URI: 
       # taz.de -- Jüdische Gemeinde in München: Licht im Hinterhof
       
       > Die Synagoge in der Münchner Reichenbachstraße ist vor dem Verfall
       > gerettet und wieder hergestellt worden. Auch dank Menschen wie Rachel
       > Salamander.
       
   IMG Bild: Die Synagoge ist auch ihr Baby: Münchens bekannte Buchhändlerin Rachel Salamander
       
       München taz | Als Rachel Salamander am Montag der vergangenen Woche
       aufwacht, ist ihr erster Gedanke: „Mensch, nur noch vier Wochen.“ Vier
       Wochen bis zu dem großen Tag. Dem Tag, an dem Bundeskanzler,
       Ministerpräsident und Oberbürgermeister in die Münchner Reichenbachstraße
       kommen werden. [1][Charlotte Knobloch], die Präsidentin der Israelitischen
       Kultusgemeinde, wird natürlich ebenfalls da sein. Auch der Pianist Igor
       Levit. Und Emanuel Meyerstein. Der ist zwar weniger bekannt als die
       vorgenannten, aber dafür der Sohn von Gustav Meyerstein. Und über den wird
       noch zu reden sein.
       
       Kein Wunder also, dass Rachel Salamander nun doch ein bisschen nervös zu
       werden beginnt. Denn mit dem Festakt am 15. September kommt ein besonderes
       Projekt zum offiziellen Abschluss. Ein Projekt, in das sie nicht nur 15
       Jahre ihres Lebens, sondern auch ganz viel Herzblut investiert hat. An
       diesem Tag wird die Wiederherstellung der Synagoge in der Reichenbachstraße
       gefeiert. Und ohne Salamander, das kann man wohl getrost sagen, wäre es so
       weit nie gekommen.
       
       Ein paar Stunden später. Ortstermin in der Reichenbachstraße.
       Glockenbachviertel, beste Lage, zum Gärtnerplatz sind es nur ein paar
       Schritte. Zwischen einem Kiosk und einem Friseursalon geht es rein.
       Zugegeben: Das Vorderhaus gibt sich wenig einladend. Ein Betonblock mit
       durchgehenden Fensterfronten aus schwarzem Blech und mattem, schmutzigen
       Glas. Man tut dem Gebäude sicherlich nicht unrecht, wenn man es als eines
       der hässlichsten in der Straße bezeichnet.
       
       ## Sie ist nicht irgendwer
       
       Aber um dieses Haus geht es ja auch gar nicht. Als die Synagoge zum ersten
       Mal eröffnet wurde, da stand es noch nicht einmal, da war hier zur Straße
       hin ein offener Vorplatz. Also schnell durch den Hauseingang in den
       Hinterhof, rechts wieder durch die Tür, und endlich steht man im richtigen
       Gebäude, im Foyer der Synagoge. Salamander zeigt auf die Wände: „Das hier
       wird alles pompejanisches Rot.“
       
       Als die Synagoge errichtet wurde, hatte das Foyer noch ein Glasdach, jetzt
       ist es von einem Teil des Vorderhauses abgedeckt. Die
       Sonnenlichteinstrahlung von damals soll nun durch eine spezielle
       Tageslichtlampe an der Decke simuliert werden. Das pompejanische Rot soll
       schließlich genau so erstrahlen wie damals von Gustav Meyerstein, dem
       Architekten der Synagoge, vorgesehen.
       
       27 Meter lang, 14 Meter breit und 8 Meter hoch ist die Synagoge, so kann
       man es auf Wikipedia nachlesen. Im Inneren herrscht reges Treiben.
       Handwerker rutschen auf Socken über das gerade frisch verlegte
       Fischgrätparkett, überall stehen Leitern, aus einem Radio plätschert
       Popmusik. Gerade wird die halbhohe Wandvertäfelung angebracht. Es habe sich
       enorm viel getan in den vergangenen Tagen, erzählt Rachel Salamander. Es
       geht voran.
       
       Rachel Salamander ist nicht irgendwer in München. Die
       Literaturwissenschaftlerin ist Ehrenbürgerin der Stadt und wurde bereits
       mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet. Promoviert hat sie über die
       „zeitliche Mehrdimensionalität als Grundbedingung des Sinnverstehens“,
       bekannt wurde sie als Begründerin der ersten Fachbuchhandlung für Literatur
       zum Judentum, der Literaturhandlung. 2013 gründete sie zusammen mit dem
       Anwalt Ron C. Jakubowicz den Verein Synagoge Reichenbachstraße e. V. mit
       dem Ziel, die Synagoge an der Reichenbachstraße wiederherzustellen.
       
