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       # taz.de -- Interview mit „Männerkitsch“-Podcastern: „Was von der Männlichkeit ist gut?“
       
       > Podcaster Ansgar Riedißer und Max Deibert sprechen über Flirten und
       > toxische Männlichkeit. Und darüber, welche Verantwortung sie als junge
       > Männer haben.
       
   IMG Bild: Ansgar Riedißer (l.) und Max Deibert wollen lieber Anti-John-Waynes sein
       
       taz: Herr Riedißer, Herr Deibert, was heißt „Männerkitsch“? 
       
       Max Deibert: Den Namen haben wir von einem Freund, der immer von
       Männerkitsch spricht, wenn es um John-Wayne-Filme oder Serien wie „True
       Detective“ geht.
       
       Ansgar Riedißer: Das Wort Kitsch meint ja etwas, das festgefahren ist, ohne
       noch wirklich Bedeutung zu tragen: Man macht es einfach nach von anderen
       Leuten.
       
       Also Männer, die gefühlskalt mit dem Revolver agieren. 
       
       Deibert: Voll! Dieses Bild wird immer noch zelebriert, auch im echten
       Leben.
       
       Riedißer: Tom Cruise hat sich beim Dreh zu „Mission Impossible“ den Fuß
       zerlegt und ist dann trotzdem weitergerannt, um die Szene zu Ende zu
       drehen. Was für ein kitschiges Männerbild, dass er damit so ein toller Mann
       sein soll!
       
       Denkt ihr, dass ihr als Männer euch in die Debatte auf eine andere Weise
       einbringen könnt oder sollten Frauen das tun? 
       
       Riedißer: Das ist auf jeden Fall eine andere Art, weil wir andere
       Erfahrungswerte haben. Aber wir haben eine Verantwortung, auch als junge
       Männer, uns um Männlichkeit Gedanken zu machen.
       
       Was interessiert euch im Podcast besonders? 
       
       Deibert: Konkreter Alltag. Flirten, Daten, Sex, Verhalten auf der Straße
       oder im Job.
       
       Riedißer: Wir gucken uns an, wie sich abstrakte Konzepte, toxische
       Männlichkeit etwa, in unserem Alltag auswirken. Auch ich habe gemerkt, dass
       ich als Mann anscheinend viel öfter als Frauen davon ausgehe, dass ich was
       zu sagen hätte in vielen Momenten. In Diskussionen mit Freundinnen oder
       Seminaren an der Uni zum Beispiel. Durch die Gespräche mit Max ist mir das
       sehr bewusst geworden. Und nun versuche ich, das runterzufahren.
       
       Sind denn Leute wie [1][Popstar Sam Smith Vorbilder für euch?] Smith
       verwendet inzwischen ja geschlechtsneutrale Pronomen. Oder auch andere
       Leute in der Popkultur, die konventionelle Grenzen aufsprengen? 
       
       Riedißer: Ich glaube, dass viele Anstöße aus der Popkultur kommen – obwohl
       ja gerade Popstars viel zu verlieren haben. Aber wir sind da schon weiter
       als noch vor einigen Jahren – auch darin, mehr zu sehen als nur entweder
       weiblich oder männlich. Sicher haben Popstars da Vorbildfunktion.
       
       Deibert: Als Star kann man auf großer Bühne zeigen, was geht. Aber Menschen
       können auch Vorbild dadurch sein, wie sie sich tagtäglich verhalten: in der
       Kindererziehung, als Nachbar, in der U-Bahn. Dazu muss man kein Star sein.
       
       Riedißer: Viele Männer, die für uns Vorbilder sind, finden wir nicht
       spannend, weil sie Männer sind, sondern weil sie besonders klug sind oder
       eloquent oder gute Schauspieler oder Schriftsteller.
       
       An wen denkt ihr da konkret? 
       
       Deibert: Den Schauspieler Eddie Redmayne finden wir beide sehr gut.
       
       Der hat ja im Film [2][„The Danish Girl“] eine Transfrau gespielt – also
       Konventionen überwunden. 
       
       Riedißer: Eddie Redmayne spielt oft solche Rollen, die nicht den
       klassischen Held verkörpern. In J. K. Rowlings „Fantastische Tierwesen“
       spielt er eine männliche Figur, deren wichtigstes Charaktermerkmal es ist,
       sich sorgsam um Tiere zu kümmern. Das ist keine männliche, sondern eine
       menschliche Rolle.
       
       Ein Anti-John-Wayne. 
       
       Deibert: Ich glaube nicht, dass in zehn Jahren noch so viele Leute wissen,
       wer John Wayne war. Mein Opa hat noch von ihm erzählt, aber ich werde
       meinen Kindern nichts mehr von seinen Filmen erzählen.
       
       Was sollten Männer denn noch mehr hinterfragen? 
       
       Deibert: Wenn zum Beispiel jemand sagt, dass er etwas von dir als nicht
       witzig oder sogar sexistisch wahrgenommen hat, dann solltest du wohl deine
       Definition von Humor mal hinterfragen: Welche Witze funktionieren
       ausschließlich auf Kosten anderer? Das kann man auch mit seinem männlichen
       Freundeskreis besprechen: Soll das wirklich das einzige sein, das uns
       verbindet, dass wir scheiße über Frauen reden und das dann auch noch als
       Humor bezeichnen?
       
