt
rechtsradikale Gruppen an und verwirrt vor allem jüngere Menschen.
Unlängst hat Serbiens Innenministerium „neonazistische, chauvinistische,
rassistische und antisemitische“ Organisationen in der Vojvodina
aufgelistet: „Nationale Marschkolonne“, „Blut und Ehre“, „Rassistische
Nationalisten“ und Skinheads. Alle seien „antiwestlich“ orientiert, heißt
es im Bericht des Ministeriums. Die der serbisch-orthodoxen Kirche nahe
stehende Organisation „Obraz“ (Wange) wird als „klerofaschistisch“
beschrieben. Die ungarischen Bewegungen „64 Komitaten“ und „Honved“ in der
Vojvodina werden nicht „ausdrücklich“ als neonazistisch bezeichnet.
Das Parlament der Vojwodina hat unlängst gefordert, derartige Gruppierungen
zu verbieten, doch bisher ist nichts passiert. Sowohl serbische
nationalistische als auch nazistische und faschistische Literatur wie „Mein
Kampf“ oder „Die Protokolle der Weisen von Zion“ kann man problemlos in
normalen Buchhandlungen kaufen. Dort finden sich auch Werke des neulich
heilig gesprochenen Bischofs der serbisch-orthodoxen Kirche, Nikolaj
Velimirović. Er hatte im „vom Judentum verseuchten“ Westen das „Böse“ und
in Hitler den „Erlöser Europas“ gesehen.
In der Belgrader Fußgängerzone Knez Mihailova werden T-Shirts mit Bildern
von Mladić und Karadžić verkauft, die ihren Platz auch in serbischen
Volksliedern gefunden haben. Aus den Büros der Hypovereinsbank blickt man
auf ein riesiges Poster von Slobodan Milošević.
Die Zusammenarbeit serbischer Behörden mit dem UNO-Tribunal für
Kriegsverbrechen erfolgt nur widerwillig, unter gewaltigem Druck der EU und
USA. Im Parlament der Staatengemeinschaft Serbien und Montenegro konnte
keine Deklaration zum sechzigsten Jahrestag der UNO verabschiedet werden,
weil Abgeordnete der SRS die Organisation für den „Zerfall des ehemaligen
Jugoslawiens“ verantwortlich machten und sie beschuldigten, das Kosovo
Serbien „wegnehmen“ zu wollen.
„Stopp dem Faschismus“, forderten vor kurzem vierzig serbische
Nichtregierungsorganisationen. Sie warnten vor „antiwestlicher“ Stimmung,
die Serbien wieder in eine internationale Isolation treiben könnte.
ANDREJ IVANJI
27 Dec 2005
## AUTOREN
DIR ANDREJ IVANJI
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