       ## Zurück in die nichtjüdische Welt
       
       Geboren 1949 in Deggendorf, kam Salamander mit ihren Eltern und dem älteren
       Bruder schnell nach Föhrenwald, ein Lager für die sogenannte DPs, die
       Displaced Persons, in Wolfratshausen. In Deutschland zu bleiben, war nicht
       der Wunsch der Familie, aber die Eltern waren krank. Weder die USA noch
       Israel vergaben damals Visa an Kranke. Die Mutter starb, da war Rachel noch
       ein kleines Kind.
       
       In Föhrenwald verbrachte sie ihre ersten Jahre wie in einem osteuropäischen
       Schtetl. Ihre erste Synagoge war dort ein behelfsmäßiges Gotteshaus, die
       Erinnerungen daran sind rudimentär. „Ich erinnere mich vor allem noch an
       den Synagogendiener, eine furchterregende Figur mit einem langen
       Rauschebart, die aus dem tiefsten Russland kam. Sommers wie winters trug er
       eine Pelzmütze und schlürfte mit schweren Stiefeln durchs Haus. Vor dem
       Mann haben wir uns als Kinder gefürchtet.“
       
       Als Föhrenwald als letztes Lager auf deutschem Boden aufgelöst wurde,
       gehörten die Salamanders zu den übrig gebliebenen hundert Familien, die es
       im Februar 1957 verließen. Sie wurden nach München umgesiedelt. Dem Vater
       wurden ein paar Adressen zur Auswahl gegeben. Er wählte einen Sozialbau mit
       18 Wohnungen in Neuhausen, das Haus, das dem Hauptbahnhof am nächsten war,
       nur eine Viertelstunde fußläufig. Im Falle eines Falles, so der Gedanke,
       würde man schnell wegkommen.
       
       Erst hier begann Rachel Salamander wirklich in Deutschland anzukommen. In
       der Schule sagte sie erstmal ein Jahr lang überhaupt nichts, versuchte die
       deutsche Sprache zu verstehen. Die einzige Sprache, die sie zuvor gehört
       und gesprochen hatte, war Jiddisch. „Wir haben uns mühsam in diese
       nichtjüdische Welt eingearbeitet.“
       
       ## Ein tiefes Schluchzen damals
       
       In die Synagoge in der Reichenbachstraße begann sie mit 12, 13 Jahren zu
       gehen. Vorher durften sie und ihr Bruder nicht alleine durch die Stadt
       laufen und für den kranken Vater war es zu weit. Woran sie sich noch
       erinnert, ist der Weg dorthin. Es war ja normaler Alltag in den Straßen,
       Freitagabend, sie dagegen waren festtäglich angezogen. „Mit unserer
       feierlichen Kleidung fielen wir im Stadtbild auf, sind angeschaut worden.
       Da wurde das Leben in zwei verschiedenen Welten spürbar.“
       
       Von den Gottesdiensten in der Reichenbachstraße blieb ihr vor allem das
       Totengebet erinnerlich. „Die Synagoge bestand ja hauptsächlich aus
       Überlebenden. Unvergesslich, wie beim liturgischen Totengebet ein tiefes
       Schluchzen das Bethaus erfasste. Jeder hat um Menschen, die ermordet worden
       sind, geweint. Das steckt mir immer noch in den Knochen.“
       
       Die 76-Jährige wandelt über Stoffbahnen, die das Parkett schonen sollen,
       durch das Hauptschiff des Gotteshauses, zeigt die Ostnische, in der der
       Schrein für die Thorarollen stehen wird. Das Ewige Licht hängt dort schon
       an drei dünnen Ketten von der Decke. Auch das Glasdach wurde wieder in den
       Originalzustand versetzt. Hier kommt nun tatsächlich das Tageslicht
       hindurch. Rachel Salamander weist auf den Effekt an der Wand hin: Ganz
       hinten wirkt die blau gestrichene Wand zu dieser Tageszeit schon fast lila,
       dann entsteht ein Farbverlauf bis hin zu Hellblau.
       
