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       # taz.de -- Kitesurfer bei Olympia: „Wir haben klare Vorfahrtsregeln“
       
       > Der Kitesurfer Jannis Maus stürmt mit 80 Sachen über die Wellen und
       > vielleicht auch aufs olympische Podium. Ein Gespräch über die Formel 1
       > des Wassersports.
       
   IMG Bild: „Atemberaubender Start“: Jannis Maus mit Sportgerät auf der Nordsee
       
       taz: Herr Maus, die vielleicht wichtigste Frage zuerst. Wie ist der Wind in
       Marseille? 
       
       Jannis Maus: Eigentlich ist hier alles sehr gut, nur der Wind ist sehr
       schlecht. Also wenn ich jetzt so rausschaue auf unser Field of Play, ist es
       heute wirklich mau.
       
       taz: Zum Kiten braucht es schon richtig Wind? 
       
       Maus: Drei Knoten, so wie jetzt – da ist es für uns nicht sinnvoll
       rauszugehen. Aber viel mehr als eine leichte auflandige Brise brauchen wir
       auch nicht. 6 Knoten, das sind so 12 km/h, das ist immer noch sehr wenig,
       aber damit können wir schon ziemlich gut arbeiten. Ich habe mal 50 km/h bei
       6 Knoten geschafft.
       
       taz: Wie schnell kann man denn kiten? 
       
       Maus: Mein persönliches Maximum ist knapp über 80 km/h. [1][Im Wettkampf
       sind wir zwischen 70 und 80 km/h schnell], wenn die Bedingungen passen. Ich
       glaube, damit sind wir sogar die schnellste Disziplin bei den
       Sommerspielen.
       
       taz: Wie fühlt sich das an, wenn man da mit 75, 80 durch die Luft fliegt? 
       
       Maus: Das ist schon ein bisschen scary. Voriges Jahr im November habe ich
       mir bei einem Crash im Trainingslager bei hoher Geschwindigkeit eine Rippe
       gebrochen.
       
       taz: Obwohl Sie immer mit Schutzausrüstung unterwegs sind. 
       
       Maus: Ja, wir tragen eine sogenannte Prallschutzweste. Die sieht fast aus
       wie so eine schusssichere Weste. Bei dem Crash bin ich jedenfalls sehr
       ungünstig in eine Welle reingestürzt und habe mir dabei die Rippe
       gebrochen. Es kann ein bisschen was passieren. Es ist immer viel Adrenalin
       mit im Spiel – und natürlich pure Freude. Bei mir im Leben dreht sich
       irgendwie alles um Geschwindigkeit. Das war schon früher so, wo ich auf dem
       Weg zur Schule auf dem Rad Rennen gegen die Autos an der Ampel gefahren
       bin.
       
       taz: Und heute riskieren Sie etwas, damit auch die Zuschauer ihren Spaß
       haben. 
       
       Maus: Riskieren würde ich das nicht nennen. Klar passieren immer mal
       Crashes, aber mittlerweile sind wir alle auf einem hohen Niveau. Ich bin
       seit einem Jahr nicht mehr gecrasht. Vielleicht mal im Training, wenn es
       darum geht, Grenzen auszutesten. Aber natürlich hat die Sportart ein
       Risikopotenzial. Ich glaube, das macht bei vielen Sportarten auch ein
       bisschen den Reiz aus.
       
       taz: Wir würden Sie diesen Reiz beschreiben? 
       
       Maus: Wir sind extrem eng beisammen, fahren nicht weiter als drei bis fünf
       Meter voneinander entfernt. Da ist dann die Reaktionsgeschwindigkeit
       unglaublich wichtig. Vielleicht kann man das am ehesten mit der Formel 1
       vergleichen. Schon der Start ist absolut atemberaubend, wenn alle mit
       voller Geschwindigkeit über die Linie gehen.
       
       taz: Und dann sieht es oft aus wie ein einziges Durcheinander. Wie schafft
       man es da, den Überblick zu behalten? 
       
       Maus: Auch wenn es von außen vielleicht ein bisschen unübersichtlich
       aussieht, wir haben ganz klare Vorfahrtsregeln. Und so muss man immer
       entscheiden: Schaffe ich es noch vor dem anderen oder muss ich ihn erst
       durchlassen. Und auch beim Start weiß jeder ganz genau, was er machen muss.
       
       taz: Und damit das möglichst leicht aussieht, muss man wahrscheinlich
       schwer körperlich arbeiten. 
       
