URI: 
       # taz.de -- Jonathan Littell über „Wrong Elements“: „Die Psyche der Täter ist komplexer“
       
       > Der französische Schriftsteller hat einen Film über die LRA gedreht. Er
       > spricht über sein Regiedebüt und seine Faszination für Kriegsverbrecher.
       
   IMG Bild: Lachend vom Töten sprechen – Geofrey, der von der LRA entführt wurde
       
       Mit seinem Roman [1][„Die Wohlgesinnten“], in dem er einen (fiktiven)
       schwulen SS-Offizier beschreibt, der zu fast allen neuralgischen Momenten
       des Dritten Reichs anwesend ist, wurde Jonathan Littell, französischer
       Autor US-amerikanischer Herkunft, auch in Deutschland berühmt. Zehn Jahre
       später legt er nun ein neues, großes Werk vor, überraschenderweise kein
       Roman, sondern ein Dokumentarfilm, in dem er drei ehemalige Kindersoldaten
       porträtiert, die von Joseph Konys ugandischer Lord’ s Resistance Army
       (LRA) entführt wurden. 
       
       taz: Herr Littell, als ich von Ihrem Film las, war ich zunächst überrascht,
       doch dann erschien es mir wie eine logische Entwicklung. 
       
       Jonathan Littell: Absolut, zumal ich schon immer Filme machen wollte.
       Schreiben ist einfach, alles was man braucht, ist Zeit. Für Filme braucht
       man Geld, Produzenten. Hier kam alles zusammen und ich ergriff die
       Gelegenheit.
       
       Im Gegensatz zu der auktorialen Perspektive eines Romans erlaubt ein
       Dokumentarfilm einen offeneren Blick. 
       
       Ja, man beobachtet einfach, lässt die Dinge passieren. Wobei natürlich auch
       bei einem Dokumentarfilm der Autor stets präsent ist. Man fällt viele
       Entscheidungen, Kamerawinkel, Ton, welche Momente im Film bleiben, welche
       nicht.
       
       Wie kamen Sie auf das Thema der Lord’ s Resistance Army? 
       
       Ich hatte schon einige Artikel über die LRA geschrieben, 2011 begleitete
       ich die ugandische Regierungsarmee im Dschungel, daraus entstand die Idee
       für den Film. Ich habe lange recherchiert, viele Menschen interviewt, am
       Ende, eigentlich erst während der Arbeit am Schnitt, kristallisierte sich
       dieses Trio, eine Frau und zwei Männer, als Hauptfiguren heraus.
       
       Ein verbindendes Element zu den „Wohlgesinnten“ scheint Ihr Interesse an
       Ambivalenzen zu sein, es geht weniger um Gut und Böse als um das, was
       dazwischen liegt. 
       
       Ja, wobei die Auswahl der Charaktere eher soziologische Gründe hatte:
       Männer, Frauen, Stadt- und Landbewohner, ich wollte zudem normale Soldaten
       zeigen, keine Offiziere.
       
       Dennoch war es für Sie ein Glück, das zum Zeitpunkt der Dreharbeiten der
       LRA-Kommandant Dominic Ongwen von ugandischen Regierungstruppen verhaftet
       wurde? 
       
       Ja, das war aus der Sicht des Films eine glückliche Fügung, wobei Ongwen
       nicht direkt verhaftet wurde. Zunächst wurde er zwar von Kony selbst
       festgenommen, da sich ihre Beziehung seit Jahren verschlechtert hatte. So
       befürchtete Ongwen, dass Kony ihn hinrichten würde. Einige Soldaten, die
       loyal zu ihm waren, halfen ihm bei der Flucht und er ergab sich den
       ugandischen Regierungstruppen.
       
       Wie konnten Sie seine Übergabe an die UN filmen, eine besonders
       eindrucksvolle Sequenz? 
       
