# taz.de -- Ines Schwerdtner besucht New York: „Regieren ist weder ein Selbstzweck noch ein Selbstläufer“
> Gewinnt am Dienstag ein Sozialist die Bürgermeisterwahl von New York? Die
> Linken-Chefin hat sich vor Ort den Wahlkampf von Zohran Mamdani
> angeschaut.
IMG Bild: Sanders, Mamdani und Ocasio-Cortez gemeinsam im New Yorker Wahlkampf: Hoffnungsträger:innen auch für deutsche Linke?
taz: Frau Schwerdtner, Sie sind gerade aus den USA zurückgekommen. Hatten
Sie eigentlich Probleme bei der Einreise ins [1][Trump-Land]?
Ines Schwerdtner: Nein, aber natürlich haben wir uns Sorgen gemacht.
Deshalb hatten wir entsprechende Vorkehrungen getroffen. Ich habe mir extra
einen Diplomatenpass besorgt und ein Extravisum. Es sagt schon sehr viel
aus, dass man sich als Abgeordnete überlegen muss, wie man eigentlich in
ein anderes demokratisches Land kommt.
taz: Wie ist denn so das Stadtbild von New York?
Schwerdtner: Ich war das letzte Mal vor zwölf Jahren da. Seitdem scheint
man kaum etwas getan zu haben. Dafür sind die Preise wahnsinnig gestiegen.
Die Infrastruktur ist inzwischen total marode. Überall kommt Wasserdampf
raus, man kennt es aus den Filmen. In Wahrheit bedeutet es nur, dass das
Fernwärmesystem Lecks hat. Viele Häuser müssten dringend saniert werden und
trotzdem sind die Mieten extrem hoch. Es ist schon vieles sehr
heruntergekommen für eine so bedeutende Stadt in der größten
Volkswirtschaft der Welt. Das gilt natürlich nicht für den Finanzdistrikt,
der ist piekfein.
taz: In New York haben sie sich den dortigen Bürgermeisterwahlkampf des
[2][demokratischen Sozialisten Zohran Mamdani] angeschaut. Hatten Sie
Wahlkampfentzug?
Schwerdtner: Ich war neugierig, wie Zohran Mamdani und sein Team diese
Kampagne aufziehen. Aber es war interessant, wie schnell man wieder in so
einen Schwung, in so eine Euphorie mit reinkommt.
taz: Haustürwahlkampf, Tausende Freiwillige, Lebenshaltungskosten als
Hauptthema: [3][Der Wahlkampf von Mamdani] ähnelt stark Ihrem
Bundestagswahlkampf. Macht er auch irgendetwas anders?
Schwerdtner: Ich war auch überrascht, als ich die Nachricht gelesen habe,
die Kampagne von ihm hätte sich was von der deutschen Linken abgeguckt.
Aber es ist tatsächlich so eine Wechselwirkung von Lernerfahrungen. Wir
haben ja vor vielen Jahren auch vom canvassing, wie es im Amerikanischen
heißt, viel gelernt und das zum Beispiel im Bundestagswahlkampf für die
deutschen Bedingungen angepasst. Die Organisation der Kampagne von Mamdani
und auch seine Themen sind schon sehr ähnlich. In beiden Fällen wird die
politische Linke zum Konkurrenten für das Establishment. Aber es ist halt
typisch amerikanisch, also alles immer noch etwas größer, professioneller
und noch ein bisschen zugespitzter. Die politische Kommunikation finde ich
wirklich on point. Wir haben das schon ganz gut gemacht im
Bundestagswahlkampf. Aber die Art und Weise, wie er kommuniziert, ist noch
mal ein anderes Level. Das fand ich sehr beeindruckend.
taz: Mamdani hat [4][gute Aussichten], am 4. November zum neuen
Bürgermeister von New York gewählt zu werden. Wie hoch sind die Erwartungen
in ihn?