       Maus: Für mich war das von der ersten Minute an echter Spaß. Aber wir
       stecken schon auch viel Arbeit rein.
       
       taz: Beschreiben Sie doch mal einen typischen Trainingstag. 
       
       Maus: Der beginnt mit einem sehr reichhaltigen Frühstück, weil wir viel
       Energie verbrennen über den Tag. Dann geht’s anderthalb, zwei Stunden ins
       Gym zu einem intensiven Training mit der Langhantel, mit einem auf mich
       zugeschnittenen Athletikprogramm. Dann ist großes Mittagessen angesagt,
       nochmal die Kohlenhydratspeicher auffüllen. Am Nachmittag dann ein bis
       zwei Wassersessions, je ein bis zwei Stunden. Dazwischen wieder essen. Und
       am Ende geht es noch an die Materialpflege.
       
       taz: Lange war ja nicht klar, dass Sie sich qualifizieren. Es gab da einen
       harten Zweikampf mit Florian Gruber um das deutsche Olympiaticket. 
       
       Maus: Da möchte ich mal ganz von vorne anfangen. Flo und ich, wir kennen
       uns von klein auf. Mein Vater war Angestellter in der Snowboardschule von
       Flos Papa. Wenn es sein musste, hat Flo, er ist ja ein paar Jahre älter,
       auf mich aufgepasst. Wir kennen uns also schon ewig und waren echt sehr gut
       befreundet. Als es mit dem Kiten angefangen hat, war mir Flo immer einen
       Schritt voraus. Er war ja der Ältere, war jahrelang die führende Figur im
       Kiten in Deutschland, hat beinahe alles dominiert. Er war es, der mich erst
       ans Wettkampfgeschehen herangeführt hat.
       
       taz: Und jetzt haben Sie ihm das Olympiaticket weggeschnappt. 
       
       Maus: Die letzten Jahre lief alles auf diesen olympischen Wettkampf zu. Da
       wurde unsere Freundschaft zwar noch gepflegt, aber auf dem Wasser war es
       ein erbitterter Kampf. Und weil ich mich nach dem Abschluss meines
       Masterstudiums zwei Jahre voll auf den Sport konzentrieren konnte, bin ich
       dann an ihm vorbeigezogen.
       
       taz: Hat die Freundschaft in dieser Zeit Schaden genommen? 
       
       Maus: Das war zeitweise schon ein bisschen schwierig. Aber jetzt schreiben
       wir wieder ganz normal.
       
       taz: Was kommt nach Ihnen beiden? Welche Zukunft hat das Kiten in
       Deutschland? 
       
       Maus: Durch den olympischen Aufwind haben wir eine ganz gute
       Vereinsstruktur aufgebaut. Ich bin ja für [2][die Cuxkiters aus Cuxhafen]
       unterwegs. Kein reicher Verein, von dem ich Geld bekomme oder hinter dem
       Investoren stehen. Für mich war es wichtig, für einen Verein zu starten,
       der was für den Nachwuchs macht. Wir geben kostenlose Kitestunden, haben
       Material für Jugendliche, die von ihren Eltern keine große Unterstützung
       erwarten können. Mir ist es jedenfalls wichtig, da etwas zurückzugeben.
       Mein altes Material, das bis zu 5.000 Euro wert ist, stelle ich zum
       Beispiel dem Verein zur Verfügung.
       
       taz: Aber es gibt auch Widerstand. Naturschützer würden am liebsten das
       Kiten im Wattenmeer verbieten. 
       
       Maus: Das ist ein großes Missverständnis von Seiten der Naturschützer, die
       glauben, dass wir uns nur breitmachen wollen und nichts für die Natur übrig
       haben. Dabei ist es andersrum. Nicht ohne Grund nutzen wir die Natur, um
       unseren Sport auszuüben. Wir sind darauf angewiesen, dass wir saubere Meere
       haben, dass wir Wind haben, nicht nur Stürme und Regen als Folge der
       Klimaerwärmung. Ich hab da manchmal das Gefühl, dass wir auf eine Stufe
       gestellt werden mit Jetskifahrern, die nur stundenlang den Strand rauf- und
       runterballern.
       
       taz: Zurück zu Olympia. Wo sehen Sie sich im olympischen Wettbewerb. 
       
       Maus: Bei der WM bin ich gerade Fünfter geworden, da bin ich ganz knapp am
       Finale vorbeigeschrammt. Wenn ich es jetzt schaffe, ins Finale der besten
       vier reinzukommen, dann will ich auch eine Medaille.
       
       4 Aug 2024
       
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       ## AUTOREN
       
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