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       # taz.de -- Kanzlerin im Wirecard-Ausschuss: Kontakt zu Guttenberg „erstorben“
       
       > Die Kanzlerin muss sich im Untersuchungsausschuss über ihren Einsatz für
       > Wirecard äußern – und erzählt vom dreisten Agieren ihres Ex-Ministers.
       
   IMG Bild: Dass sie hier sitzt, hat Angela Merkel ihrem ehemaligen Minister zu Guttenberg zu verdanken
       
       Berlin taz | Eine Kanzlerin als Zeugin vor einem parlamentarischen
       Untersuchungsausschuss – [1][das gibt es selten]. Angela Merkel war zuletzt
       2015 vorgeladen, um vor dem NSA-Ausschuss über Spionage zwischen
       Deutschland und den USA auszusagen. Auch diesmal ging es um große
       Systemfragen: den Fall Wirecard und die Rolle professioneller Türöffner.
       Merkel sollte dazu aussagen, welchen Einfluss Ex-Politiker in den Diensten
       des Betrugskonzerns auf ihre Politik hatten. Von einem „Amigo-Netzwerk“ von
       Lobbyisten sprach der Abgeordnete Danyal Bayaz, der für die Grünen im
       Ausschuss sitzt.
       
       Konkret ging es um Ereignisse im Vorfeld einer China-Reise der Kanzlerin im
       September 2019. Auf der Reise hatte Merkel für einen Zugang Wirecards zu
       dem abgeschotteten chinesischen Markt geworben. Den Anstoß dazu hatte
       offenbar ein Gespräch mit dem [2][ehemaligen Minister Karl Theodor zu
       Guttenberg gegeben, der heute für die Firma Spitzberg Partners mit Sitz in
       New York seine guten Kontakte vermarktet.]
       
       Merkel hatte der Terminanfrage des Lobbyisten stattgegeben, weil sie
       „selbstverständlich Gesprächswünschen ehemaliger Mitglieder der
       Bundesregierung“ entspreche, wie sie vor dem Ausschuss sagte. Das Gespräch
       habe 45 Minuten gedauert. An Wirecard als Gesprächsthema erinnerte sich
       Merkel nach eigener Aussage zwar nicht, doch das sei angesichts der vielen
       Themen, mit denen sie sich beschäftige, nicht ungewöhnlich.
       
       Als zu Guttenberg jedoch auf Unternehmensanliegen zu sprechen kam, habe sie
       ihn auf die zuständigen Fachleute im Bundeskanzleramt verwiesen – das lässt
       sich anhand von Akten belegen. „Ich muss achtsam sein, wo die Bekanntschaft
       aus dem Kabinett in fachlich-sachliches Interesse übergeht“, beschrieb
       Merkel die Situation. Sie habe damals nicht gewusst, dass zu Guttenberg ein
       Beratungsmandat bei Wirecard habe.
       
       ## Eine Dreiviertelstunde bei der Kanzlerin
       
       Bayaz sieht in den Aussage Merkels einen Hinweis auf eine strukturelle
       Schwäche der Zugangsmöglichkeiten zum Kanzleramt. „Wir wissen jetzt, was
       dafür nötig ist: Die Dienste eines entsprechenden hochrangigen ehemaligen
       Regierungsmitglieds, der dort empfangen wird.“ Eine Dreiviertelstunde bei
       der Kanzlerin sei schließlich nicht wenig.
       
       Merkel zeigte dagegen Verdruss über das Verhalten zu Guttenbergs, der aus
       Geschäftsinteressen heraus um ein privates Gespräch gebeten hatte. Sie habe
       „keine Lust, mit lauter Anliegen behelligt zu werden.“ Derzeit sei aber
       jeder Kontakt zu Herrn zu Guttenberg „erstorben“.
       
       Der Abgeordnete Hans Michelbach fand im Ausschuss sogar noch klarere Worte
       für das Verhalten seines CSU-Parteikollegen: „Die Bundeskanzlerin für das
       eigene Geschäft einzusetzen – das tut man nicht, dafür fehlt mir jedes
       Verständnis.“ Er habe zu Guttenberg inzwischen die Freundschaft
       aufgekündigt.
       
       ## Markteintritt in China
       
       All das lässt wenig Gutes für dessen künftige Chancen im deutschen
       Lobby-Markt vermuten. Nach dem Verweis auf die Fachleute hatte zu
       Guttenberg wie empfohlen Kontakt zum Wirtschaftsberater der Kanzlerin
       aufgenommen. Das ist [3][Lars-Hendrik Röller]. Diesem hatte er erklärt,
       dass Wirecard einen Markteintritt in China plane.
       
       Röller griff den Hinweis offenbar dankbar auf und setzte den Vorgang auf
       die Liste der deutschen Wünsche gegenüber der chinesischen Regierung. Neu
       war dieses Vorhaben für die Bundesregierung nicht: Im Januar davor hatte
       sich bereits das Finanzministerium in Peking für Wirecard eingesetzt. „Wir
       haben ein Interesse daran, dass China hier Marktzugänge gewährt“, sagte
       Merkel.
       
       Auf der Reise im September 2019 habe Wirecard dann jedoch nur eine
       untergeordnete Rolle gespielt, behauptete die Kanzlerin. „Es gab eine
       Vielzahl von Unternehmenswünschen.“ Deutschland habe ein Interesse daran
       gehabt, dass der Wirtschaftsaustausch auf Gegenseitigkeit beruhe. Dazu
       hätte es gepasst, wenn China ein deutsches Unternehmen auf den eigenen
       Markt für Finanzdienste gelassen hätte.
       
       Am Ende kam es dazu nicht: Der Betrug bei Wirecard flog Mitte 2020 auf, ein
       vermeintliches Milliardenvermögen des Unternehmens war nur durch
       Bilanzmanipulation zustande gekommen und existierte nicht. Das sei 2019
       aber nicht bekannt gewesen, betonte Merkel.
       
       Während andere Zeugen in den sechs Monaten der Ausschussarbeit jede
       Verantwortung von sich geschoben haben, gibt Merkel durchaus Schwächen der
       Arbeit ihrer Regierung zu. „Die ganze deutsche Aufsichtsseite war nicht
       objektiv genug aufgestellt“, sagte Merkel. Sie habe britischen
       Finanzanalysten, die vor Wirecard warnten, nicht genug Glauben geschenkt.
       Der Ausschuss hat bereits herausgearbeitet, dass es eine große Neigung der
       Behörden gab, den deutschen Hoffnungsträger vor Vorwürfen zu schützen –
       anstatt diesen nachzugehen.
       
       23 Apr 2021
       
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