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       # taz.de -- Keine klimaneutrale Produktion: Ohne grünen Stahl müssen Stahlkocher zittern
       
       > Arcelormittal will seine deutschen Werke nun doch nicht auf ökologischere
       > Produktion umrüsten. Eine Gefahr für die Branche – und tausende
       > Mitarbeiter.
       
   IMG Bild: Arcelormittal: Die Flachstahlwerke in Bremen und Eisenhüttenstadt werden nicht für die Produktion von grünem Stahl modernisiert
       
       Berlin taz | Im Januar hatte es Friedrich Merz gesagt – und kräftig Prügel
       eingesteckt: [1][Er glaube nicht daran, so der damalige Kanzlerkandidat der
       Union, dass der schnelle Wechsel zur grünen Stahlproduktion in Deutschland
       erfolgreich sein werde.] Es gebe nicht genug preisgünstigen grünen
       Wasserstoff, zudem sei eine „grüne“ Tonne Stahl mindestens 300 Euro teurer
       als die konventionelle. Es war Wahlkampf: Schon einen Tag später
       relativierte Merz seine Aussage, damit Ruhe war.
       
       Nun herrscht Unruhe. In der Stahlindustrie. Bei den Mitarbeitern der
       deutschen Arcelormittal-Stahlwerke. Und bei denen, die sich über
       Deutschlands Klimaziele und den ökologischen Umbau der energieintensiven
       Stahlindustrie Sorgen machen. Die deutsche Dekarbonisierungsstrategie hat
       eine herbe Schlappe einstecken müssen: Die [2][Flachstahlwerke in Bremen
       und Eisenhüttenstadt werden nicht für die Produktion von grünem Stahl
       modernisiert], kündigte Arcelormittal am Donnerstag an. Grund: Die
       „politischen, energie- und marktbezogenen Rahmenentwicklungen haben sich
       nicht in die erhoffte Richtung entwickelt“, ließ der weltweit zweitgrößte
       Stahlkonzern verlautbaren.
       
       Der auf dem Markt verfügbare grüne, also mit erneuerbaren Energien
       produzierte Wasserstoff sei wie der für die Produktion von Stahl ebenfalls
       notwendige [3][Strom in Deutschland zu teuer]. Deshalb will Arcelormittal
       Subventionen in Höhe von 1,3 Milliarden Euro von Bund und Ländern gar nicht
       erst in Anspruch nehmen.
       
       Ursprünglich wollte der Konzern bis 2030 je einen Hochofen in Bremen und in
       Eisenhüttenstadt durch Elektrolichtbogenöfen und eine sogenannte
       Direktreduktionsanlage ersetzen. Dabei werden Erdgas oder Wasserstoff
       eingesetzt, um dem Eisenerz den Sauerstoff zu entziehen, nicht mehr Kohle
       und Koks wie in einem klassischen Hochofen. Die neuen Anlagen sollen
       perspektivisch mit „grünem“ Wasserstoff betrieben werden, sobald er
       preisgünstig und in ausreichender Menge zu haben ist.
       
       ## Klimakiller Stahlproduktion
       
       Bis zu 5,8 Millionen Tonnen klimaschädliches Kohlendioxid könnten so pro
       Jahr eingespart, 3,8 Millionen Tonnen CO2-reduzierter Stahl produziert
       werden. Das hätte enorme Auswirkungen auf die Emissionen vor Ort gehabt.
       Die Branche ist einer der größten Klimakiller: Das Stahlwerk in Bremen mit
       seinen 3.200 MitarbeiterInnen allein ist für rund die Hälfte der kompletten
       Treibhausgasemissionen des Bundeslandes verantwortlich.
       
       Nicht nur ihre Jobs sind nun in Gefahr. Der Schritt ist auch ein herber
       Schlag für den klimaneutralen Umbau der Stahlindustrie in Deutschland
       insgesamt. Neben dem Arcelormittal-Projekt haben auch die Unternehmen
       Salzgitter, Thyssenkrupp und SHS (Stahl-Holding-Saar) Förderbescheide in
       Höhe von insgesamt rund 5,6 Milliarden Euro erhalten.
       
