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       # taz.de -- Italiens Fußballerinnen bei der EM: Da geht noch mehr
       
       > Das italienische Team bestätigt die positive Entwicklung der vergangenen
       > Jahre trotz aller Widrigkeiten. Gegen Norwegen will man weiter zulegen.
       
   IMG Bild: Ein Vorbild in vielerlei Hinsicht: Kapitänin Elena Linari im Spiel gegen Portugal
       
       Was für ein Statement, das Andrea Soncin nach dem Weiterkommen seiner
       Italienerinnen in der Gruppenphase in die Kameras sprach. Es gebe viele
       Ahnungslose, die den Fußball von Frauen schlecht redeten, kritisierte er
       da. Welche Hingabe es hier gebe, welch gegenseitigen Respekt, das wolle er
       mit nichts auf der Welt tauschen. Dann kamen dem Coach die Tränen: „Das
       hier ist der schönste Moment meines Lebens.“ Er habe keine Worte. „Es ist
       magisch.“
       
       Mit so viel Liebe und eigener Verletzlichkeit hat im patriarchalen Italien
       selten ein männlicher Trainer über das Spiel der Frauen gesprochen. Auch
       das vielleicht ein Zeichen eines kleinen Kulturwandels, der da rund um die
       Azzurre passiert. Zum ersten Mal seit zwölf Jahren ist es dem Team
       gelungen, wieder ins Viertelfinale einer EM zu kommen. Und [1][weil man mit
       Norwegen verhältnismäßig dankbare Gegnerinnen] erwischt hat, muss dort
       nicht Schluss sein. In der Qualifikation trennten die beiden Teams sich
       zweimal mit Remis. „Es waren schwere Spiele und die Italienerinnen haben
       sich seitdem nochmal stilistisch weiterentwickelt“, lobte Norwegens
       Trainerin Gemma Grainger.
       
       Italien steht tatsächlich nicht zufällig hier, das Team hat überzeugt bei
       dieser Europameisterschaft: Hinten kompakt, auf dem Platz gut sortiert, mit
       feinen Technikerinnen und sehr geradlinigen, effektiven Angriffen. Wenn sie
       gegen schwächere Gegnerinnen das Spiel machen müssen, sieht man, dass noch
       ein Stück fehlt im Vergleich zu den ganz großen Teams. Und doch ist
       bemerkenswert, welchen Weg die Italienerinnen gegangen sind, die lange als
       einziges Land unter den Big Five völlig im Abseits dümpelten.
       
       Obwohl italienische Frauen in der Bewegung früh dabei waren und sogar die
       erste WM ausrichteten, fielen sie bald zurück. Man hat es nicht leicht
       daheim [2][mit einem besonders schlagkräftigen Patriarchat], einer
       ignoranten männlichen Sportpresse und den Rollenbildern der mächtigen
       katholischen Kirche im Gepäck. Dazu verlor der italienische Gesamtfußball
       in den 2010er Jahren sportlich und infrastrukturell den Anschluss, bevor es
       zuletzt wieder aufwärts ging. Bringt diese EM nun den großen Durchbruch?
       
       ## Vollprofiliga und Unterstützung für Mütter
       
       Sportlich ist vieles in Bewegung. Seit 2022 ist die italienische Liga eine
       Vollprofiliga, im Gegensatz etwa zu Deutschland. Für Spielerinnen über 24
       Jahren gilt ein Mindestgehalt von 20.000 Euro netto im Jahr. Der AC Mailand
       gab sich als erster europäischer Klub umfassende Regeln zur Unterstützung
       von Müttern. Gab es bis vor wenigen Jahren noch kaum Ausländerinnen in der
       Serie A, ist ihre Zahl in den letzten Jahren auf rund 120 gewachsen. Und
       ganz allmählich schaffen es auch Italienerinnen ins Ausland, etwa Arianna
       Caruso zum FC Bayern oder Sofia Cantore zu Washington Spirit.
       
       Dass der Erfolg kein One-Hit-Wonder ist, zeigte sich im Juni bei der
       U19-EM: Dort haben die Italienerinnen das Halbfinale erreicht und sind erst
       in der Verlängerung an Spanien gescheitert.
       
       Doch gerade an der öffentlichen Wirkung fehlt es noch. „Die Wahrnehmung des
       Turniers ist nicht besonders breit“, kritisiert die freie Sportjournalistin
       Marialaura Scatena, die das Turnier begleitet. „Es gibt keine großen Public
       Viewings. Und in puncto Werbung oder Berichterstattung in der
       Mainstreampresse passiert nicht viel.“
       
       Die TV-Quoten seien gut, aber wenige Fans vor Ort, und die meisten davon
       seien Italiener:innen aus der Schweiz. Das Turnier als große Welle?
       Vielleicht eher ein steter Tropfen, der den Stein höhlt.
       
       „Ein Turnier kann emotional und erzählerisch sehr helfen, aber allein kann
       es die Dinge nicht ändern“, sagt Scatena. Sie erinnert [3][sich an die WM
       2019, als die Italienerinnen ebenfalls das Viertelfinale erreichten] und
       man verpasst habe, davon zu profitieren. „Wir müssen die gesamte
       Sportkultur und Teilhabe im Frauensport vergrößern. In Italien fehlt es vor
       allem an dieser breiten Basis.“
       
       Zugleich sind die Fortschritte unübersehbar. Und auf ideeller Ebene werden
       sie vielleicht symbolisiert von Kapitänin Elena Linari. 2019 hatte sie in
       Italien ihr öffentliches Coming-out. Was anderswo im Frauenfußball eher
       Achselzucken hervorruft, sorgte dort für große Schlagzeilen. „Italien ist
       noch nicht bereit für Homosexualität“, sagte Linari da und sprach offen
       über ihre Angst. Sechs Jahre später tritt Italien mit sechs offen queeren
       Spielerinnen bei der EM an. Und Linari trägt als erste italienische
       Kapitänin die Regenbogenbinde.
       
       Auch sportlich strahlt das Team großes Selbstbewusstsein aus. Veteranin
       Barbara Bonansea hat kürzlich gesagt, dass man in der Gruppenphase ja nicht
       mal sein bestes Gesicht gezeigt habe und trotzdem weitergekommen sei. Sie
       erklärte: „Wir können es viel besser. Das gibt mir Hoffnung.“ Und Manuela
       Giugliano befand über Norwegen: „Wir wissen gut, was ihre Stärken sind,
       aber wir wissen auch, wo wir sie erwischen können.“ Hier spricht ein Team,
       das nichts zu verlieren hat. Und viel zu gewinnen.
       
       16 Jul 2025
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Alina Schwermer
       
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