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       # taz.de -- Klausur der schwarz-roten Regierung: 80 Maßnahmen und keine Botschaft
       
       > Die Bundesregierung einigt sich auf eine Modernisierungsagenda – vom
       > digitalen Führerschein bis zu KI-Visaverfahren. Doch die Botschaft setzen
       > andere.
       
   IMG Bild: Bundeskanzler Merz (r), Vizekanzler und Finanzminister Klingbeil (l) und Innenminister Dobrindt (M) in Berlin, am 1. Oktober 2025
       
       Berlin taz | Friedrich Merz hatte es am Ende eilig. Mit „Alles Gute und
       ciao, ciao“ verabschiedete er sich am Mittwochvormittag und sprang in den
       Hubschrauber. Zwei Tage hatte sich seine Regierung Zeit genommen, um in der
       Villa Borsig am Berliner Stadtrand in Klausur zu gehen. Das Ziel:
       Miteinander warm werden und gemeinsam überlegen, wie Deutschland digital
       vorankommt und wirtschaftlich wieder Tritt fasst.
       
       Es war das erste Treffen, seitdem die schwarz-rote Regierung im Amt ist,
       die abschließende Pressekonferenz fiel allerdings kurz aus, weil Merz zum
       informellen Treffen der europäischen Staatschef:innen nach Kopenhagen
       musste. Diese tauschen sich noch bis Donnerstag über europäische Rüstung,
       russische Drohnen und ukrainische Finanznöte aus. Das spiegelte auch die
       Lage in Tegel ziemlich genau wider: Die außenpolitischen Probleme
       überlagern die innenpolitischen.
       
       Eine der wichtigsten Botschaften am Rande der Regierungsklausur teilte denn
       auch Innenminister Alexander Dobrindt eher beiläufig mit: Der Bundeswehr
       soll es künftig erlaubt sein, im Zuge der Amtshilfe Drohnen im Inland
       abzuschießen. „Spionage und Sabotage, das sind steigende Bedrohungen, auch
       wenn sie abstrakt sind und noch nicht sehr konkret“, sagte Dobrindt in der
       Pressekonferenz. Es gelte also, neue Antworten zu finden, etwa wenn es um
       das Aufspüren, Abwehren und Abfangen von Drohnen ginge. „Das beinhaltet
       auch Abschießen.“
       
       Das Bundespolizeigesetz soll überarbeitet werden und Bund und Länder wollen
       ein gemeinsames Drohnenabwehrzentrum einrichten, um sich gemeinsam zu
       rüsten. Nicht jede Drohne sei allerdings eine Bedrohung, betonte Dobrindt,
       vieles sei als Provokation gemeint. Als solche stufte er auch die
       Drohnenschwärme über dem Großraum Kiel ein.
       
       ## Klausur überschattet von Zwischenfällen
       
       Merz bemühte sich ebenfalls, die Spannung etwas zu lindern. Deutschland sei
       nicht im Spannungsfall, betonte er und erteilte damit einem Vorstoß seines
       Parteifreundes Roderich Kiesewetter eine Absage.
       
       Zuvor hatte Merz die Ergebnisse der Klausur zusammengefasst. Auch diese war
       überschattet worden: Verkehrsminister Patrick Schnieder war am
       Dienstagmorgen mit Kreislaufkollaps am Tisch zusammengebrochen,
       Kulturstaatsminister Wolfgang Weimer musste wegen eines Todesfalls im
       Familienkreis abreisen.
       
       Merz versuchte Zuversicht zu verbreiten: Die Arbeitsatmosphäre in der
       Regierung sei kollegial und man habe sehr konkrete Beschlüsse gefasst,
       betonte der Kanzler, um im Stile eines Verwaltungsbeamten vom Blatt zu
       referieren: Zentralisierung der Portale für internetbasierte
       Fahrzeugzulassung im Kraftfahrzeugbundesamt, Automatisierung von
       Visumverfahren und die Modernisierung des Dienstrechtes.
       
       Kurz gesagt: Der Staat will kräftig Bürokratie abbauen, vieles, was bisher
       analog und dezentral beantragt werden musste, wie der Führerschein, soll
       künftig einheitlich und digital möglich sein. [1][Eine
       Modernisierungsagenda für Staat und Verwaltung,] die im Hause von
       Digitalminister Karsten Wildberger verfasst und am Mittwoch beschlossen
       wurde, enthält rund 80 Einzelmaßnahmen und verspricht Einsparungen in Höhe
       von 16 Milliarden Euro durch Bürokratieabbau.
       
       ## Die Suche nach der Botschaft
       
       Die EU arbeitet außerdem an einer elektronischen Brieftasche, mit der
       Menschen vom Führerschein bis zum Rentenausweis alles auf ihrem Handy
       haben. Irgendwann werden all diese kleinteiligen Beschlüsse und Projekte
       das Leben der Menschen wahrscheinlich enorm erleichtern – Stoff für eine
       größere Erzählung bieten sie aktuell aber noch nicht.
       
       Der rhetorische Stilbruch bei Merz vom schneidigen Ankündiger zum
       detailversessenen Referenten war beachtlich. Vom Herbst der Reformen war
       jedenfalls nicht mehr die Rede, stattdessen klang Merz schon fast wie sein
       Vorgänger Olaf Scholz, den er mal höhnisch als „Klempner“ bezeichnet hatte.
       
       Vizekanzler Lars Klingbeil wagte ein wenig mehr Emotion: „Es hat Spaß
       gemacht, aber es war auch effektiv“, so das Fazit des SPD-Vorsitzenden. Es
       gebe aber keinen Grund, sich zurückzulehnen. „Der Status quo ist unser
       Gegner“, es brauche die Bereitschaft, maßgebliche Veränderungen
       herbeizuführen. Das war wohl einerseits ein Nachhall vom Vortag, als der
       eingeladene Princeton-Professor Marcus Brunnermeier den
       Regierungsmitgliedern ins Gewissen redete. Das bisherige deutsche
       Erfolgsmodell, nämlich Prozesse und Produkte zu verfeinern, sei kein Modell
       für die Zukunft. Es brauche mehr Mut zur Beweglichkeit.
       
       Klingbeils Appell könnte aber auch an die eigenen Parteifreunde gerichtet
       sein. Denn die großen Veränderungen, darunter die [2][Reform des
       Sozialstaates], um diesen demografiefest zu machen, muss die Regierung noch
       angehen. Die Themen Pflege, Rente und Arbeit, bei denen im Herbst und zu
       Beginn des kommenden Jahres erste Entscheidungen fallen sollen, werden wohl
       sowohl die Nerven der Sozialdemokraten als auch die kollegiale Atmosphäre
       in der Koalition noch gewaltig strapazieren.
       
       1 Oct 2025
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://bmds.bund.de/aktuelles/pressemitteilungen/detail/modernisierungsagenda-fuer-ein-schnelles-deutschland
   DIR [2] /Vermoegensdebatte/!6107803
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Anna Lehmann
       
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