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       # taz.de -- Iranische Sängerin Faravaz im Exil: Kinky mit dem Mullah
       
       > Am Jahrestag von Jina Mahsa Aminis Ermordung spricht die iranische
       > Sängerin Faravaz aus dem Exil über die Frauenbewegung ihrer Heimat und
       > Widerstand.
       
   IMG Bild: Die Sängerin Farav ist Atheistin, im Iran würde ihr dafür die Todesstrafe drohen
       
       Berlin taz | „Ich bin eine provokative, dicke Feministin“, sagt Faravaz
       Farvardin. Im vergangenen Mai veröffentlichte sie ihr Debütalbum. „Azadi“
       heißt es, auf Deutsch „Freiheit“. Darauf hat sich die iranische Sängerin
       die Freiheit genommen, genau das zu sein: provokativ und feministisch. Sie
       singt davon, einen Mullah dominieren zu wollen, kritisiert Femizide,
       bezeichnet sich als Feindin Gottes. In ihren Musikvideos trägt sie viel
       Make-up und wenig Kleidung.
       
       Im Iran ist es Frauen nach wie vor verboten, in der Öffentlichkeit zu
       singen. Deshalb lebt Faravaz seit sieben Jahren in Deutschland im Exil. Das
       Regime verurteilte sie zu einer Gefängnisstrafe, während sie gerade für ein
       Konzert in Bayern war, also entschied sie spontan, zu bleiben. Ohne
       Abschied, ohne viel Gepäck.
       
       Hier fühle sie sich zwar sicherer. „Aber die Spione des iranischen
       Mullahregimes sind überall“, sagt sie. Auch das Erstarken rechter Kräfte
       mache ihr Sorgen. Bei einem Stadtfest für Vielfalt in Bad Freienwalde, wo
       sie kürzlich auftrat, wurden auch Frauen von mutmaßlichen Rechtsextremen
       attackiert. Man könne sich als Frau nirgendwo auf der Welt ganz sicher
       fühlen. „Was mir und den iranischen Frauen widerfährt, geschieht überall –
       nur auf einem anderen Level.“
       
       Denn auch in Deutschland würden Frauen vergewaltigt, von ihren Partnern
       geschlagen oder fühlten sich unsicher im Umgang mit der Polizei, sagt sie.
       „Deswegen fühlen viele meine Musik. Es ist immer das Gleiche.“
       
       ## Chance, politisch zu sein
       
       Nicht zurückkehren zu können, sei ein großer Verlust gewesen. Hier Musik zu
       machen, habe sie aber als Chance gesehen, politisch zu sein und Tabus zu
       brechen. „Als ich das tat, schlug mir viel Hass entgegen.“ Online, aus der
       Musikindustrie, in den Medien. „Viele im Iran denken, ich bringe Schande
       über unsere Kultur.“ Auch Teile der [1][„Frau Leben Freiheit“-Bewegung],
       sähen das so. Vor allem Männer.
       
       Vor genau drei Jahren wurde [2][Jina Mahsa Amini in Teheran von der
       Sittenpolizei getötet], weil sie kein Kopftuch trug. Ihr Tod löste
       landesweite Proteste unter ebendiesem Slogan, „Frau Leben Freiheit“, aus.
       Laut Menschenrechtsorganisationen wurden vom Regime rund 500
       Demonstrierende getötet, Zehntausende festgenommen, viele geschlagen und
       sexuell missbraucht.
       
       „Es hat sich einiges geändert, seit ich Iran verlassen habe“, sagt Faravaz.
       „Viele Frauen tragen kein Kopftuch mehr, obwohl sie immer noch dafür
       verhaftet werden können.“ Zwar sei das Regime nicht liberaler geworden,
       aber die Frauen dafür mutiger. Dennoch hat die Musikerin Faravaz am
       dauerhaften Erfolg der Bewegung ihre Zweifel: Es habe auch an Unterstützung
       aus dem Ausland gefehlt. „Die Medien berichteten, Politikerinnen schnitten
       sich die Haare ab. Aber was haben sie wirklich erreicht?“
       
       ## In sich zerstrittene Bewegung
       
       Männer im Iran profitierten von der Unterdrückung. „Sie entscheiden, ob
       ihre Ehefrauen studieren, arbeiten, wo sie wohnen. Sie haben das
       Sorgerecht. Für Frauen ist es fast unmöglich, sich scheiden zu lassen.“
       Wenn Männer noch protestierten, dann wegen Inflation, Arbeitslosigkeit,
       Stromausfällen – nicht wegen „Frau Leben Freiheit“.
       
       Zudem sei die Bewegung in sich zerstritten. Noch dazu versuche der Sohn des
       früheren Schahs, der im Exil lebt, die Proteste für die Rückkehr seiner
       Familie auf den Thron zu reklamieren. Deshalb geht die Beteiligung an den
       Aktionen zurück.
       
       Die Gesetze im Iran folgen den Gesetzen des Islam. Männer dürfen vier
       Frauen gleichzeitig haben, aber eine Frau wird bei Ehebruch mit dem Tod
       bestraft. „Das habe ich schon als Kind hinterfragt“, sagt Faravaz. Sie sei
       Feministin gewesen, bevor sie überhaupt wusste, dass es so etwas gibt.
       
       „Und ich habe die Religion, die mir aufgezwungen wurde, abgelegt, sobald
       ich in Deutschland angekommen bin. Ich hasse Religion.“ Damit kann Faravaz
       wohl nie wieder in den Iran zurückkehren. Denn auch Konvertierten und
       Atheisten droht unter dem islamischen Regime die Todesstrafe.
       
       ## Mit Musik etwas verändern
       
       „Als ich dort war, habe ich gesungen und versucht, zu überleben. Aber aus
       der Ferne sehe ich, wie schlimm alles ist und fühle mich nutzlos.“
       
       Ob ihre Musik im Iran etwas verändern kann? „Ich glaube schon“, sagt
       Faravaz. „Meine Musik ist politisch.“ Mit jedem ihrer Auftritte wüssten 100
       oder 2.000 Menschen mehr, was im Iran passiert. „Und je mehr wissen, wie
       verrückt und frauenfeindlich die Mullahs sind, desto weniger kann dieses
       Regime so tun, als sei es eine moderne, normale Regierung!“
       
       Faravaz mache kinky, verspielte Musik, weil sie merke, dass die Leute genug
       von dem haben, was sie „serious, political shit“ nennt. Für ihre nächste
       EP arbeitet sie mit queeren Berliner Künstler:innen zusammen. Schon an
       „Azadi“ waren fast nur weibliche und queere Personen beteiligt.
       
       Auch wenn das iranische Regime oft Familien von Aktivist:innen im
       Ausland unter Druck setzt, um sie einzuschüchtern, ist das bei Faravaz
       bisher noch nicht vorgekommen. Sie wirkt auch nicht wie jemand, die sich
       schnell einschüchtern lässt.
       
       Was bedeutet denn nun Freiheit für Faravaz? „Ein normales Leben, ohne für
       seine Grundrechte kämpfen zu müssen.“ Sie selbst sein, ohne Angst, dafür
       getötet zu werden. „Eigentlich ganz simpel“, sagt sie. „Aber leider auch
       überhaupt nicht.“
       
       14 Sep 2025
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Alice von Lenthe
       
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