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       # taz.de -- Kampf um Fachkräfte: „Die meisten sind von hier“
       
       > Das ländliche Handwerk in Sachsen muss hart um Personal kämpfen und setzt
       > auf Heimatbindung. Zwei Betriebsbesuche.
       
   IMG Bild: Sucht Personal: Handwerksmeister Sascha Göhlert im Betrieb
       
       Freital/Ruppendorf taz | Die Idee mit dem Banner hat einen Bewerber
       gebracht. Draußen, an der Werkhalle der Firma E. Göhlert, prangt das
       riesige Transparent, in dunklen Farben gehalten, [1][www.metalworkers.de]
       ist darauf zu lesen. Auf dem Banner sind Stellenangebote aufgelistet:
       „Metallbauer“, „Dreher/Fräser“, „CNC-Dreher/Fräser“. „Wir hoffen, dass vor
       allem Einheimische das lesen“, sagt Sascha Göhlert, „die haben am ehesten
       Interesse.“
       
       Göhlerts Metallveredelungsfirma liegt am Rande des sächsischen Freital. 44
       Mitarbeitende beschäftigt er, darunter sechs Frauen und vier Azubis. Die
       Firma will expandieren. Das Problem: „Man muss die Mitarbeiter finden“,
       sagt Göhlert, 39 Jahre alt, Geschäftsführer und Handwerksmeister, ein
       agiler Mann in grauer Jeans und schwarzem Hemd, der das Unternehmen in
       zweiter Generation führt.
       
       Bei 4,2 Prozent liegt die Arbeitslosenquote im Landkreis Sächsische
       Schweiz-Osterzgebirge – das ist besser als der Bundesdurchschnitt. Eine
       sogenannte abgehängte Region ist der Landkreis also nicht. „Bei uns ist die
       Auftragslage gut“, sagt Göhlert bei einem Gang durch die Werkhalle, „aber
       man muss die Leute dafür haben.“
       
       ## Großunternehmen sind stärker
       
       Wie viele andere kleinere Handwerksbetriebe in Deutschland konkurriert
       Göhlert mit größeren Industrieunternehmen in größeren Städten um Personal
       und Nachwuchs. Und ist dabei benachteiligt: Der Betrieb ist klein, er liegt
       nicht in einer attraktiven Metropole und er befindet sich in den neuen
       Bundesländern, wo die Löhne niedriger sind als im Westen. Bei Göhlert
       verdient ein CNC-Fräser rund 2 600 Euro brutto, in den westlichen
       Bundesländern sind es 1000 Euro mehr. Es gibt für Leute von außen keinen
       Grund, herzuziehen, aber für viele Menschen in der Gegend Gründe,
       wegzugehen.
       
       Doch die regionale Verwurzelung des Personals bei Göhlert ist stark. „Die
       meisten Mitarbeiter kommen aus der Gegend“ sagt der Geschäftsführer.
       Familiäre Gründe, Heimatbindung, das gehört zum Klebstoff, der das Personal
       hält.
       
       Noch zu DDR-Zeiten hat Göhlerts Betrieb unter seinem Vater klein
       angefangen, mit Kupferbearbeitung, Schmucktellern, Schriftzügen, Schildern.
       Nach der Wende, als viel Historisches in der ehemaligen DDR möglichst
       originalgetreu restauriert werden sollte, kam die Chance. „Turmspitzen aus
       Metall, Wetterfahnen, die sollten für die alten Kirchen möglichst
       originalgetreu nachgebaut werden“, erzählt der Handwerksmeister.
       
       ## Türklinken für Luxusyachten
       
       Die nächste Chance folgte einige Jahre später, als ein Kunde nach
       individuell gefertigtem und poliertem Edelstahl fragte. Heute wird das
       veredelte Metall für Geländer, Türklinken und Handtuchhalter in Villen,
       Hotels und auf Luxusyachten gebraucht. Göhlert zeigt auf eine Maschine, in
       der eine frisch gefräste goldfarbene Türklinke liegt. „Davon stellen wir
       100 Stück her“, erzählt er. Die sind für eine einzige Villa. Individuelle
       Metallfertigung nach Maß, das ist sein Geschäft geworden.
       
