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       # taz.de -- Kinderarzt zur Vorsorgeuntersuchung: "Zwang ist kein Allheilmittel"
       
       > Verpflichtende Vorsorge ist nur ein Notnagel zum Kinderschutz, meint der
       > Kinderarzt Hendrik Karpinski. Er hat die Familienpaten erfunden, ein
       > freiwilliges Teamwork mit Eltern
       
   IMG Bild: Im Gegensatz zum Prinzip der Vorsorgeuntersuchung unterstellt das Patenkonzept den Eltern keine bösen Absichten.
       
       taz: Herr Karpinski, als Allheilmittel für den Kinderschutz soll nun die
       Vorsorge verpflichtend werden. Bringt das was? 
       
       Hendrik Karpinski: Durch verpflichtende Vorsorgeuntersuchungen wird die
       Chance größer, dass ein Kind gesund bleibt. Als Allheilmittel taugen sie
       allerdings wenig. Eltern, die ihre Kinder misshandeln, tun das nicht vor
       Untersuchungen.
       
       Sie haben einen völlig anderen Ansatz. Wie geht der? 
       
       Wir werben schon in der Schwangerenberatung bei den Müttern, an unserem
       Projekt der Familienpatinnen teilzunehmen. Sie können entscheiden, ob sie
       in drei Jahren mindestens zehn Besuche von einem Paten bekommen wollen. Das
       sind derzeit 75 ehrenamtlich tätige Menschen aus der Bevölkerung, die wir
       geschult haben. Die Eltern stimmen in einer Vereinbarung auch zu, einmal im
       Jahr einen Kurs an unserer Elternakademie zu machen - etwa in
       Unfallprävention.
       
       Wie viel Eltern in der Niederlausitz machen da mit? 
       
       Über 60 Prozent der Eltern, also aktuell 318 Familien. Das liegt vor allem
       an der Freiwilligkeit und dem niedrigschwelligen Charakter unseres
       Angebots. Hinzu kommt eine Hinterlassenschaft der DDR. Es gehen noch immer
       etwa 90 Prozent der Frauen zur so genannten Schwangerenkonfliktberatung.
       
       Sie sind ein Fan der DDR-Pflichtberatung? 
       
       Nein, ich bin nicht für ein Ost-Revival. Aber lassen Sie mich kurz von
       Finnland erzählen. Dort nutzen über 90 Prozent die staatliche Beratung. Bei
       einem Besuch dort traf ich einen jungen Mann mit seinem Sohn in einer
       Beratungsstelle. Ich wollte wissen, wie man ihn überzeugt habe. Der hat die
       Frage gar nicht verstanden. Als ich ihm die Situation hier erklärt habe,
       meinte er nur, dass die Leute doch nichts dagegen haben könnten, sich bei
       so einer komplexen Angelegenheit wie der Kindererziehung beraten zu lassen.
       Außerdem habe er Steuern dafür bezahlt, es wäre schön blöd, das nicht zu
       nutzen.
       
       Wann kommt der Pate bei Ihnen das erste Mal? 
       
       Während der Schwangerschaft. Er bringt ein Geschenk mit, eine Tasche mit
       einem Schlafsack für das Kind, aber auch etwas für die Mütter, wie einen
       Gutschein für Kosmetik oder eine Massage. Die Hebammen haben uns dazu
       geraten - weil es ungerecht ist, dass immer nur die Kinder etwas bekommen.
       Später kommen die Paten in regelmäßigen Abständen, meist in der Nähe der
       Vorsorgeuntersuchungen, um die Eltern zu erinnern.
       
       Eine verkappte Pflichtuntersuchung, oder? 
       
       Nein, eben nicht. Wir unterstellen den Eltern nicht, dass sie Böses im
       Schilde führen, sondern wir erinnern sie an die Untersuchung. Oftmals
       vergessen sie die im Stress oder halten sie für nicht so wichtig.
       
       Was machen die Paten, wenn sie eine Misshandlung der Kinder entdecken? 
       
       Bisher hatten wir solche Fälle noch nicht. Aber wenn es Probleme gibt, dann
       soll der Pate hier im Kompetenzteam anrufen, das sind Psychologen, Ärzte
       und auch das Jugendamt. Das findet in anonymisierter Form statt. So weiß
       man nicht, um welche Familie es sich handelt.
       
       Die Paten haben also eine Art Schweigepflicht? 
       
       Absolut. Ohne diese würde das gesamte System nicht funktionieren - es sei
       denn, wir entdecken eine akute Kindesgefährdung. Dann laufen die Dinge wie
       bei den Kinderschutzfällen, das heißt, es wird interveniert.
       
       Häufig wird kritisiert, dass Ärzte und Hebammen ihre Informationen nicht
       austauschen. Gibt es da eine Lösung? 
       
       Das ist wegen des Datenschutzes nicht einfach. Bei uns bringt der Pate bei
       seinem ersten Besuch auch das so genannte Familienbuch mit. Da sind zum
       einen Informationen über örtliche Hebammen und Ärzte drin und zu allem, was
       wichtig ist für die Erziehung und das Aufwachsen eines Kindes. Zum anderen
       können da Schwangerenberater, Ärzte oder Hebammen auch ankreuzen, dass sie
       in einer Familie ein Problem entdeckt haben. Das dürfen sie allerdings nur
       mit Einverständnis der Eltern und sie müssen das auch begründen. Das
       funktioniert erstaunlich gut. Auf diese Weise kann ich als Kinderarzt, wenn
       ich das Kreuz von Pro Familia finde, die Familie fragen: Damals gab es
       scheinbar ein Problem - wollen Sie mit mir darüber reden? Diese Lösung
       funktioniert in den meisten Fällen. Und sie ist von der
       Datenschutzbeauftragten des Landes abgesegnet.
       
       INTERVIEW: DANIEL SCHULZ
       
       20 Dec 2007
       
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