       Licht und Farbe und ihr Zusammenspiel, das ist Rachel Salamander überhaupt
       sehr wichtig. Wer möchte, dass sie ins Schwärmen gerät, muss sie nur darauf
       ansprechen: „Ich finde dieses Konzept genial. Ich rätsle noch immer, wie
       ein Mensch so etwas erfinden kann. Ich weiß nicht, ob dem Meyerstein das
       überhaupt bewusst war, aber der Effekt ist einfach …“ Ihr fehlen die Worte.
       
       ## Pompejanisches Rot zu schwarzem Marmor
       
       Den Effekt habe sie fast sinnlich gespürt, als sie die Berichte der
       Zeitzeugen von der Einweihung der Synagoge 1931 gelesen habe. Von einem
       regelrechten Farbrausch hätten diese gesprochen. „Es muss eine Farbmagie
       gewesen sein, wenn das Licht durch das Glasdach eingefallen ist und sich
       die Cremefarbe der Frauenempore mit dem Blau der Wände verbunden hat. Unten
       bei den Männern färbten sich die Wände dann plötzlich türkis.“
       
       Das Spiel der Farben habe bereits begonnen, wenn man ins Foyer mit seinem
       kräftigen pompejanischen Rot und dem schwarzgrundigen Marmorsockel getreten
       sei. „Das ist schon mal ein Knaller. Und dann das Türkis im Inneren des
       Betraumes, bei dem auch noch etwas gelbes Pastell mitspielt. Und dann die
       wunderbaren, mundgeblasenen Leuchtkörper! Also, das wird der modernste
       Sakralbau Deutschlands.“
       
       In jedem Fall ist es ein Raum mit einer ganz besonderen Geschichte: 1931
       hat Meyerstein die Synagoge errichtet. Meyerstein war ein Architekt am
       Anfang seiner Karriere. Er stammte aus Halle, hat aber in München studiert.
       Münchens Hauptsynagoge befand sich zu der Zeit noch in der
       Herzog-Max-Straße, gleich hinterm Stachus. Das Gotteshaus in der
       Reichenbachstraße war nun in erster Linie für jüdische Menschen gedacht,
       die aus Osteuropa geflohen waren – vor Armut und Antisemitismus.
       Ausgerechnet nach Deutschland.
       
       Die Synagoge war der letzte Sakralbau, der in München vor der
       Machtergreifung durch die Nationalsozialisten gebaut wurde. Das Anwesen
       hatte die Israelitische Kultusgemeinde damals einer Brauerei abgekauft.
       „Die Pläne sind 1930 entstanden“, berichtet Rachel Salamander. „Im April
       1931 wurde der Bau begonnen und im September abgeschlossen. Fünf Monate.
       Das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen.“
       
       ## Steine mit Seele
       
       Meyerstein orientierte sich am Stil von Bauhaus und Neuer Sachlichkeit. „Er
       hat aus einer Not eine Tugend gemacht“, sagt Salamander. „Ihm kam damals
       der hoch im Kurs stehende Stil der ausgehenden zwanziger Jahre, besonders
       des Bauhauses mit seiner funktional minimalistischen Bauweise zugute. Und
       so hat er da einen radikalen, minimalistischen Bau hingestellt.“ Der
       minimalistische Ansatz kam natürlich auch dem bescheidenen Budget entgegen,
       das zur Verfügung stand.
       
       Als „Religion ohne Schnickschnack“ bezeichnet der Historiker Michael
       Wolffsohn in der Jüdischen Allgemeinen das Werk des Gustav Meyerstein, als
       „rationale und emotionale Religiosität mit Intellektualität verbindend“. Es
       sei ein Beweis des jüdischen Baumeisters und seiner Auftraggeber gewesen,
       „dass auch Gebäude eine Seele haben und mehr sein können (und sollen!) als
       die Anhäufung von Steinen“.
       
       Und doch waren es dann in erster Linie die Steine, die den Judenhass der
       Nazis überlebten. Und auch das hatten sie einem Zufall zu verdanken: der
       Hinterhoflage der Synagoge. Als SA-Männer in der Pogromnacht im November
       1938 auch hier Feuer legten und das Innere der Synagoge schändeten und
       zerstörten, griff umgehend die Feuerwehr ein und löschte den Brand. Nicht,
       um das Gotteshaus zu retten – sondern um zu verhindern, dass die Flammen
       auf die umliegenden Häuser übergriffen.
       
       Gustav Meyerstein war zu der Zeit bereits nicht mehr in München. Er war
       schon nach Britisch-Palästina geflohen. Später gehörte er zu den
       Architekten, die mit ihren Bauten das Stadtbild Tel Avivs prägten. Im
       Bauhaus-Stil.
       
