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       # taz.de -- Kein Platz für Traumtänzer
       
       > Der Westen schaut nach Osten, der Osten auch: Ausgerechnet Energie
       > Cottbus ist heute als erster Ostklub auf dem Sprung ins wiedervereinte
       > DFB-Pokalfinale  ■ Von Peter Unfried
       
       Der erste Blick ist auf eine ganz eigene Weise sozusagen atemberaubend:
       Wenn man aus dem Bahnhof tritt, strahlt gegenüber ein riesiges Hotel in der
       Frühjahrssonne. Nebendran glänzt die „Fürst Pückler“-Einkaufspassage. Der
       Bahnhof selbst ist auch neu. Geht man eine Straße zehn Minuten immer gerade
       aus, wird es richtig grün. Dann ist man auf dem Gelände der
       Bundesgartenschau 1995. Mit der Buga hat Oberbürgermeister Waldemar
       Kleinschmidt den Namen der Stadt im Südosten von Brandenburg erstmals ins
       wiedervereinte Land hinaushallen lassen: Cottbus.
       
       Man muß sich das klarmachen: Menschen kamen, in Scharen, um ausgerechnet in
       Cottbus Natur zu sehen. Es wird immer besser. Neuerdings, so hat
       Kleinschmidt prosaisch festgestellt, „leuchtet“ auch noch „ein Stern über
       Cottbus“. Es handelt sich um ein Fußballstern. Name: Energie.
       
       Es ist nicht so, daß der sportliche Erfolg die Stadt in einen Taumel
       versetzt hätte. Aber er paßt ihr ins Bild. Es tut sich was. Gewinnt
       Regionalligist Energie heute (20.30 Uhr, live, ARD) sein Halbfinale gegen
       den Bundesligisten Karlsruher SC, ist der Cottbuser der erste ostdeutsche
       Klub im wiedervereinigten DFB-Pokalfinale in Berlin.
       
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       „Der KSC soll kommen“, brummt Trainer Eduard Geyer (47). Er sitzt im
       Trainerzimmer der Geschäftsstelle und sieht dabei nicht so aus, als ob er
       sich große Sorgen mache. Energie ist nicht nur seit Rundenbeginn
       Tabellenführer der Regionalliga Nordost. Im DFB-Pokal hat man die
       Zweitligisten Stuttgarter Kickers und VfL Wolfsburg jeweils 1:0 geschlagen,
       die Bundesligisten MSV Duisburg und FC St. Pauli im Elfmeterschießen. Nun
       schreibt die Zeit über Energie, die Woche auch, und Geyer tritt in
       Talkshows auf, und manchmal lächelt er, als sei er der freundlichste Mensch
       der Welt.
       
       Häufig lächelt er aber auch nicht. Dem Team hat er eine für
       Regionalligamöglichkeiten erstaunliche Mischung aus taktischer Disziplin
       und Laufbereitschaft verpaßt. Falls es so sein sollte, daß Geyer seine
       persönliches Aggressionspotential überträgt, gibt es womöglich sogar noch
       Reserven. Der Trainer, sagen Spieler, erniedrige sie bisweilen. Geyer
       selbst kann „verstehen, wenn ein Trainer einen Spieler auch mal beleidigt“.
       Er glaubt, daß so was zum Handwerk gehört. Einst war der Sachse
       Auswahlspieler für Dynamo Dresden, hat als letzter Trainer der DDR-Auswahl
       zum Wohl der Republik gearbeitet und etwa zwei Jahrzehnte als „IM Jahn“.
       Als die Mauer fiel, wollte ihn im Westen keiner. Über Siofok und Sachsen
       Leipzig kam er 1994 nach Cottbus.
       
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       Das ehemalige Tuchmacherstädtchen Cottbus, sorbisch Cose'buz, zog im
       Sozialismus Menschen aus einem Grund an: Um hier durch harte Arbeit Geld zu
       verdienen. Die Stadt in der Lausitz schwoll auf 120.000 Einwohner an, um
       ihren Kern entstanden die grauen Neubauplattensiedlungen. Ein bißchen
       Arbeit bot das Textilkombinat, der Rest verschwand in den Kohlekraftwerken
       und im Braunkohle-Tagebau. Die Luft war atemberaubend.
       
       Heute sind die Schwefeldioxidemissionen zurückgegangen. Logisch: Die
       meisten Gruben sind zu. Die Kraftwerke arbeiten weiter. „Wenn wir die nicht
       hätten, könnten wir Kartoffeln graben“, sagt OB Kleinschmidt. Im
       Sozialismus war er für die Finanzen der Stadt zuständig. 21,9 Prozent sind
       im Bezirk ohne Arbeit. Na ja, anderswo ist es schlimmer. „Die Cottbuser“,
       sagt Horst Schudack, „vergleichen sich nicht mit den Städten aus
       Westdeutschland.“ Sondern: Forst. Das liegt noch weiter im Osten.
       Senftenberg. Von dort wurde der Vorläufer von Energie Mitte der 60er nach
       Cottbus delegiert. Da war Schudack, der heute Vizepräsident ist, schon da.
       