       Ein Plus im Betrieb sind die abwechslungsreiche Arbeit an den Unikaten und
       das Ein-Schicht-System, keine zwei Schichten wie in der Industrie. Wo es
       möglich ist, dürfen die MitarbeiterInnen auch mal Home-Office-Tage
       einlegen.
       
       In der Firma pflege man das „Wir-Gefühl“, sagt Göhlert. Man duzt sich,
       freitags frühstückt man gemeinsam, kürzlich war die gesamte Belegschaft auf
       Firmenkosten im Kletterwald. „Das Gruppengefühl bringt uns voran“, meint
       er. „Bei uns hat noch keiner gekündigt, um in den Westen zu gehen“.
       
       ## Die Leute wollen in die Großstadt
       
       Wer Göhlert reden hört, dem kommt der Gedanke, dass die Heimattreue
       vielleicht auch eine wirtschaftliche Ressource ist, die den kleinen
       Betrieben auf dem Land im Osten hilft, einheimisches Personal zu binden und
       zu halten. Gegen Großunternehmen in den Metropolen, die
       Diversity-Strategien beim Personal fahren, hat ein kleines
       Handwerksunternehmen auf dem Land ohnehin kaum eine Chance.
       
       „Handwerksbetriebe im ländlichen Raum haben es bei der Nachwuchsgewinnung
       schwerer als ihre Kollegen in der Stadt“, sagt auch Andreas Brzezinski,
       Hauptgeschäftsführer der Handwerkskammer Dresden, „dies liegt auch darin
       begründet, das der Zuzug in urbane Regionen weiterhin anhält.“
       
       Eigentlich müsste man daher gerade im Handwerk im ländlichen Sachsen auf
       ausländische Kräfte hoffen. Osteuropäer aus der EU gehen aber lieber in den
       besser zahlenden Westen oder zumindest in die Großstädte. In Göhlerts Firma
       sind ein Pole und zwei ukrainische Männer die einzigen Mitarbeiter aus dem
       Ausland.
       
       ## Die dunkle Seite der Heimatliebe
       
       Außerdem kann die Heimatverbundenheit auch eine dunkle Seite zeigen in
       einem Landkreis, in dem fast 30 Prozent der Wähler die AfD wählen.
       Handwerksvertreter in Berufsverbänden berichten, dass sich in manchen
       Betrieben einheimische Belegschaften dagegen sträuben, MitarbeiterInnen aus
       arabischen Herkunftsländern in ihre Reihen aufzunehmen. In Freital kämpfte
       eine Bürgerinitiative gegen ein Flüchtlingsheim, Rechtsextreme verübten
       Anschläge auf Wohnungen.
       
       Auch Göhlert wird schon mal von KundInnen von außerhalb auf die Anschläge
       angesprochen, die sich mit der Adresse Freital verbinden. „Das ist
       natürlich nicht schön“, sagt er. Er selbst sei nicht politisch engagiert.
       Womöglich werde die Akzeptanz gegenüber Flüchtlingen in Zukunft höher
       werden in der Region, meint Göhlert.
       
       Ohne MigrantInnen würde Freital jedenfalls einiges an öffentlichem Leben
       einbüßen. An einem Sonntagabend haben auf der Dresdner Straße mitten im Ort
       nur noch das Kebap-Haus und ein Pizzalieferant geöffnet. Das türkische
       Personal im Kebap-Haus ist gut gelaunt. Gegenüber im Thai-Massagesalon
       brennt noch Licht. Das Geschäft für Trikotagen und Internationale Mode hat
       längst dichtgemacht, ebenso das Möbelhaus ein paar Meter weiter. Quadfahrer
       düsen durch die Straße. In der Gegend kann man eine Drei-Zimmer-Wohnung für
       95.000 Euro kaufen.
       
       ## Schwache Infrastruktur
       
       Die Bundespolitik, meint Göhlert, kümmere sich zu wenig um den Mittelstand.
       Sie interessiere sich vor allem für die Industrie. „Viele Politiker haben
       den Bezug zum Handwerk nicht mehr“, sagt auch Katharina Heber. Die
       studierte Betriebswirtin arbeitet in der Geschäftsführung der Firma
       [2][Reichelt-Einrichter] mit Sitz in Ruppendorf, ebenfalls im Landkreis
       Sächsische Schweiz-Osterzgebirge.
       
