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       # taz.de -- Juneteenth und Autor Ralph Ellison: Schöne Illusion
       
       > Ein Auftritt Donald Trumps in Tulsa weckt Erinnerungen an Juneteenth und
       > ein rassistisches Massaker. Zur Aktualität von Ralph Ellisons Werk.
       
   IMG Bild: Ralph Ellison um 1950: Sein Roman „Juneteenth“ wurde postum 1999 veröffentlicht
       
       „Ich bin unsichtbar, weil man mich einfach nicht sehen will. Die
       Unsichtbarkeit […] ist die Folge einer eigenartigen Anlage der Augen,
       derer, mit denen ich in Berührung komme.“ Schrieb Ralph Ellison im Prolog
       seines existenzialistischen Romans „Der unsichtbare Mann“ (1952).
       
       Ellisons Protagonist bleibt bei seiner grotesken Wanderung durch die
       segregierte US-Gesellschaft unsichtbar und namenlos. Die rastlose Suche
       nach Identität und Selbstrepräsentanz, ignoriert von der weißen
       Mehrheitsgesellschaft, lässt ihn trotz Widrigkeiten die Fülle von Leben und
       Kultur erkunden. Am Ende dieses großen Werks der Weltliteratur geht er in
       einen Kohlenkeller, der von 1.369 brennenden Glühlampen erleuchtet wird.
       
       Unsichtbar sind Schwarze in den realen USA längst nicht mehr. Unrecht
       geschieht ihnen weiterhin, wie die Weltöffentlichkeit seit dem brutalen Tod
       von George Floyd hautnah vor Augen geführt bekommt. Barack Obama nahm in
       seinen beiden Amtszeiten immer Stellung, wenn es zu [1][rassistischen
       Übergriffen] gekommen war.
       
       ## Keine Empathie von höchster Stelle
       
       Das hat sich unter seinem Nachfolger Donald Trump geändert. Wenn
       BürgerInnen von höchster Stelle die Empathie versagt bleibt, lässt das
       Rückschlüsse auf den gesellschaftlichen Zustand des Landes zu und gibt
       Anlass zu Sorge, besonders, da die weiße Mehrheitsgesellschaft in
       absehbarer Zeit Geschichte sein wird.
       
       Trump hat sich auch 20 Tage nach [2][dem todbringenden Polizeiübergriff auf
       Floyd] bisher nicht in einer Rede an die Nation gewandt, um sie in
       krisenhafter Zeit zu einen. Dafür bestreitet er seinen ersten
       Wahlkampfauftritt seit dem Lockdown. Sein Team hat dafür die Stadt Tulsa im
       Bundesstaat Oklahoma ausgewählt. Dort hat Trump treue WählerInnen. Die
       republikanische Partei erhofft sich von diesem Auftritt Geldspenden und
       einen Push für seine Wiederwahl im November.
       
       In Tulsa ereigneten sich im Juni 1921 brutale Ausschreitungen mit bis zu
       300 Toten. Aufgrund von Falschinformationen nach einer Begegnung zwischen
       einem schwarzen Liftboy und einer jungen weißen Frau brandschatzten und
       mordeten Weiße durch die Geschäftsstraße „Black Broadway“ im Stadtteil
       Greenwood.
       
       ## Offizieller Feiertag
       
       In den USA gilt „Juneteenth“, der 19. Juni, in vielen Bundesstaaten als
       offizieller Feiertag: Zur Erinnerung an den 19. Juni 1865, als im
       texanischen Galveston Sklaven von Soldaten der Nordstaaten befreit wurden.
       In Tulsa ist die Erinnerung an „Juneteenth“ eine andere, unweit brutalere.
       Dementsprechend alarmiert hat die Bevölkerung auf die Ankündigung von
       Trumps Auftritt in der Stadt reagiert. Das Wahlkampfteam hat den Termin
       zwar um einen Tag – auf heute – verschoben, die Gemüter hat das kaum
       besänftigt.
       
       Nun kommt [3][Ralph Ellison] wieder ins Spiel, der 1914 in Oklahoma geboren
       wurde und dessen zweiter, 1999 postum veröffentlichter Roman „Juneteenth“
       heißt. Ellison nennt den 19. Juni darin „Festtag einer schönen Illusion“,
       um ungelöste Probleme im Zusammenleben von Schwarz und Weiß in einem
       virtuosen Zwiegespräch zu beschreiben.
       
       „Es wird noch viele Juneteenths geben, bevor wir wirklich frei sind“, lässt
       Ellison den schwarzen Prediger Alonzo Hickman sagen, der mit seinem
       Waisenkind, dem weißen Jungen Bliss, spricht, aus dem sich im Verlauf der
       Story der rassistische Politiker Sunraider entwickelt. „Gesellschaften sind
       Menschen Werk“, formuliert Ellison und trifft ins Herz von Bigotterie: Wer
       „Juneteenth“ liest, bekommt einen guten Eindruck vom Selbstverständnis
       ehemaliger Sklavenhalter und den Auswirkungen ihrer Ausgrenzung.
       
       Ellison hat immer dagegen angeschrieben, Opfer zu sein. Er hat zeitlebens
       auf Gleichberechtigung hingearbeitet: „Die Zeit […] ist ein Karussell im
       Inneren eines Karussells; nur Menschen fallen herunter oder aus der Zeit.“
       Vielleicht rückt dieser Zeitpunkt im November näher.
       
       19 Jun 2020
       
       ## LINKS
       
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   DIR [3] http://blogs.taz.de/schroederkalender/2008/11/09/unsichtbar/
       
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