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       # taz.de -- „In meiner Heimat gibt es keine Kinoorgeln“
       
       > Vorhang auf Die gebürtige Moskauerin Anna Vavilkina ist Deutschlands
       > einzige fest angestellte Kinoorganistin. Von ihr stammt die Idee, beim
       > siebten StummfilmLiveFestival im Babylon, das heute beginnt, die
       > sowjetische Filmavantgarde zu präsentieren. Selbst beteiligt sie sich mit
       > einem schrägen Begleitmusikduett aus Orgel und Geige
       
   IMG Bild: Anna Vavilkina: „Manche Stummfilme wirken veraltet, bei anderen wundert man sich, wie viel Aufwand in ihnen steckt“
       
       Interview Gunnar Leue
       
       taz: Frau Vavilkina, Sonnabend startet das StummfilmLiveFestival, das sich
       der sowjetischen Filmavantgarde widmet. War es Ihre Idee? 
       
       Anna Vavilkina: Ein bisschen, aber eigentlich ist es eine gemeinsame Idee
       von Leuten, die sich für diese Filmkunst interessieren. Viele kenne ja nur
       den berühmten Stummfilm „Panzerkreuzer Potemkin“ von Sergei Eisenstein. Da
       habe ich mir gedacht, dass man auch mal ein paar andere Filme zeigen
       könnte, zum Beispiel Komödien.
       
       Als gebürtige Moskauerin sind Sie selbst noch ein Kind der Sowjetunion und
       leben erst seit gut zwei Jahren in Berlin. 
       
       Ja, ich bin vor 13 Jahren nach Deutschland gekommen. Erst mal habe ich aber
       in drei Kirchen zwischen Köln und Düren als Kirchenmusikerin, was ich auch
       studiert hatte, gearbeitet. Kinoorgeln fand ich aber auch schon immer
       interessant und wollte gern mal eine spielen. Die sind ja sehr selten, umso
       schöner, dass ich das hier im Babylon so oft tun kann.
       
       War es eine große Umstellung von der Kirchen- zur Kinoorgel? 
       
       Man kann nicht sagen, dass die eine Orgel besser ist als die andere. Die
       Frage ist doch: Besser für was? Für Filme ist unsere Orgel besser, für Bach
       eine Kirchenorgel, das hat eben mit dem Genre zu tun. Ich ärgere mich über
       Leute, die sagen, Kirchenmusik sei langweilig, und genauso über Leute, die
       die Kinoorgel nicht schätzen.
       
       Wird sie denn unterschätzt? 
       
       Sehr, weil sie nur eine kurze Blütezeit hatte. Die meisten haben keine
       Vorstellung von den Möglichkeiten des Instruments. Sie ist ein technisches
       Wunderwerk.
       
       Kannten Sie die Kinoorgel schon aus Ihrer Heimat? 
       
       Da gibt es keine. Und ich befürchte, es wird da auch keine geben, anders
       als in Deutschland, wo es mehrere gibt. Einige sind öffentlich zugänglich
       und ein paar auch in Privatbesitz. Die Kinoorgel hier im Babylon ist
       natürlich noch mal etwas Besonderes, weil sie die einzige ist, die noch an
       ihrem Ort steht, wo sie eingebaut wurde, 1929.
       
       Was sagen eigentlich Ihre alten Freunde in Moskau zu Ihrem Job als einzige
       fest angestellte Kinoorganistin Deutschlands? 
       
       Ich habe nicht so viele Freunde dort, aber diejenigen, die von meiner
       Arbeit hier wissen, sind begeistert. Ein Bekannter, der sich sehr dafür
       interessiert und selbst alles spielt, was Tasten hat, wird auch zum
       Festival als Teilnehmer kommen.
       
       Zu denen gehören Organisten aus vier Ländern, darunter mehreren ehemaligen
       Sowjetrepubliken. 
       
       Nicht nur Organisten. Auch der aus der Ukraine stammende Geiger Mark Chaet,
       der seit zwanzig Jahren in Berlin lebt, wirkt mit. Ich hatte ihn hier bei
       der Premiere des Films „Die Partitur des Krieges“, in dem er seine Heimat
       besucht, kennengelernt. Wir haben uns verabredet, etwas zusammen zu
       versuchen. Ich spiele Orgel, er spielt Geige. Dieses Duett wird sicher das
       Schrägste des Festivals. Ganz neu ist das für mich nicht, denn ich habe
       schon mal mit einer befreundeten Flötenspielerin einen Film begleitet.
       
       Sie sind ja als Begleitmusikerin direkte Beteiligte an einem Film. Müssen
       Ihnen die Filme deshalb immer gefallen? 
       
       Ja. Ich brauche eine persönliche Einstellung zum Film, auch wenn ich immer
       improvisiere.
       
       Improvisation macht am meisten Spaß? 
       
       Ja, sie ist der Grund, warum ich überhaupt Musik mache.
       
       Beobachten Sie das Publikum während des Spielens? 
       
       Am ehesten bei Komödien, wenn sie lachen. Dann setze ich auch mal einen
       kleinen Gag drauf.
       
       So Sachen, die Sie noch aus ihrer Zeit in der Sowjetunion kennen? 
       
       So ein bisschen. Bei den Festivalfilmen will ich mal ein paar alte
       Revolutionslieder und auch Volkslieder einstreuen, ohne es zu übertreiben.
       Es muss passen. Zum Beispiel „Smelo, towarischtschi, w nogu“, das heißt
       „Vorwärts ,Genossen, im Gleichschritt“.
       
       Rechnen Sie mit vielen Exsowjetbürgern im Publikum? 
       
       Ich weiß nicht. Ich bekomme zwar mit, dass viele russischsprachige Leute in
       Berlin leben, aber ich glaube eher, dass unser Stammpublikum kommt, das
       auch immer samstags zu „Stummfilm um Mitternacht“ kommt.
       
       Stummfilme sind ja das Gegenteil der Hightechfilme, die in den
       Multiplexkinos laufen. Gehen Sie zur Abwechslung auch mal dorthin zum
       Filmgucken? 
       
       Ich habe nichts gegen moderne Filme oder auch Zeichentrickfilme. Manche
       begeistern mich, andere nicht. In die Kinos gehe ich kaum, da gucke ich mir
       eher zu Hause auf dem Laptop normale Filme an, auch neuere russische Filme.
       Ich bin auch kein Nostalgiemensch. Manche Stummfilme wirken schon etwas
       veraltet, andere sind heute noch spannend, und man wundert sich, wie viel
       Aufwand und schauspielerische Leistung in ihnen steckt.
       
       Hätten Sie nicht Lust, mal einen von der Tonspur befreiten
       Knall-bum-Blockbuster, in dem die Dialoge eh unwichtig sind, mit ihrer
       Orgelmusik zu untermalen? 
       
       Das ist mir noch nicht eingefallen. Aber warum eigentlich nicht?!
       
       23 Jul 2016
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Gunnar Leue
       
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