Schwerdtner: Ich glaube, dass er gewinnt. Die Erwartungen an ihn sind sehr
hoch. Es wird nicht leicht werden. Natürlich wird er unter Dauerfeuer
stehen. Trump hat ihn ja als seinen Erzfeind auserkoren. Viele befürchten,
dass bei einem Wahlsieg Mamdanis auch in New York die Nationalgarde
einmarschieren könnte, die ja bereits in einigen anderen demokratisch
regierten Städten einmarschiert ist. Oder dass Trump mittels defunding,
also dem Einfrieren von Geldern, die Regierungsarbeit erschweren wird.
taz: Klingt nicht sehr optimistisch.
Schwerdtner: Sozialismus oder überhaupt etwas wie Sozialreformen in die USA
zu bringen ist kein Spaziergang. Doch es gibt auch wirklich viele Chancen.
Als Bürgermeister hätte er beispielsweise die Macht, in einer der größten
Städte der USA eine Art Mietendeckel einzuführen. Das ist dort leichter als
bei uns, er kann das einfach machen. Das wäre natürlich ein grandioses
Zeichen. Ich glaube auch, dass er den von ihm versprochenen gratis
Busverkehr, stadteigenen Supermärkte und die kostenlose Kinderbetreuung
umsetzen kann. Das würde Millionen New Yorkern helfen.
taz: Schon jetzt ist New York hochverschuldet. Um seine Pläne umzusetzen,
braucht Mamdani wohl zusätzlich rund sieben Milliarden US-Dollar pro Jahr.
Reinkommen soll das Geld durch eine Steuererhöhung für
Einkommensmillionär:innen und große Konzerne. Dafür bräuchte er
jedoch die Zustimmung der Gouverneurin und des Stadtparlaments. Beides
dürfte er nicht bekommen.
Schwerdtner: Tatsächlich wird das einer der dickeren Brocken. Er wird da
sicher auch auf Hindernisse treffen, die nur überwunden werden können, wenn
es weiter Druck zum Beispiel auf die New Yorker Gouverneurin Kathy Hochul
gibt, die ja eine Demokratin ist. Das heißt, dass es wichtig ist, nicht nur
einen Wahlkampf zu führen. Er braucht fortwährend die Unterstützung von der
Straße. Die Democratic Socialists, die hinter ihm stehen, und andere Linke
müssen ihre Strategie darauf einstellen. Sie können dann nicht mehr nur aus
einer kleinen Minderheitenposition Ärger machen, sondern müssen
Politikvorschläge umsetzen. Das ist auch für die neu. Es entspricht aber
dem Grundansatz, nicht nur zu Wahlkämpfen da sein zu wollen, sondern
ständig den Kontakt zu den Menschen zu halten.
taz: Das ist ein alter Streitpunkt innerhalb der Linken: Sind sie bereit,
auch unter kapitalistischen Verhältnissen mitzuregieren oder wollen sie bis
zur erträumten Revolution in der Opposition bleiben? Und zu welchen
Kompromissen ist man bereit?
Schwerdtner: Den Leuten von Mamdanis Kampagne, mit denen ich mich getroffen
habe, musste ich aus der deutschen Erfahrung sagen, dass nach der Wahl die
Arbeit eigentlich erst richtig losgeht – sie haben das müde schmunzelnd zur
Kenntnis genommen. Klar ist, dass Regieren weder ein Selbstzweck noch ein
Selbstläufer ist. Da haben wir in Deutschland ja auch einige Erfahrungen
gemacht. Die fehlen bislang unseren Genossen in den USA. Deswegen waren das
in beide Richtungen sehr interessante Gespräche.
taz: In Berlin geht Ihre Partei ebenfalls mit großen Versprechungen in die
Abgeordnetenhauswahlen im kommenden Jahr. Zum Beispiel soll der
Volksentscheid über die Enteignung großer Wohnungskonzerne politisch
umgesetzt werden, das ist weit mehr als Mamdanis Mietpreisbremse.
Gleichzeitig diskutiert die Berliner Linke kräftig untereinander, ob sie
überhaupt mitregieren will. Wie passt das zusammen?
