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       # taz.de -- Justiz in Weißrussland: Todesstrafe mitten in Europa
       
       > Wegen eines Anschlags mit 15 Toten werden zwei Männer in Minsk zum Tode
       > verurteilt. Das Urteil könnte innerhalb von 24 Stunden vollstreckt
       > werden.
       
   IMG Bild: Zum Tode verurteilt: Dmitri Konowalow (l) und Wladislaw Kowalew im Gerichtssaal in Minsk.
       
       BERLIN taz | Zwei jungen Weißrussen droht die Hinrichtung, und das
       vielleicht schon innerhalb von 24 Stunden. Am Mittwoch verurteilte der
       Oberste Gerichtshof Weißrusslands die Angeklagten Dmitri Konowalow und
       Wladislaw Kowalew im Prozess um den Anschlag auf eine U-Bahn-Station in
       Minsk am 11. April dieses Jahres wegen Terrorismus zum Tode.
       
       Die Verurteilten stellten ausnahmslos eine Gefahr für die Gesellschaft und
       den Staat dar, sagte der Vorsitzende Richter Alexander Fjordorzow zur
       Begründung. Bei dem Bombenattentat, dem schwersten Terrorakt in
       Weißrussland seit der Unabhängigkeit des Landes 1991, waren 15 Menschen
       getötet sowie rund 200 zum Teil schwer verletzt worden. Die beiden waren
       der weißrussischen Öffentlichkeit wenige Tage nach dem Anschlag als
       mutmaßliche Täter präsentiert worden.
       
       Dem Urteilsspruch zufolge soll der 25-jährige Konowalow das Attentat am 11.
       April verübt und die Sprengsätze dafür vorbereitet haben. Der gleichaltrige
       Kowalew sei der Beihilfe zu dem Verbrechen schuldig. Er habe von den
       Anschlagsplänen gewusst, es aber unterlassen, die Behörden zu informieren.
       
       Doch der Anschlag auf die Minsker U-Bahn ist nicht die einzige Tat, für die
       die beiden mit ihrem Leben büßen sollen. So seien die Verurteilten auch für
       die Explosion am Unabhängigkeitstag im Juli 2008 in Minsk verantwortlich.
       Konowalow soll darüber hinaus auch für zwei Anschläge im September 2005 in
       Witebsk verantwortlich sein.
       
       ## Foltervorwürfe gegen Ermittler
       
       Während des Prozesses hatte der Generalstaatsanwalt Alexej Stuck, der Mitte
       des Monats die Todesstrafe gefordert hatte, mehrmals betont, dass die
       Schuld der Angeklagten in allen Punkten nachgewiesen worden sei. Doch genau
       daran sind Beobachtern zufolge erhebliche Zweifel angebracht.
       
       Während Kowalow sich von Anfang an für "nicht schuldig" bekannte und
       aussagte, dass er während der Verhöre erheblich unter Druck gesetzt worden
       sei, hatte Konowalow seine Verantwortung für die beiden Minsker Anschläge
       zunächst eingeräumt. Später hatte er ebenfalls Foltervorwürfe gegen seine
       Ermittler erhoben.
       
       Seit im Prozess Mitte November die Todesstrafe gefordert worden war, hatten
       sich Menschenrechtsgruppen in Weißrussland dafür eingesetzt, die
       Verurteilten nicht hinzurichten. Auch im Ausland hatte es zahlreiche
       Solidaritätsaktionen. "Das Urteil macht fassungslos. Es ist unerträglich,
       dass möglicherweise zwei junge Männer für den unbeirrten Machterhalt des
       Diktators Lukaschenko ihr Leben lassen müssen. Weißrussland muss
       unverzüglich ein Moratorium für die Todesstrafe einführen", sagte die
       Bundestagesabgeordnete der Grünen, Marieluise Beck, der taz.
       
       Das autoritär regierte Weißrussland ist das letzte Land Europas, in dem die
       Todesstrafe vollstreckt wird - in der Regel durch Genickschuss. Laut
       Amnesty International sollen seit 1991 400 Menschen in Weißrussland
       hingerichtet worden sein. Vergangenen Juli wurden zuletzt zwei Männer
       exekutiert, die wegen Mordes verurteilt worden waren.
       
       30 Nov 2011
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Barbara Oertel
   DIR Barbara Oertel
       
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