       Die Umsetzung dieser Projekte laufe bereits, hieß es am Freitag aus dem
       Bundeswirtschaftsministerium. Allerdings hatte auch [4][Thyssenkrupp
       bereits an der Umsetzung seiner Pläne gezweifelt]. Hintergrund ist hier
       allerdings auch der geplante Konzernumbau. Die Stahlsparte soll verkauft
       oder an die Börse gebracht werden. [5][Thyssenkrupp hat bereits
       angekündigt, 11.000 Arbeitsplätze in dem Bereich abbauen zu wollen.]
       
       „Die Entscheidung ist ein riesiger Rückschlag für die deutschen Standorte
       von Arcelormittal“, sagt Rudolf Hickel, Bremer Ökonom und Stahlexperte, zur
       taz. Doch der Konzern mit Sitz in Luxemburg habe sich „nur“ gegen seine
       deutschen und für seine französischen Standorte entschieden, weil die
       Subventionen im Nachbarland höher seien, so Hickel.
       
       Vor einem Monat hatte Arcelormittal angekündigt, 1,7 Milliarden Euro in
       eine klimaneutrale Produktion seiner Werke in Fos-sur-Mer und Dünkirchen zu
       stecken. Die Salzgitter AG betonte, weiter auf Grünstahl zu setzen. Die
       Absage von Arcelormittal sei jedoch ein „deutliches Signal dafür, dass die
       Rahmenbedingungen für Transformationsprojekte verbessert werden müssen“.
       
       ## Nur die Rüstungsindustrie fordert mehr Stahl
       
       Die Stahlkocher hierzulande haben heftige Probleme. Die Energiekosten sind
       hoch, die Nachfrage schwächelt insbesondere aus der Automobilbranche und
       aus dem Maschinenbau, nur die Rüstungsindustrie benötigt gerade mehr Stahl.
       Rüstungskonzerne wie Rheinmetall fordern heimische Produzenten bereits auf,
       mehr militärtaugliches Metall herzustellen.
       
       Doch das dauert. Derweil ächzt die Branche unter Billiganbietern aus
       Fernost, vor allem aus China. Die Exporte in die USA gehen zurück, weil die
       Regierung sie mit hohen Zöllen belegt hat. Ex-Wirtschaftsminister Robert
       Habeck (Grüne) hatte immer wieder die Bedeutung der Branche für Europa über
       den Klimaaspekt hinaus betont, um die gigantischen Subventionen zu
       rechtfertigen: „In Zeiten der geopolitischen Instabilitäten kann
       Deutschland es sich nicht erlauben, beim Ausgangspunkt tausender
       industrieller Wertschöpfungsketten abhängig von Drittstaaten zu werden“.
       
       ## Branche mit CO2 kaum überlebensfähig
       
       Dass emissionsintensiver Stahl aus Europa ohne Umstellung wettbewerbsfähig
       bleiben kann, ist kaum vorstellbar. Im europäischen Emissionshandel steigen
       die vereinbarten Preise für jede Tonne Treibhausgas in den kommenden Jahren
       kontinuierlich an. CO₂-belasteter Stahl wird sich auf Dauer nicht mehr am
       Markt platzieren lassen, prophezeien Fachleute.
       
       Linken-Chefin Ines Schwerdtner sprach deshalb von einem „Alarmsignal für
       den Industriestandort Deutschland“. SPD-Fraktionsvize Armand Zorn betonte,
       es brauche eine langfristige Industriepolitik: „Denn es ist klar, dass sich
       die Dekarbonisierung für unsere Industrie auch ökonomisch rechnen muss.“
       Die Politik könnte beispielsweise im Schienenbau eine Quote für grünen
       Stahl festlegen, um für stetige Nachfrage zu sorgen.
       
       Die IG Metall forderte den inzwischen zum Kanzler gewählten Friedrich Merz
       auf, einen Stahl-Krisengipfel einzuberufen. Die für kommende Woche
       geplanten Betriebsversammlungen im Bremer Stahlwerk wurden abgesagt,
       stattdessen die Belegschaft zu einer Kundgebung aufgerufen.
       
       20 Jun 2025
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Streit-um-Hoffnungstraeger-Wasserstoff/!6058660
   DIR [2] /Bremer-Stahlwerk-wird-nicht-umgeruestet/!6091749
   DIR [3] /Schwarz-rote-Milliarden-fuer-Unternehmen/!6085985
   DIR [4] /Totalumbau-beim-Mischkonzern/!6087237
   DIR [5] /Industrieabbau-im-Ruhrgebiet/!6085025
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Kai Schöneberg
       
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