Schwerdtner: Aus der Erfahrung heraus halte ich es erst einmal für
vernünftig, jetzt keinen Blankoscheck auszustellen und zu sagen, wir
regieren unter allen Umständen auf jeden Fall mit. Es ist vorausschauend,
genauer darüber zu sprechen, unter welchen Bedingungen das sinnvoll ist.
taz: Ein Teil in Ihrer Partei sagt allerdings, wir machen das auf keinen
Fall.
Schwerdtner: Ja, die gab es schon immer und die gibt es weiterhin. Aber als
Gesamtpartei sind wir weg von dem notorischen Ja oder Nein. Es geht um die
konkreten Kräfteverhältnisse: Was können wir unter welchen Bedingungen
umsetzen und wie stark muss die Linke dafür sein? Darüber haben wir auch
mit unseren New Yorker Genossen diskutiert: Dass wir uns als Linke ehrlich
machen müssen, dass man zwar in eine Regierung kommen kann, aber das
deswegen nicht heißt, auch alles einfach durchsetzen zu können. Wir wollen
auf den Fall gut vorbereitet sein, sollte es rechnerisch für eine Koalition
mit einer starken Linken reichen. Aber wir werden am Ende des Tages nicht
alleine entscheiden, wie es dann weitergeht. Auch die SPD und die Grünen
werden für sich entscheiden müssen, was sie zu einer Verbesserung der
Lebensverhältnisse in Berlin beitragen wollen.
taz: Wie froh sind Sie eigentlich, dass Sie endlich mal einen linken
Hoffnungsträger haben, der ausnahmsweise nicht wie [5][Bernie Sanders] oder
Jeremy Corbyn mehr als 40 Jahre älter ist als Sie, sondern sogar zwei Jahre
jünger?
Schwerdtner: Also ich liebe ja immer noch Bernie Sanders. Deswegen finde
ich es auch schön, dass die beiden vor einer Woche zusammen mit Alexandria
Ocasio-Cortez auf einer Bühne standen und sagten: Wir verfolgen das gleiche
Programm. Es war ja auch Teil unseres Erfolgsrezepts, dass [6][Heidi
Reichinnek] neben den [7][Silberlocken] stand. Und jetzt haben wir [8][in
Berlin mit Elif Eralp] eine herausragende Kandidatin, glaubwürdig als
Anwältin der normalen Menschen, mit Migrantionsgeschichte ähnlich wie
Mamdani.
taz: Ist Zohran Mamdani denn nicht vor allem eine Projektionsfläche für die
Blütenträume deutscher Linker?
Schwerdtner: Wir sind ja auch hingefahren, weil wir ihn eben nicht einfach
zu einer Projektionsfläche machen wollen. Wir wollten die Realität sehen.
Ich glaube, dass es wichtig ist, zu schauen, was Linke international
machen, und zu überlegen, was wir davon für unsere Arbeit lernen können.
taz: Dann werden Sie also demnächst in Berlin einen New Yorker Wahlkampf
führen?
Schwerdtner: Ich glaube jedenfalls, wenn New York rot wird, schafft Berlin
das auch. Ein Wahlsieg kann eine Sogwirkung entfalten und uns neue Hoffnung
und Motivation geben. Aber unser Berliner Landesvorsitzender Maximilian
Schirmer, der mich begleitet hat, hat sich schon alles sehr genau
angeschaut. Und wir werden auch gut beobachten, was Mamdani aus seinem
Wahlsieg machen wird. Auch davon können wir etwas lernen. Andere
europäische Linksparteien schaue ich mir übrigens auch genau an, zum
Beispiel die KPÖ in Österreich oder die Partei der Arbeit in Belgien. Von
denen haben wir auch manches gelernt, was die Kampagnenarbeit angeht, aber
auch die Gehaltsdeckelung, die Jan van Aken und ich praktizieren. Als
Internationalisten tun wir gut daran, uns jeweils das Beste von anderen
Linken abzuschauen. Das gilt selbstverständlich auch umgekehrt.
3 Nov 2025
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## AUTOREN
DIR Pascal Beucker
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