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       # taz.de -- Klara Indernach schreibt für „Express“: Das ist kein Mensch!
       
       > Die Boulevardzeitung „Express“ setzt eine KI ein, um Texte zu schreiben.
       > Daran wäre nichts verwerflich, wenn da nicht die Aufmachung wäre.
       
       „Klara Indernach“ atmet nicht, isst nicht, hat keinen Körper. „Klara
       Indernach“ hinterfragt nicht, hat keine eigenen Ideen, keine
       Lebenserfahrung, keine Emotion. „Klara Indernach“ ist eine künstliche
       Intelligenz (KI) und kein Mensch, auch wenn die Boulevardzeitung Express
       sich größte Mühe gibt, den Leser*innen genau das vorzugaukeln.
       
       Eine KI einzusetzen, um Texte zu schreiben, vielleicht sogar für die
       Themensuche, das ist erst mal nicht verwerflich, sondern eine logische,
       wenn auch neue Praxis in vielen Medienbetrieben. Wichtig ist dabei zunächst
       nur, dass die Texte nicht einfach so veröffentlicht werden, sondern
       Menschen mit ihnen weiterarbeiten. Sie geben nicht nur zu Beginn des
       Prozesses einen Befehl, was eigentlich getan werden soll, sondern müssen
       später auch die Quellen und Fakten prüfen, den Aufbau bearbeiten, an der –
       teils noch hölzernen, teils schon sehr attraktiven – Sprache feilen.
       
       Auch der Express prüft und bearbeitet [1][laut eigener Aussage] die Texte,
       die „zu einem großen Teil mithilfe von KI generiert wurden“, noch mal
       redaktionell. „Klara Indernach“ schreibt seit Juli 2023 Texte für den
       Express, der in Köln im Verlag M. DuMont Schauberg erscheint.
       
       In den Artikeln geht es um Preistipps (online und im Supermarkt), um
       Promis, um Änderungen im TV-Programm und auch um Themen, die besondere
       journalistische Sorgfalt verlangen: Sucht oder sexualisierte Gewalt an
       einem Kind. Das Problem ist ein anderes: Der Express tut zumindest in
       Teilen so, als wäre die KI ein Mensch.
       
       ## Midjourney
       
       Der Express hat sich entschieden, der KI einen Namen zu geben. Keinen
       eindeutig nichtmenschlichen Namen wie Terminator T-800 (aus dem Film
       „Terminator“), HAL-9000 (aus „2001“) oder R2-D2 („Star Wars“), sondern
       einen Namen, der ganz gezielt nach Mensch klingen soll, noch dazu nach
       einem weißen, deutschen Menschen: „Klara Indernach“.
       
       „Wer so einen Namen hat, braucht auch ein Foto“, hat sich der Express wohl
       gedacht und eines bei der [2][Bild-KI Midjourney] in Auftrag gegeben. Das
       Ergebnis: eine junge Frau, helle Haut, breites Lächeln, blondierte
       zerzauste Haare bis zum Kinn, sogar den Ansatz kann man sehen. Ein überaus
       menschliches, ein normschönes weißes Antlitz.
       
       Wer dieses Bild sieht, würde erst mal nicht denken: Aha, das ist also eine
       Maschine. Stattdessen vermittelt es den Eindruck von Menschlichkeit, zudem
       von Privilegiertheit. Dieses Bild ziert das Autor*innenprofil, auf dem der
       Express über die KI aufklärt. „Zur Person“ heißt diese Seite, eben ganz
       genau so, als wäre „Indernach“ ein Mensch. Die vier Sätze über die
       Identität der KI sind klar und leicht verständlich, werden aber von jenem
       Bild eines vermeintlichen Menschen begleitet und damit in ihrer Bedeutung
       herabgesetzt, weniger wahrnehmbar gemacht.
       
       ## (KI)- Kürzel oder Hinweis?
       
       Hinzu kommt: Um auf die Seite „Zur Person“ zu gelangen, müssen
       Leser*innen auf den Link klicken, der sich hinter „Klara Indernach“
       verbirgt und wie jeder andere, echte Autor*innenname auf der Seite
       über dem Text steht. Dieser Klick ist Service und relevant für die
       Suchmaschinenoptimierung, wird aber in Realität gar nicht so häufig
       getätigt. Warum auch? Er setzt ein Interesse für die Person oder für andere
       Texte der Person voraus.
       
       Hinter dem Namen der KI steht in Klammern: „KI“. Das könnte ein Hinweis auf
       die künstliche Intelligenz sein. Oder einfach ein ganz normales Kürzel, wie
       es nahezu alle Journalist*innen haben, die regelmäßig für ein Medium
       schreiben.
       
       Das alles ist – trotz des kursivierten KI-Hinweises unter den Texten, die
       vermutlich nur wenige lesen, denn: Wer liest schon einen Text zu Ende? –
       Verarsche der Leser*innenschaft und verwerflich.
       
       ## Die Kernkompetenzen unterscheiden KI und Mensch
       
       Der Express erzeugt eine Illusion der Menschlichkeit, ganz ohne Not. Als
       sollten wir glauben, dass hinter der KI eine echte Person steckt, mit dem
       Vermögen, Themen zu gewichten und Wahrheiten und Lügen größtenteils zu
       erkennen – Kernkompetenzen von Menschen, insbesondere Journalist*innen. Es
       sind diese Kompetenzen, wegen der viele, wenn auch lange nicht alle
       Menschen dem Journalismus vertrauen.Sie sind momentan auch (noch) der
       Unterschied zwischen Mensch und Technik.
       
       Doch den verschleiert der Express zumindest auf den ersten Blick. Er geht
       mit der Zeit, nutzt KI-Technologie für viel Output, wirkt aber, als hätte
       er Angst, sich dafür gegenüber seiner Leser*innenschaft zu
       rechtfertigen.
       
       20 Sep 2023
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.express.de/autor/klara-indernach-594809/10
   DIR [2] https://www.midjourney.com/home/?callbackUrl=%2Fapp%2F
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Johannes Drosdowski
       
       ## TAGS
       
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