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       # taz.de -- Kampf der Ethnien in Kenia: Die traurige Tradition der Milizen
       
       > In Kenias Nach-Wahl-Chaos veranstalten Gangs Hetzjagden auf andere
       > Volksgruppen. Die Zahl der Massenvergewaltigungen hat sich laut UN
       > verdoppelt.
       
   IMG Bild: Menschenrechtsaktivistinnen erinnern mit Blumen an die Toten der letzten Wochen.
       
       NAIROBI taz Wer von Nairobi nach Nyeri ins kenianische Hochland fährt,
       landet kurz vor der Stadtgrenze bei einem Kreisverkehr, an dem sich von
       morgens bis abends Prediger tummeln. Im Moment steht dort nur ein Mann. Wer
       ihn versteht, spricht Kikuyu, die Sprache der Volksgruppe, die ursprünglich
       aus dem Hochland stammt, so wie der umstrittene Präsident Mwai Kibaki. "Der
       predigt nicht nur Rassismus, das ist Aufruf zum Mord an allen anderen
       Ethnien", empört sich ein Geschäftsmann aus Nairobi, der auf dem Weg zu
       seiner Familie an dem Prediger vorbeigefahren ist.
       
       Gegen das, was ihn zu Hause in Nanyuki erwartete, war die skurrile
       Scharfmacherei in Nyeri noch harmlos. In der fast ausschließlich von Kikuyu
       besiedelten Region werde überall offen für den Mord an anderen Volksgruppen
       gesammelt: "Die gehen von Haus zu Haus und sagen: Habt ihr gehört, was
       unseren Brüdern und Schwestern rund um Eldoret zugestoßen ist? Gebt uns
       Geld, damit wir die Übeltäter umlegen können", berichtet der Geschäftsmann.
       Die da von Haus zu Haus gehen, sind Anhänger einer der berüchtigtsten
       politischen Sekten, der Mungiki, die sich auf einen mythischen Hintergrund
       und das Erbe der Mau-Mau berufen, die Kenia von der Kolonialherrschaft
       befreiten. Viele halten sie inzwischen für kaum mehr als eine mafiöse
       Organisation. Doch in den Unruhen der Zeit nach den Wahlen, wo viele Kikuyu
       zu Opfern geworden sind, haben die Mungiki Oberwasser bekommen. Sie drohen,
       jeden umzubringen, der einen Kikuyu von seinem Hof vertrieben hat. Auch
       neue Angreifer wollen sie fernhalten - gegen ein hohes Schutzgeld, versteht
       sich. Bei manchen Kikuyu-Flüchtlingen aus Eldoret kommt das gut an, und
       auch bei einigen Kikuyu, die die Unruhen aus sicherer Ferne beobachten.
       Denn im Hochland leben kaum ethnische Minderheiten.
       
       Anders ist das im Rift Valley, das sich westlich des Hochlands von der
       Grenze zu Tansania bis nach Äthiopien erstreckt. Hier, zwischen dem
       Hochland im Osten und dem Viktoriasee im Westen, leben unterschiedlichste
       Ethnien zusammen. Eldoret liegt in der nördlichen Hälfte des Rift Valley -
       hier sind die Kikuyu in der Minderheit. Seit der Verkündung des Wahlsiegs
       von Präsident Mwai Kibaki werden sie von Milizen der Mehrheitsethnie, den
       Kalenjin, verfolgt. Im südlichen Rift Valley, wo die Mehrheitsverhältnisse
       genau umgekehrt sind, verfolgen Kikuyu-Milizen Kalenjin, Luo und andere
       Minderheiten, die mehrheitlich für Oppositionsführer Raila Odinga gestimmt
       haben.
       
