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       # taz.de -- Kampf gegen die Erderhitzung: In Europa macht sich der Klima-Fatalismus breit
       
       > Klimaschutz wollen laut einer Umfrage viele Europäer*innen. Der Glaube
       > daran, dass er gelingen kann, scheint aber nachzulassen.
       
   IMG Bild: Abkühlen in Turin: Immer mehr Menschen glauben, dass Anpassung an die Erderhitzung Vorrang vor Klimaschutz haben sollte
       
       Berlin taz | Die allermeisten Europäer*innen wollen weiterhin mehr
       Klimaschutz, verlieren aber die Hoffnung in ihre Regierungen. Das zeigt
       [1][eine Studie der Brüsseler Denkfabrik Bruegel]. „Der Großteil der
       Bevölkerung findet das Thema wichtig und will darüber reden“, sagt Jan
       Eichhorn, der die Studie zusammen mit Heather Grabbe geschrieben hat. „Aber
       sie wünschen sich politische Führung und wollen in den Klimaschutz nicht
       hineinschlittern und die Krise [2][auf sich gestellt lösen müssen].“
       
       Für die Studie haben Eichhorn und Grabbe im April vergangenen Jahres 8.000
       Menschen in Frankreich, Deutschland, Italien, Polen und Schweden befragt
       und ihre Ergebnisse mit einer Umfrage aus dem Jahr 2020 unter mehr als
       6.000 Menschen in diesen Ländern verglichen.
       
       39 Prozent der Befragten gaben Nachhaltigkeit und Klimaschutz als eines der
       drei wichtigsten Themen für die EU an, nur übertroffen von wirtschaftlicher
       Stabilität und Sicherheit. Migration war für 38 Prozent unter den
       wichtigsten drei Themen.
       
       Das deckt sich mit den Ergebnissen einer Studie des Jacques Delors Centre.
       Die stellte bei einer Befragung von 15.000 Deutschen, Franzos*innen und
       Pol*innen fest, dass in den drei Ländern über die Hälfte der Menschen
       mehr Ehrgeiz beim Klimaschutz fordert.
       
       ## Klimabewusstsein weit verbreitet
       
       Die Unterstützung für Klimaschutz hält sich über alle Parteien hinweg:
       Während 86 Prozent der europäischen Grünen-Wähler angaben, besorgt oder
       sehr besorgt über den Klimawandel zu sein, machen sich auch mehr als die
       Hälfte konservativer Wähler*innen und sogar 50 Prozent der
       Wähler*innen rechtsextremer Parteien diese Sorgen.
       
       Auch ist der Studie zufolge Unterstützung für Klimaschutz keine Sache der
       Wohlhabenden. Eichhorn und Grabbe stellten fest, dass sich Menschen mit
       geringen Einkommen genauso Sorgen um die Erderhitzung machen und
       Klimaschutz erwarten wie [3][jene ohne Geldsorgen].
       
       Deswegen, sagt Eichhorn, müsse Klimaschutz mit Maßnahmen verbunden werden,
       die direkt das Leben der Menschen materiell besser machen, und zwar auf
       eine Weise, die Menschen in ihrem Alltag bemerken.
       
       Gleichzeitig glauben immer mehr Menschen, dass Anpassung an die
       Erderhitzung Vorrang vor Klimaschutz haben sollte. In Italien zum Beispiel,
       wo die Befragten am häufigsten mehr Klimaschutz forderten, waren es 2020
       noch 20 Prozent, 2024 aber 26 Prozent. In Deutschland stieg der Anteil im
       gleichen Zeitraum von 31 auf 39 Prozent, genauso wie in Frankreich.
       
       ## Europäer*innen von Regierungen enttäuscht
       
       Bei ausführlichen Gesprächen mit Studienteilnehmer*innen in
       Deutschland haben die Studienautor*innen aber noch einen anderen
       Grund festgestellt: Viele derer, die wenig Vertrauen in ihre Regierungen
       beim Lösen der Klimakrise haben, hätten wenig Hoffnung, dass die
       Erderhitzung gestoppt werden kann, sagt Eichhorn. „So ein Fatalismus kann
       dazu führen, dass Menschen Anpassung priorisieren.“
       
       Enttäuschung über die Regierung drücke sich auf zwei Weisen aus, berichtet
       Eichhorn. Einerseits die Frustration, dass der Staat nicht kompetent genug
       sei, um die Erderhitzung zu begrenzen, „[4][das nicht gewuppt kriegt]“.
       
       Andererseits hätten viele den Eindruck, „dass – wenn was gemacht wird –
       diese Maßnahmen auf dem Rücken der arbeitenden Bevölkerung ausgetragen
       werden“. Diese Wahrnehmung sei besonders stark ausgeprägt unter jenen, die
       sich von der Politik generell wenig berücksichtigt fühlen.
       
       Dass mehr Menschen Anpassung vor Klimaschutz stellen, verbucht Studienautor
       Eichhorn aber auch als Erfolg der extremen Rechten. Denn viele europäische
       Rechtsextreme bestritten inzwischen die Erderhitzung nicht mehr, sondern
       relativierten sie und erzeugten so den Eindruck, Anpassung an die
       Erderhitzung sei einfacher als Klimaschutz.
       
       ## Forscher: Thema nicht den Rechten überlassen
       
       Eichhorn fürchtet deshalb einen Teufelskreis: Wenn die Forderung der
       Mehrheit nach effektivem Klimaschutz durch die Politik weiter unerfüllt
       bleibt, verfingen Lügen der extremen Rechten schneller, die die
       Erderhitzung herunterspielen oder als unvermeidbar darstellen.
       
       „Es ist ein Trugschluss, zu glauben, dass man in Ruhe Klimapolitik machen
       kann, wenn man das Thema nicht anspricht“, sagt Eichhorn. Dann würden die
       Rechten und die fossilen Lobbys das Thema bespielen. Stattdessen müsse die
       Politik das Gefühl schaffen, dass sie an Lösungen für die Klimakrise
       arbeite und zu guten Ergebnissen komme.
       
       Denn dass die Erderhitzung gefährlich ist, sei in der Bevölkerung
       weitgehend bekannt, sagt Eichhorn. Auch die Forderung nach mehr Klimaschutz
       sei weit verbreitet. „Für die Akzeptanz von Klimaschutzmaßnahmen sollten
       die Parteien allein schon aus Eigennutz so klar und schnell wie möglich
       handeln“, fasst Eichhorn die Ergebnisse der Studie zusammen.
       
       „Tun sie das nicht, laufen sie Gefahr, dass die Rechten das Klimathema
       weiter bespielen und es in einigen Jahren noch schwieriger wird,
       Klimaschutz durchzusetzen“, warnt er.
       
       22 Apr 2025
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.bruegel.org/policy-brief/europeans-still-want-climate-action-dont-trust-governments-deliver
   DIR [2] /Messungen-des-Deutschen-Wetterdienstes/!6079857
   DIR [3] /Profite-aus-hohen-Oel--und-Gas-Preisen/!6063476
   DIR [4] /IEA-zur-Energiewende-in-Deutschland/!6077537
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Jonas Waack
       
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