       Die Polstermanufaktur residiert in einem langgezogenen Flachbau direkt an
       der Landstraße. Hier gibt es sonst nichts: keine Geschäfte, keine Kneipen –
       ein Bus fährt stündlich nach Dresden. „Die Verkehrsinfrastruktur müsste
       verbessert werden“, sagt Heber, „man braucht immer ein Auto.“ Die
       34-Jährige stammt eigentlich aus Riesa. Nach ihrem Studium ist sie
       hergezogen, weil ihr Mann hier seine Heimat hat. „Die Ehemänner bringen uns
       in die Region“, sagt die junge Frau und lächelt.
       
       Auch die Meisterin für Polsterungen im Betrieb, Frauke Walter, 26, ist nach
       ihrer Ausbildung als Raumausstatterin, die sie bis nach Paris führte,
       wieder in der Region gelandet – ihres Mannes wegen. Mittlerweile leitet
       Walter die Polsterwerkstatt bei Reichelt, in der vier MitarbeiterInnen
       Bezüge zuschneiden oder an großen Industrienähmaschinen arbeiten. Auch
       historische Möbel werden hier restauriert. Ein weißer Stuhl mit grünem,
       gestreiftem Sitzpolster und runder Holzlehne wartet auf seine Reparatur.
       „Es ist toll, wenn man alten Möbelstücken neues Leben einhauchen kann“,
       sagt Walter.
       
       ## Ein arabischer Mitarbeiter kam nicht klar
       
       Der Betrieb hält sich jetzt schon in siebter Generation und bietet
       komplette Innenausstattungen an, mit Vorhängen, Möbeln, Bodenbelägen. 28
       KollegInnen arbeiten hier, viele davon als Bodenleger auf Baustellen. Nach
       der Wende schaffte man den Sprung in die gehobene Ausstattung. Hotels,
       Verwaltungsgebäude und private KundInnen lassen von Reichelt Vorhänge
       anbringen, Polstermöbel fertigen, Parkett und Linoleum legen. Die
       Auftragsbücher sind voll. „Manches können wir aus Kapazitätsgründen nicht
       machen“, sagt Heber.
       
       Bei den Parkettlegern sei die Personalsuche besonders schwer. Ein
       Stellengesuch auf sieben Jobportalen im Internet habe nur ein bis zwei
       ernstzunehmende Bewerbungen gebracht. „Vielleicht sind wir zu ländlich“,
       sagt Heber. Ein Geflüchteter aus dem arabischen Raum mit einschlägiger
       Handwerkserfahrung habe mal als Polsterer in der Manufaktur angefangen. Die
       Zusammenarbeit klappte nicht. „Er hatte Probleme, eine weibliche
       Vorgesetzte zu akzeptieren“, sagt Heber.
       
       Auch bei Reichelt stammen die meisten MitarbeiterInnen aus der Region. Die
       regionale Zugehörigkeit verbinde, „man muss sich in einem kleinen Betrieb
       auch untereinander gut verstehen“, sagt sie. Das schafft auch eine gewisse
       Bereitschaft zur Solidarität. Wenn langjährigen älteren Kollegen die
       körperliche Arbeit schwerfalle, dann teile man die Belastungen beim
       Personal auch mal anders auf.
       
       Die regionale Komponente in den Kleinbetrieben, die Gemeinschaft unter
       Gleichen und die Heimatverbundenheit gelten manchen Beobachtern als ein
       Risiko für politische Rechtslastigkeit – aber vielleicht sind sie auch ein
       Plus, das hilft gegen den „Abwanderungsdruck“ aus dem ländlichen Raum, den
       auch Andreas Brzezinski von der Handwerkskammer Sachsen beklagt. Vielleicht
       sind diese Regionen nicht deswegen „abgehängt“, weil die Wirtschaft
       daniederliegt, sondern weil Einheimische von dort wegziehen, um in den
       Städten mehr Menschen, mehr Reize, mehr Konsumangebote, mehr Möglichkeiten
       bei der Partnerwahl zu haben. Diese Versprechen kann die Provinz nicht
       geben. Die Reizarmut, die Stille dort, man muss sie aushalten können.
       
       17 Aug 2019
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://metalworkers.de/
   DIR [2] https://www.reichelt-einrichter.com/
       
       ## AUTOREN
       
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