       Ich hatte schon länger gute Beziehungen zu dem Offizier aus Uganda, der die
       Übergabe leitete, so ergab es sich. Und Ongwen hatte mich in gewisser Weise
       schon länger begleitet: 2011 war ich während der Arbeit an meinen Artikeln
       in seiner Nähe, die Armee suchte ihn, beschrieb ihn als den brutalsten,
       pathologischsten Killer in den Reihen der LRA. Und wenn man ihn trifft,
       erweist er sich tatsächlich als durchaus sympathischer Mensch. – Eine
       seltsame Erfahrung. Im Moment bin ich mit seinen Anwälten in Kontakt, ich
       hoffe nach Den Haag fahren zu können, um ihm den Film zu zeigen. Momentan
       geht es ihm schlecht, vor einiger Zeit hat er versucht, sich umzubringen.
       
       Weil er keine Amnestie bekommen hat, wie es allen LRA-Soldaten versprochen
       wurde, die sich freiwillig stellen? 
       
       Nun, in seinem Fall ist es etwas komplizierter: Er hat diverse Frauen und
       etwa die Hälfte will für die Anklage aussagen, die Hälfte für die
       Verteidigung. So war er in Kontakt mit seinen loyalen Frauen und seinen
       Kindern und dann entschied das Gericht, dass dieser Kontakt den Prozess
       behinderte und untersagte jeden weiteren Kontakt. Davon war Ongwen schwer
       getroffen und versuchte, sich mit Reinigungsmittel zu vergiften.
       
       Wie auch die drei Hauptcharaktere des Films ist Ongwen als Kind entführt
       worden und wurde dann zum Soldaten, ist also Opfer und Täter zugleich. 
       
       Genau, wobei er so eine interessante Figur ist, weil er Offizier wurde. All
       die anderen LRA-Offiziere, die vom ICC (Internationaler Strafgerichtshof,
       Anm. d. Red.) angeklagt sind, waren Freiwillige.
       
       Wie sehen Sie den ICC, gerade in Bezug auf Afrika? In den letzten Monaten
       haben sich etliche afrikanische Staaten mit dem Vorwurf der Einseitigkeit
       vom ICC distanziert. 
       
       Das ist eine komplizierte Frage. Es scheint, dass der ICC Opfer von
       grundsätzlichen Problemen in seiner Struktur ist: Man kann keine Russen
       anklagen, keine Syrer, keine Amerikaner und so weiter. Der ICC macht gute
       Arbeit bei denen, die sie anklagen dürfen, aber das sind vor allem
       Afrikaner. Im Fall Ongwen scheint allerdings eine gewisse Willkür am Werk
       zu sein: Ongwen wird angeklagt, während deutlich schlimmere Offiziere nicht
       verfolgt werden und Amnestie bekommen haben, Offiziere, die die
       Entführungspolitik initiiert haben, solche, die Dutzende Kinderfrauen
       hatten. Und dann schaut man sich Ongwen an und fragt sich: Wo ist da die
       Gerechtigkeit? Viele Menschen in seiner Heimatregion sehen das übrigens
       ähnlich.
       
       Was fasziniert Sie in Ihrer künstlerischen Arbeit so an Tätern? 
       
       Nun, ich habe viel mit Opfern gearbeitet, als ich für Hilfsorganisationen
       aktiv war, aber man kann in gewisser Weise nichts von ihnen lernen. Man
       kann ihnen helfen, es gibt Fälle von großer Widerstandskraft, aber
       letztlich sind die Fragen, die sich hier stellen, reduziert: Entweder
       Menschen brechen zusammen oder nicht. Die Psyche der Täter ist viel
       komplexer, es ist viel schwerer, sie zu verstehen, ihre Handlungen
       nachzuvollziehen.
       
       Glauben Sie, dass die Männer, die Sie zeigen, ihre Taten bereuen? In
       manchen Situationen reagieren sie überraschend: In einer Situation lachen
       sie geradezu, als sie von ihren Taten erzählen. 
       
       Menschen reagieren eben oft nicht so, wie man es erwarten würde, das macht
       es ja so interessant. In dieser Situation habe ich ihnen Fotos gezeigt, sie
       gebeten, über ihr Leben, ihre Kinder zu erzählen, aber sie nicht gelenkt.
       Bald merkte ich jedoch, dass ihre Unterhaltungen nur bis zu einem
       bestimmten Punkt gingen und nicht darüber hinaus. Dann habe ich formalere
       Interviews organisiert, um bestimmte Aspekte anzusprechen, Situationen, in
       denen ich selbst im Film auch präsenter bin.
       