       Riedißer: Sobald es ein bisschen wärmer wird, sieht man Männer ohne
       T-Shirts an öffentlichen Plätzen. Für alle nichtmännlichen Personen ist das
       sozial nicht akzeptiert. Weibliche Freundinnen von mir empfinden dieses
       Männerverhalten oft als unangenehm, während die meisten Männer noch nie
       darüber nachgedacht haben, dass das ein Problem sein könnte. Es ist schon
       mal ein erster Schritt, diesen Unterschied wahrzunehmen. Auch wichtig: Wenn
       mir jemand in einem bestimmten Verhalten toxische Männlichkeit vorwirft,
       ist das kein Angriff auf meine ganze Person. Man kann damit konstruktiv
       umgehen.
       
       Wie kann man sich von [3][toxischer Männlichkeit] freimachen? 
       
       Riedißer: Wir versuchen, das zu hinterfragen, was uns eingebläut wurde. Ich
       weiß noch, dass Jungs von anderen Jungs am Anfang der Pubertät
       zurechtgewiesen wurden, wenn sie mit übergeschlagenen Beinen dasaßen – das
       galt als feminin und ging gar nicht! Wir fragen im Podcast: Was von der
       Männlichkeit ist gut für uns? Und was brauchen wir auch einfach nicht mehr?
       
       Sind Männer schlechter darin, über Gefühle zu sprechen? 
       
       Deibert: Bei Männern gibt es zumindest eine geringere
       Selbstverständlichkeit, über Gefühle zu sprechen. Oberflächlichere
       Männerfreundschaften, die von einem robusten Männlichkeitsbild ausgehen,
       lassen dafür kaum Raum. Man redet über Bundesliga, Autos und Holzhacken.
       Männerkitsch halt.
       
       Riedißer: Gesundheit bedeutet ja bei vielen, dass man „nichts hat“. Und so
       wird auch oft mit Emotionen umgegangen: Der erstrebenswerte Zustand ist,
       dass man „nichts hat“.
       
       Wie ist das für euch, schwule und hetero Erfahrungen miteinander zu
       vergleichen? 
       
       Riedißer: Das ist schon spannend, auch weil die Erfahrungen schon in einem
       sehr frühen Alter auseinander gehen. Männlichkeit meint ja meist
       Hetero-Männlichkeit. Da hatte ich immer schon das Gefühl, ich gehöre da
       nicht so dazu. Das ist zwar keine schöne Erfahrung, hat aber in mir schon
       sehr früh kritische Fragen aufkommen lassen, wie: Muss ich mich für Fußball
       interessieren, wenn ich sowieso nicht ganz dazugehöre?
       
       Deibert: Das bereichert unsere Diskussion …
       
       Riedißer: … und höhlt für mich den Männlichkeitsbegriff stark aus.
       Andererseits werden auch in der Schwulenszene konventionelle
       Männlichkeitsideale aufgegriffen, fast schon wie in einem Hochdrucktopf.
       Eine Überkompensation, aus dem Gefühl heraus, nicht dazuzugehören. Es gibt
       ein sehr starres Körperbild: dass man sich extrem trainiert auf dem CSD
       zeigt, oberkörperfrei.
       
       Toxische Männlichkeit richtet sich also nicht nur gegen Frauen, sondern
       auch gegen Männer. 
       
       Riedißer: Genau! Schon, weil ein toxischer Mann sich damit auch selbst
       schadet.
       
       Deibert: Nicht über Gefühle zu reden, ist auch nicht gut für einen selbst
       als Mann. Das macht was mit den Beziehungen, die man zu anderen Menschen
       hat. Toxische Männlichkeit kann einen selbst verletzen.
       
       Warum hält sich toxische Männlichkeit dann so penetrant, wenn sie doch
       allen schadet? 
       
       Deibert: Viele Facetten von toxischer Männlichkeit sind dermaßen
       etabliert, dass es viel leichter ist, nicht darüber nachzudenken. Wir
       verlangen etwas, das zumutbar ist, aber wohl doch für alle noch nicht
       selbstverständlich. Zu merken, dass Aspekte der eigenen Männlichkeit
       toxisch waren oder sind, tut weh.
       
       Riedißer: Viele dieser Männlichkeitsmechanismen sind sehr verwachsen mit
       der eigenen Persönlichkeit – sodass ich schon verstehen kann, dass sich
       Männer bei Kritik spontan persönlich angegriffen fühlen. Man muss erst mal
       dahin kommen, dass diese Verhaltensweisen nicht essenziell für die eigene
       Persönlichkeit sind.
       
       In einer eurer Podcast-Folgen geht es dezidiert ums Flirten. 
       
       Riedißer: Flirten ist es nur, wenn’s beiden Spaß macht. Viele Männer, aber
       auch einige Frauen in den Medien behaupten, dass nun – in einem angeblichen
       Zeitalter von Prüderie – Flirten und Verführung verboten wären.
       Übergriffigkeit als Flirten, oder was? In den Köpfen vieler Leute
       anscheinend doch noch sehr stark. Wir beide kamen für uns zu dem Schluss,
       dass Flirten etwas Wechselseitiges ist, dass man füreinander eine besonders
       erhöhte Aufmerksamkeit entwickelt.
       
       Deibert: Es ist also nicht Flirten, wenn man jemanden schmierig anmacht,
       ohne dass die andere Person Signale gibt, dass sie gerade Teil dieses
       Gesprächs sein möchte. Flirten ist ein Zusammenspiel.
       
       Riedißer: Eroberung wird durch diese Definition also nicht delegitimiert.
       Wenn beide daran Spaß haben – bitteschön!
       
       27 Dec 2019
       
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