       Als Oberliga-Dreizehnter hatte der Klub 1991 die Qualifikation für die 2.
       Bundesliga verpaßt. Eine Million Schulden blieben. Es waren die üblichen
       Geschichten, die andere Traditionsklubs im Osten erledigten. „Wir haben“,
       sagt Schudack, „nach Westen geblickt und wollten das übernehmen.“
       
       Irgendwann war Schluß mit West-Know-how: Klaus Stabach ist heute
       Geschäftsführer, früher kickte er genauso für Energie wie Co-Trainer Hagen
       Beeck. Nur dem Präsidenten Dieter Krein fehlt Stallgeruch. Dafür ist der
       Hauptabteilungsleiter bei der VEAG, dem Nachfolger des Energie-Kombinats
       als Hauptarbeitgeber der Stadt. Der Klub hat eine eigene
       Vermarktungsgesellschaft. Die Arbeit macht Ralf Lempke. Mit 418 Spielen ist
       er Rekordspieler von Energie. Einst erarbeitete er in seiner Diplomarbeit
       die Aufgabe der Betriebssportgruppe Energie, die da lautete, „auf dem
       Gebiet des Fußballsports mit der schnellen Entwicklung des Bezirkes als
       Kohle- und Energiezentrum mitzuhalten“.
       
       Das hat man nie geschafft.
       
       Früher waren die Jungs in Cottbus für Dynamo Dresden. Für Energie damals
       haben alle dasselbe Wort: „Fahrstuhlmannschaft“. Die besten Spieler wurden
       zum BFC Dynamo delegiert. Und heute? Der Europapokalsieger 1. FC Magdeburg
       spielt in der Verbandsliga, Chemie Halle, Vorwärts Frankfurt (Oder), Stahl
       Brandenburg sind auch verschwunden. Und in der Regionalliga hat man alle
       abgehängt, Erfurt, Chemnitz, Aue und auch und gerade Dynamo Dresden. „Die
       Strukturen“, sagt Geyer, „sind zweitligareif.“
       
       Die Strukturen haben die Cottbuser geschaffen. Aber er hat ihnen Beine
       gemacht.
       
       Den Etat (2,2 Millionen) hat man in der Saison noch einmal aufstocken
       können. Die Einnahmen aus dem DFB-Pokal plus der Imagegewinn haben einiges
       in die Gänge gebracht. Seit Freitag hat das Stadion eine Flutlichtanlage,
       eine Million teuer und zu je einem Drittel von Stadt, Sponsoren und Verein
       finanziert. Der Regionalligaschnitt beträgt mittlerweile fast 4.000 und ist
       genauso am Steigen wie die Serie der ungeschlagenen Spiele. Über ein Jahr
       ist man in 52 Pflichtspielen ungeschlagen. Nun muß man nur noch Meister
       werden und dann in zwei Promotionsspielen Hannover 96 ausschalten.
       
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       Im Cottbuser Staatstheater wirkt seit einiger Zeit Intendant Christoph
       Schroth. Kam aus Schwerin. Brachte einen guten Ruf mit. Seine Spezialität
       sind thematische Wochenenden, an denen er ein Stück nach dem anderen
       aufführt. Rund um die Uhr Brecht. „Zonenrandermutigungen“ nennt er das.
       Ironie? Manchmal braucht man das. Eduard Geyer war noch nicht im Theater.
       Hat davon gehört. Aber: „Wie das so ist“, sagt er. Brecht? „Mercedes
       fahren, nicht mehr Wartburg“, ist sein Motto.
       
       Energie spielt nicht schön – dafür erfolgreich. Geyer kann auch von Fußball
       als Unterhaltung reden. Schnell ist er dann aber wieder bei den
       „wirtschaftlichen Zwängen“ im Fußballentwicklungsland Osten. „Ich hole mir
       keine Traumtänzer“, sagt er, „oder ausgediente Bundesligaspieler, die dann
       nur noch hier ...“ er sucht nach einem einigermaßen freundlichen Ende des
       Satzes, „sich nicht bewegen wollen.“ Bewegung ist alles in seinem Spiel –
       und Traumtänzer wären wahrscheinlich auch nichts für Cottbus. Von oben
       gekommen sind Leute wie der Libero Thomas Hoßmang, der Mandecker Jens
       Melzig, der Kreativspieler Detlef Irrgang, alle drei bereits in den
       Achtzigern Oberligaspieler bei Energie. Nur Mittelfeldspieler Willi
       Kronhardt und Ersatzkeeper Rottler kommen aus dem Westen. Geyer ist das „im
       Prinzip scheißegal“. Er glaubt aber, daß Ostspieler „einfacher zu führen“
       sind.
       
       Wer mit Cottbus nicht umgehen kann, wie St.-Pauli-Trainer Maslo, der „soll
       zu Hause bleiben“ (Geyer). Dem war im „Stadion der Freundschaft“ alles eine
       Spur zu aggressiv. Energie-Pressesprecher Ronny Gersch kennt auch unter den
       gefürchteten „Spreewald-Kanaken“ welche, die er nett findet. Sein Vater hat
       einst für Energie gespielt. Man muß das relativ sehen.
       
       Alles kann man aber nicht wegdiskutieren: Die 25 Kilometer zur polnischen
       Grenze. Die Braunkohlewüsten um die Stadt. Gerade ist das schöne neue Hotel
       am Bahnhof dabei, den Namen zu wechseln. Es lief nicht. Und warum muß
       Energie in die Promotionsspiele und Nürnberg als Meister Süd nicht? Und was
       wird, wenn man scheitert? Die Stadt sei okay, sagt Trainer Geyer. Aber:
       „Ich würde jetzt nicht hierherziehen.“ Ab Sommer hat sein Vertrag eine
       Aussteigeklausel. Wenn es Nacht wird und jener Stern leuchtet, den er hat
       aufgehen lassen, setzt sich Eduard Geyer in seinen Mercedes und pendelt
       zurück nach Dresden.
       
       15 Apr 1997
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Peter Unfried
       
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