       ## Auf der Durchreise
       
       Die ehemalige Synagoge wurde indes als Lagerhalle und Werkstatt genutzt.
       Erst am 20. Mai 1947 konnte die jüdische Gemeinde sie wieder einweihen.
       Auch jetzt waren es wieder überwiegend Menschen, die aus Osteuropa kamen,
       die sie nutzten: Überlebende der Schoa. So wie die Salamanders. Als einzige
       Münchner Synagoge, die nicht komplett von den Nazis zerstört worden war,
       war sie fortan die Hauptsynagoge der Israelitischen Kultusgemeinde München
       und Oberbayern – bis [2][2006 die große neue Hauptsynagoge am Jakobsplatz],
       nur rund 500 Meter entfernt, eröffnet wurden.
       
       Und so wurde die Synagoge in der Reichenbachstraße auch zu einem prägenden
       Ort für Generationen von Münchner Jüdinnen und Juden. Menschen wie Anita
       Kaminski. Man trifft sich mit ihr im Café der Bäckerei Paul Isaak in
       Nymphenburg, und natürlich setzt sich bei dem Namen Isaak sofort das
       Assoziationskarussell in Gang. Die Isaaks sind aber eine alte katholische
       Familie. Schwierigkeiten wegen ihres Nachnamens, so kann man auf der
       Website der Bäckerei nachlesen, hätten sie in der NS-Zeit dennoch gehabt.
       Und auch heute müssten sie immer wieder Kundinnen und Kunden enttäuschen,
       die nach koscheren Lebensmitteln fragen.
       
       Anita Kaminski, blonde Locken, Jeansjäckchen, ist mit dem Fahrrad gekommen.
       Sie sitzt auf der Terrasse. Für sie ist das Café Kindheit. Eine
       Institution. Innen sehe es noch genauso aus wie damals. „Da ist nichts
       Modernes, das ist eine richtig schöne Atmosphäre.“ Bei den Isaaks bestellt
       Anita Kaminski immer einen Kuchen zu ihrem Geburtstag.
       
       Die Familie Kaminski gehört auch zu jenen jüdischen Familien, die nach dem
       Krieg aus dem Osten kamen. Die Eltern stammten aus Polen, die Mutter
       überlebte das Warschauer Ghetto, der Vater schlug sich als Partisan durch.
       Nach dem Krieg kamen sie nach Deutschland, in München blieb die Familie
       dann hängen, wo auch Anita Kaminski 1953 zur Welt kam. Nicht weit von hier,
       im Rotkreuz-Krankenhaus.
       
       ## Versteckter, heiliger Raum
       
       Ihr Eltern hätten ein traditionelles jüdisches Haus geführt, erzählt
       Kaminski. Ihr Vater kam aus einer religiösen Familie, ihre Mutter war
       säkularer eingestellt. Die jüdischen Feiertage wurden gefeiert, die Regeln
       des Sabbats eingehalten, aber auch nicht zu streng. Natürlich, sagt sie,
       habe sie als Kind realisiert, dass ihre Familie nicht zur Mehrheit gehörte.
       Spätestens als der Nachbarbub ihr unvermittelt vorhielt: „Ihr Juden habt
       unseren Jesus Christus umgebracht.“ Fünf Jahre war sie damals alt, musste
       erstmal die Mutter fragen, ob sie Juden seien und ob man diesen Jesus
       Christus kennen müsse.
       
       An die Reichenbachstraße – wie man die dortige Synagoge kurz nannte – kann
       sich Anita Kaminski sehr gut erinnern. Zu den Feiertagen ging man dorthin,
       und der Gottesdienst an einem jüdischen Feiertag kann schon auch mal ganz
       schön lang werden. „Wir Kinder gingen dann zwischendrin immer mal raus in
       den Hof zum Spielen.“ Dort floss noch der mittlerweile längst eingefasste
       und unter die Erde verlegte Kaiblmühlbach vorbei. „Das plätscherte dann
       immer so. Das fanden wir schön.“
       
       Kaminskis Gefühle waren jedoch schon damals gemischt. Von ihren „schönsten
       Erinnerungen“ spricht Kaminski einerseits, andererseits erinnert sie sich
       auch an die besondere Hinterhofsituation der Synagoge. „Das war schon etwas
       Verstecktes – so, als ob man etwas verbergen musste. Das hat sich nicht
       integriert angefühlt.“
       
