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       # taz.de -- Israelische Offensive: Die letzten Stunden in Gaza-Stadt
       
       > Vor der drohenden israelischen Offensive herrscht in Gaza-Stadt Angst.
       > Die Menschen sind erschöpft und wissen nicht mehr, wohin sie fliehen
       > sollen.
       
   IMG Bild: Eine Frau trägt am Dienstag eine Tasche aus einem zerstörten Gebäude in Gaza-Stadt
       
       Kairo taz | Die Bewohner von Gaza-Stadt warten auf das, was als Nächstes
       kommt. Die große israelische Offensive hat offiziell noch nicht begonnen,
       doch i[1][n den letzten Tagen rückte die israelische Armee bereits in
       östliche Stadtviertel vor]. Es ist die Vorhut eines Großangriffs, dessen
       Ziel laut israelischer Darstellung die Evakuierung von mindestens 800.000
       Menschen ist. Dies geschieht nur wenige Tage, nachdem [2][die Vereinten
       Nationen für Gaza-Stadt offiziell eine Hungersnot ausgerufen haben.] Seit
       Monaten erreichen kaum noch Hilfsgüter die Stadt. Die Menschen sind
       erschöpft, hungrig, verängstigt und wissen nicht, wohin sie fliehen sollen.
       
       Die östlichen Vororte sind weitgehend verlassen, berichtet Amjad Schawa,
       der mit seiner Familie im westlichen Teil der Stadt lebt, gegenüber der taz
       am Telefon. Es ist Leiter des Palestinian NGO Network, das die Arbeit
       lokaler und internationaler Hilfsorganisationen koordiniert. Den
       israelischen Panzern folgen in der Regel Bulldozer oder Sprengtrupps.
       „Ganze Stadtviertel werden ausgelöscht, dem Erdboden gleichgemacht. Sobald
       sie in ein Gebiet einrücken, schaffen sie eine Situation, in der es kein
       Zurück mehr gibt. Sie entwurzeln praktisch die Menschen aus Gaza-Stadt“,
       erläutert Schawa.
       
       Die Menschen befürchten, dass dies Teil eines angekündigten israelischen
       Plans ist, sie dauerhaft in den Süden des Gazastreifens zu vertreiben. Noch
       aber konzentrieren sich die Angriffe auf den Osten der Stadt. Viele flohen
       von dort in den Westen. „Dort gibt es keinen freien Platz. Überall, auf
       Trümmern, am Strand, stehen Zelte. Manche haben noch nicht einmal das:
       Frauen, Kinder, Alte, Kranke und Verwundete leben auf der Straße, oft ohne
       Hab und Gut, beschreibt Schawa die Lage.
       
       Die israelische Armee hat die Versorgung fast vollständig abgeschnitten.
       Das Wenige, das durchkommt, wird von den Lkw geplündert und teuer verkauft.
       Aber die meisten Menschen hätten überhaupt [3][kein Einkommen], erzählt
       Schawa. „Es gibt kaum Wasser und Essen. Wenn sie Glück haben, essen die
       Menschen einmal am Tag etwas Reis oder Brot, nur um zu überleben.“
       Besonders die Wasserknappheit mache den Menschen zu schaffen, und das bei
       einer unerträglichen Sommerhitze und Feuchtigkeit.
       
       ## Menschen werden untereinander aggressiv
       
       Dazu kämen Berge von Abfall, der sich zwischen den Häusern, Ruinen und
       Zelten auftürme und über die Krankheiten verbreitet würden.
       „Unterernährung, Durst, der Mangel an Hygiene, die ständigen Vertreibungen
       und die täglichen israelischen Angriffe, all das führt zu weiteren Toten
       und verwandelt die Stadt in einen unbewohnbaren Ort“, zählt Schawa auf.
       
       Die humanitäre Katastrophe zermürbt die Menschen. „Ich habe heute gleich
       vier oder fünf Mal das Gleiche gehört. Die Menschen sagen: Das war’s. Ich
       halte das nicht mehr aus. Weder ich noch meine Familie. Wenn wir sterben
       sollen, dann lieber durch eine Bombe in meinem eigenen Zuhause“, berichtet
       Schawa. „Es kommt zu immer mehr internen Konflikten. Es gibt Schlägereien,
       manche bringen ihr Leid durch gesteigerte Aggressivität zum Ausdruck,
       andere hören einfach auf zu essen. Viele nehmen Antidepressiva“, schildert
       er die psychischen Folgen.
       
       Ein großes Thema unter den Einwohnern von Gaza-Stadt ist, ob sie weiter in
       den Süden fliehen sollten. Viele sind schon mehrfach geflohen, nur um
       wieder nach Gaza-Stadt zurückzukehren. „Wohin soll ich denn noch vertrieben
       werden? Wir sind schon einmal in den Süden geflohen. Dort gab es nichts.
       Wir sind an dem Punkt angekommen, betteln zu müssen, um überhaupt zu
       überleben“, klagt der Bewohner Osama Kohail gegenüber der
       Nachrichtenagentur Reuters.
       
       Und der palästinensische Schriftsteller und Journalist Yousy Al-Ghoul
       twittert aus Gaza-Stadt: „Ich bin bisher nicht in den Süden Gazas geflohen,
       und ich werde heute auch nicht fliehen. Ich werde in dem bleiben, was von
       meinem Haus übrig ist, von dem schon vieles zerstört wurde. Ich kann
       einfach nicht 40 Kilometer zu Fuß gehen, während es keinen Transport mehr
       gibt. Ihr habt Autos, Busse und Lastwagen zerstört, sogar die von Eseln
       gezogenen Wagen“, schreibt er und führt weiter aus: „Ich kann keine
       Kanister mit Wasser, Haushaltsgegenstände, Bücher, Kleidung, Bettzeug und
       etwas Nahrung tragen, nur um im Freien unter einem Himmel zu leben, der von
       euren Kriegsflugzeugen wimmelt, dieselben Drohnen und Flugzeuge, die nicht
       zwischen einem Kind oder einer Frau unterscheiden und dort sitzen, um auf
       meinen Tod zu warten.“
       
       „Es gibt keine sicheren Zonen, nirgends im Gazastreifen, auch nicht im
       zentralen oder südlichen Teil. Überall wird bombardiert“, sagt auch Amjad
       Schawa und fasst die generelle Gefühlslage der Menschen in Gaza-Stadt in
       einem Satz zusammen: „Der Verlust der Hoffnung – das ist das Schlimmste.“
       Er selbst will nicht aufgeben. Schließlich, sagt er, sei es sein Job als
       Hilfskoordinator, anderen Menschen Hoffnung zu geben. Und wenn sie noch so
       klein sei.
       
       26 Aug 2025
       
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