       Noch ein Wort zur Wahl der klassischen Musik, die dem Ganzen eine besonders
       elegische Note verleiht. 
       
       Sie betont nicht zuletzt meine Außenperspektive, die Position des Autors,
       des Fremden. In den letzten Jahren hat es eine Tendenz gegeben, gerade auch
       bei Filmen über Kindersoldaten, die dargestellte Kultur möglichst zu
       emulieren, „traditionelle“ Musik zu verwenden, aber das geht in meinen
       Augen meist schief. Am Ende filmt man immer wie durch eine Glaswand, und
       diese sollte man auch deutlich machen. Ich bin nun mal ein Weißer, der
       diese Menschen beobachtet, einen Film über sie macht, diese
       Außenperspektive sollte dann auch im Film zu spüren sein.
       
       Grundsätzlich scheint es schwierig zu sein, Filme in Afrika zu drehen, ohne
       in fragwürdige Erzählmuster zu verfallen. Gibt es Spielfilme über Afrika,
       die Ihnen gefallen? 
       
       Westliche? Kaum. Ich habe praktisch alles gesehen, was aufzutreiben war,
       Filme über Kindersoldaten und dergleichen, aber ich würde mich nie an einen
       fiktiven Film über Afrika wagen. Miguel Gomes’ „Tabu“ oder Claire Denis’
       „White Material“ zählen da zu den wenigen Ausnahmen. Das Problem scheint
       vor allem zu sein, dass viele Menschen aus dem Westen mit bon sentiment,
       wie wir in Frankreich sagen, nach Afrika kommen, mit guten Absichten, und
       die Filme dann, wie soll man sagen, wie ein Bonbon wirken, süßlich und
       kitschig.
       
       27 Apr 2017
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /!5186193/
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Michael Meyns
       
       ## TAGS
       
   DIR Uganda
   DIR Kriegsverbrechen
   DIR Kindersoldaten
   DIR Dokumentarfilm
   DIR Uganda
   DIR Lesestück Meinung und Analyse
   DIR Russland
   DIR Uganda
   DIR LRA
   DIR Kriegsverbrechen
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Urteil gegen LRA-Kommandeur aus Uganda: Erst Opfer, dann Täter
       
       Der Internationale Strafgerichtshof spricht sein erstes Urteil gegen
       Ugandas LRA-Rebellen. Dominic Ongwen ist in fast allen Punkten schuldig.
       
   DIR Debatte Internationale Organisationen: Gegen nationalistische Utopien
       
       Organisationen wie der Internationale Strafgerichtshof mögen kritikwürdig
       und reformbedürftig sein. Aber wir brauchen sie. Eine Verteidigung.
       
   DIR Spielfilm „Paradies“: Balsam für die russische Seele
       
       Der Regisseur Andrei Kontschalowski erzählt in „Paradies“ von einer
       adeligen russischen Migrantin. Sie engagierte sich in Paris in der
       Résistance.
       
   DIR Folgen des Terrors in Uganda: Sie tragen den Krieg noch im Kopf
       
       Die Terrortruppe LRA hat Norduganda längst verlassen. Aber viele dort sind
       tief traumatisiert und sehen keinen anderen Ausweg als den Suizid.
       
   DIR Prozess gegen LRA-Kämpfer: „Er war ein süßer Junge“
       
       Vor elf Jahren massakrierte die Rebellenarmee LRA im Norden Ugandas 42
       Menschen. Jetzt wartet der erste Verantwortliche auf seinen Prozess.
       
   DIR Rebellenorganisation in Uganda: Kriegsverbrecher gefasst
       
       Der Kommandeur der LRA wurde von US-Soldaten gefasst und an die ugandische
       Landesarmee übergeben. Er soll vor den Internationalen Strafgerichtshof
       kommen.