       Die ethnischen Milizen haben eine traurige Tradition. Seit langem sind sie
       der verlängerte Arm politischer Hardliner. Die Mungiki etwa benutzte schon
       2002 der damalige Autokrat Daniel Arap Moi, um in Nairobis Slums Angst und
       Schrecken zu verbreiten. Knapp ein halbes Jahr vor dem Wahltermin wüteten
       sie in Armenvierteln, wo Luo zu Hause waren. Ihre Morde begingen sie
       möglichst grausam: Mit Macheten wurden die Opfer niedergemetzelt, sie
       wurden angezündet oder lebendig begraben. Die gleichen Szenen wiederholen
       sich in diesen Tagen im Naivasha und Nakuru im südlichen Rift Valley. Die
       Zahl der Massenvergewaltigungen hat sich in Kenia binnen eines Monats
       verdoppelt, warnen die UN. "Es ist immer das gleiche: Wenn es Unruhen gibt,
       sind die Schwächsten die ersten Opfer", erklärt Rahab Ngugi, die in
       Nairobis Frauenhospital arbeitet. Von 140 Frauen, die hier seit Anfang
       Januar eine Vergewaltigung gemeldet hatten, war gut die Hälfte unter 18
       Jahre alt.
       
       Nicht nur die Opfer, auch moderate Kikuyu fürchten die Mungiki, die ihre
       Mitglieder mit düsteren Riten auf unbedingte Treue einschwören. "Sie gehen
       von Haus zu Haus", berichtet ein Kikuyu aus Naivasha. "Wenn du ein Luo
       bist, dann töten sie dich. Wenn du ein Kikuyu bist, nehmen sie dich mit.
       Wenn du dich weigerst, töten sie dich auch."
       
       Extremisten haben derzeit in Kenia Konjunktur - die Gerüchte mehren sich,
       dass einige von Kibakis Ministern die Mungiki mit Geld und Waffen
       unterstützen. "Die Polizei lässt die Mungiki walten", sagt ein Augenzeuge
       aus Nakuru. Kurz vor den Wahlen wurde ein Auto mit Regierungskennzeichen in
       Naivasha angehalten, bis unter das Dach voll geladen mit Macheten. Zwei
       Tage stand der Wagen an einer Polizeiwache, dann war er verschwunden. Was
       mit den Waffen geschehen ist, weiß niemand.
       
       Politiker aus Regierung und Opposition geraten wegen der Angriffe der
       Milizen zunehmend unter Druck. US-Staatssekretärin Jendayi Frazer verglich
       die Kämpfe im Rift Valley am Mittwoch mit "ethnischen Säuberungen",
       Großbritanniens Afrikaminister Mark Malloch Brown machte "Drahtzieher im
       Hintergrund" aus. Der UN-Sonderbeauftragte zur Verhinderung von
       Völkermorden, Francis Deng, kündigte an, einen Ermittler nach Kenia zu
       schicken.
       
       Unterdessen haben die ethnischen Milizen die Hauptstadt Nairobi ins Visier
       genommen. Im Norden von Nairobi brannten am Mittwochmorgen Hütten von
       Nicht-Kikuyu. "Die Mungiki haben sie abgefackelt", sagt Roger, der als
       Gärtner im nahen Villenviertel arbeitet. Von der nahen Polizeiwache sei
       niemand gekommen, um zu helfen. Diesen Vorwurf hört man immer wieder. Zwar
       versichert Polizeisprecher Eric Kiraithe, man habe die Lage unter
       Kontrolle, doch das kann nicht ganz stimmen. Von einem Todesschussbefehl
       war am Mittwoch die Rede, auch das wies er zurück. "Aber wir können nicht
       zulassen, dass weiterhin Menschen auf offener Straße erschlagen werden",
       verteidigte Kiraithe ein künftig noch härteres Durchgreifen. Doch ob die
       Polizei gegen die Milizen eine Chance hat oder haben darf, war vier Wochen
       nach Beginn der Unruhen in Kenia völlig unklar.
       
       31 Jan 2008
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Marc Engelhardt
       
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