       Das Gebäude hat sie mit Ehrfurcht wahrgenommen. „Das war schon ein heiliger
       Raum.“ Das Sakrale, das Spirituelle habe sie immer gespürt. „Es war aber
       jetzt nicht so, dass ich reingekommen bin und gesagt habe: Wow, ist das
       schön.“
       
       ## Ein Identifikationspunkt
       
       Als die prächtige neue Synagoge am Jakobsplatz eröffnet worden sei, habe
       sie sich sehr gefreut, zugleich aber auch Wehmut wegen dem Bethaus in der
       Reichenbachstraße gespürt. „Das war ja meine Kindheit, und später war ich
       selbst mit meinen Kindern dort. Mein Sohn hat dort seine Bar Mitzwa
       gefeiert.“
       
       Vor allem aber sei die Reichenbachstraße ganz eng mit ihrer
       Elterngeneration verbunden gewesen. „Mit den Überlebenden. Das gab es dann
       natürlich in der neuen Synagoge nicht mehr. Ich finde den Jakobsplatz
       wunderschön, aber es wird dort nie diese geschlossene Gemeinschaft geben
       wie in der Reichenbachstraße. Diese Synagoge war ein Identifikationspunkt
       für uns.“
       
       Diese Nachkriegssynagoge von 1947, in der Anita Kaminski und Rachel
       Salamander so viele Gottesdienste gefeiert, so viele Gebete gesprochen
       haben, hatte freilich kaum noch Ähnlichkeiten mit dem Werk Meyersteins. „Es
       sah ja nichts mehr nach Bauhaus aus“, sagt Rachel Salamander. „Andere
       Fenster, andere Lampen, zusätzliche Applikationen an den Wänden. Das Ganze
       hatte schon fast Wohnzimmercharakter. Mit der ursprünglichen reizvollen
       Ästhetik hatte diese Fassung nichts gemein.“
       
       Es gab auch keine Bemühungen der Gemeinde, die Synagoge wieder in ihren
       ursprünglichen Zustand zurückzuversetzen, die Ästhetik von 1931
       wiederzubeleben. Zum Einen kannten die neu nach München gezogenen Juden
       diesen Zustand gar nicht, zum anderen hatten die wenigsten von ihnen am
       Anfang den Plan, hier sesshaft zu werden. Der Aufenthalt in München war
       meist nur vorübergehend gedacht – auf der Durchreise in ein besseres Leben
       irgendwo anders. Da beschäftigt man sich nicht mit der Architektur von
       Synagogen.
       
       ## Dem Verfall überlassen
       
       Selbst Rachel Salamander, ein bekennender Bauhaus-Fan, machte sich damals
       keine Gedanken darüber, wie die Synagoge vielleicht mal ausgesehen haben
       mag.
       
       Aber dann gab es ihn, diesen einen Schlüsselmoment, als Salamander
       entschied, dass jetzt etwas passieren müsse: Es war im Jahr 2011, als sie
       den Hinterhof betrat, um zu einem damals dort untergebrachten
       Begräbnisinstituts zu gelangen. Sie wollte sich um die Beerdigung einer
       mütterlichen Freundin kümmern. „Und da habe ich neugierig durch die Fenster
       geschaut und gesehen, dass dieses Haus dem Verfall überlassen war.“
       
       Sie habe nicht lang überlegt, schon auf dem Heimweg im Kopf den Verein
       gegründet. „Mir war klar: Da muss was geschehen.“ Zu Beginn der Renovierung
       habe der Keller teilweise 20 Zentimeter unter Wasser gestanden, die
       Stahlträger waren angerostet, und das Dach drohte einzustürzen.
       
       Je mehr sie sich in die Geschichte der Synagoge einarbeitete, desto klarer
       wurde: Sie sollte wieder exakt in den Zustand von 1931 versetzt werden. Das
       große Glück: Es gab alles noch. Alle Pläne, alle Informationen. Sogar die
       Firma, die damals die Wände gestrichen hat. Und sie haben noch die exakten
       Farbtöne, die damals zum Einsatz kamen. Dieselbe Werkstatt, die 1931 die
       Fenster gebaut hat, das einzig ornamentale Element, hat diese nun nach
       demselben Verfahren wie damals identisch nachgebaut. Die Leuchtkörper, das
       Parkett, das Gestühl – alles wird so sein wie damals. „Wir geben dem Haus
       die Würde von 1931 zurück.“
       
       ## Jüdische Geschichte ist hipp
       
       Der Weg dorthin war allerdings steinig. Bürokratische Hürden,
       Denkmalschutz, Finanzierung – weniger hartnäckige Menschen hätten wohl
       früher oder später aufgegeben. Am Ende hat alles geklappt. Salamander hat
       Bund, Freistaat und Stadt ins Boot geholt, die jeweils knapp ein Drittel
       der Kosten übernehmen. Für den Rest musste Salamander Spender finden. Auch
       das gelang ihr.
       
       Die Synagoge wird wieder als Synagoge benutzt werden. Sie soll aber auch
       viele andere Funktionen erfüllen und nicht nur Anlaufpunkt für Juden sein.
       Vorträge könnten hier stattfinden, Konzerte. Es werde etwa ein
       bildungspolitisches Programm geben. „Schulklassen sollen auch mal andere
       Bilder vom Judentum sehen. Man muss nicht ins KZ gehen, um jüdische
       Geschichte zu lernen.“
       
       Für die Stadt werde das Gebäude jedenfalls „eine Attraktion ersten Ranges“
       sein, prophezeit Salamander. „Ich kann Ihnen jetzt schon sagen, da werden
       massenweise Touris kommen, um diese einzigartige Architektur zu erleben.“
       Gern bezeichnet sie ihn auch als den künftig „hippsten“ Raum der Stadt.
       Aber ist das nötig? Muss eine Synagoge wirklich hipp sein?
       
       Ja, findet Rachel Salamander. Man sei in Sachen Judentum viel zu sehr in
       bestimmten Sichtweisen festgefahren. Da habe sich ein Berg von Kitsch
       angehäuft. „Wir können uns gar nicht vorstellen, dass es so viel anderes
       gab, das durch den Nationalsozialismus einfach von der Bildfläche
       verschwunden ist. Die Wiederherstellung der Synagoge ist eine gute
       Gelegenheit, den Blick wieder zu ändern, Vorurteile aufzubrechen und zu
       zeigen, wie reich die jüdische Kultur ist.“ Hipp eben.
       
       27 Aug 2025
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Ehrung-von-Charlotte-Knobloch/!6101022
   DIR [2] /Zurueck-in-die-Mitte/!354811/
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Dominik Baur
       
       ## TAGS
       
   DIR Synagoge
   DIR Jüdische Gemeinde
   DIR Architektur
   DIR GNS
   DIR Theater
   DIR Synagoge
   DIR Jüdisches Leben
   DIR Schwerpunkt Stadtland
   DIR Dessau
   DIR Judentum
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Münchener Theater über jüdisches Leben: Der Schuh lässt sich nicht ausziehen
       
       Dem jüdischen Leben der Nachkriegszeit widmet sich ein Programm der
       Münchener Kammerspiele – an authentischen Orten und mit manch schwieriger
       Verkettung.
       
   DIR Emotionaler Festakt in Münchner Synagoge: Auferstanden aus Ruine
       
       Die alte Synagoge im Münchner Glockenbachviertel erstrahlt in neuem Glanz.
       Zahlreiche Gäste kamen zur Wiedereröffnung, darunter auch Friedrich Merz.
       
   DIR Historische Synagoge in München: Wiedereröffnet unter Merz-Tränen
       
       Die 1931 erbaute Münchner Synagoge ist nach der Restaurierung eröffnet
       worden. Als der Bundeskanzler über den Holocaust spricht, bricht seine
       Stimme.
       
   DIR Jüdischer Musiker über Synagogen: „Die Frage ist nicht, wo bin ich, sondern wer bin ich?“
       
       Es kostete Alex Jacobowitz Überwindung, nach Deutschland zu kommen. Jetzt
       hat der jüdische Musiker ein Buch über die Synagogenkultur hier vorgelegt.
       
   DIR Neue Synagoge in Dessau: Nicht im Verborgenen sein
       
       In Dessau eröffnet eine neue Synagoge. Der Neubau soll zeigen, dass
       Jüd:innen in der Stadt sich nicht verstecken – trotz der wachsenden
       Gefahr.
       
   DIR Jüdisches Leben in Deutschland: „Es gibt kein Buch über Synagogen“
       
       Alex Jacobowitz ist Musiker – und reist durch Deutschland, um Synagogen zu
       fotografieren. Warum er selbst oft staunt und was ihm Mut macht.