# taz.de -- KlimaktivistInnen der Letzten Generation: Die Letzte Generation ist zu religiös
> Gerade an Ostern fällt auf, wie religiös die Letzte Generation eigentlich
> ist. Und dass das ein strategisches Problem für die Klimabewegung ist.
IMG Bild: Das Leiden der Letzten Generation: hier zu sehen bei einer Straßenblockade in Berlin am 17. Februar
Oh, schon wieder vier Wochen um, [1][neuer Monat, neue Kolumne]. Aber
worüber? Die Welt hat sich weitergedreht, aber immer nur um sich selbst
statt auch mal nach vorne. Während ich verzweifelt nach einem Thema suche,
kleben sich AktivistInnen vor dem Hamburger Elbtunnel fest und legen den
Verkehr lahm. Danke, denke ich im ersten Moment, Kolumne gerettet.
Klimakleber, das regt auf, das zieht immer. Und im zweiten: Scheiße, da
muss ich morgen auch durchfahren, auf dem Weg in den Osterurlaub.
Mein letzter Rest Sympathie mit der Letzten Generation ist zuletzt deutlich
schneller verschwunden als hartnäckige Kleberreste, und das liegt nicht an
meiner persönlichen Betroffenheit. [2][Ich verstehe einfach nicht], warum
Linke, die sonst vor einem Kulturkampf von Rechts warnen, wenn Markus Söder
mal wieder „Insektenburger“ sagt, tatsächlich glauben, dass sie ein
Kulturkampf von Links irgendwie näher an ihr Ziel bringt: das Erreichen der
Klimaziele. Nichts anderes ist die Verlagerung eines politischen Konflikts
auf den Individualverkehr: Kulturkampf.
Gerade an Ostern fällt mir auf, wie religiös die „Letzte Generation“
eigentlich ist. Und dass das ein strategisches Problem für die
Klimabewegung ist.
Es ist nicht nur der Name, der verrät, dass ihre Mitglieder im
Konfirmationsunterricht besonders fleißig waren. Es ist die
Selbstinszenierung als Märtyrer, die aus der Ablehnung durch die Mehrheit
ihre Bestätigung zieht. [3][Beim NDR schreibt ein Pastor], die Letzte
Generation stünde „in der Tradition der Bergpredigt Jesu, und der
Aufforderung, dem, ‚der dich auf die Wange schlägt, auch die andere
darzubieten.‘“
## Doomismus lähmt
Nicht nur die Letzte Generation ist quasi-religiös. Große Teile der
klimabewegten Bevölkerung übernehmen die Rhetorik der kleinen Gruppe.
Gerade haben 240 VertreterInnen diverser Parteien von der Linken bis zur
CDU einen [4][offenen Brief an Olaf Scholz] geschickt. Auch sie bezeichnen
sich als die Letzte Generation, die aufhalten könne, was uns drohe: „der
globale Verlust unserer Kontrolle über die menschengemachte Klimakrise.“
Auch, wer die Klimakrise ernst nimmt, darf diese Wortwahl in Frage stellen.
Man überzeugt niemanden, indem man den Weltuntergang heraufbeschwört.
[5][Dieser Doomismus lähmt, statt zu bewegen]. Die Klimakrise ist längst
Alltag, sie tötet von Pakistan bis zum Ahrtal. Es ergibt keinen Sinn, von
einer Gefahr in der Zukunft zu sprechen, wenn die Krise längst Gegenwart
ist.
Jesus nimmt an Ostern die Schuld der Menschheit auf sich, um sie zu
erlösen. Und in dieser Geste steckt auch das Problem der Letzten Generation
und ihrer Anhänger. Statt die Menschen in ihren Autos zum gemeinsamen Kampf
zu bewegen, übernehmen sie als Märtyrer die Last.
Sie nehmen die Wut der Autofahrer auf sich, die in der Mehrheit die Gefahr
der Klimakrise längst erkannt haben, aber sich ohnmächtig fühlen, und
kämpfen stellvertretend für die Erlösung. Aber das ist nicht empowernd, wie
man heute sagt, sondern entlastend.
Jesus, könnte man einwenden, war mit seinem Kulturkampf recht erfolgreich.
Klar, erstmal wurde er gekreuzigt. Aber mittelfristig war die Idee mit dem
Christentum recht gelungen. Heute laufen der Kirche ihre Mitglieder
allerdings in Scharen weg. Vielleicht sollten die AktivistInnen sich neue
Vorbilder suchen.
Für die Märtyrer der Letzten Generation habe ich einen Vorschlag: Packt den
Sekundenkleber ein, der hält eh nicht so gut wie Nägel. Ruht euch über die
Feiertage aus, vielleicht fällt euch eine sinnvollere Aktion ein. Schaut
euch „Das Leben des Brian“ an, Humor hilft gegen den Ernst des Lebens. Und
lasst mich in den Urlaub fahren. Frohe Ostern!
7 Apr 2023
## LINKS
DIR [1] /Kolumne-Materie/!t5764024
DIR [2] /Deutschlands-Klimapolitik/!5923016
DIR [3] https://www.ndr.de/kirche/Pastor-Jan-Dieckmann-beeindruckt-die-Letzte-Generation,kolumne1452.html
DIR [4] https://www.spiegel.de/politik/deutschland/klima-appell-an-olaf-scholz-letzte-generation-die-aufhalten-kann-was-uns-droht-a-29afb92a-daff-4bee-b781-112d1f026890
DIR [5] /Klimaforscher-ueber-Doomism/!5902230
## AUTOREN
DIR Kersten Augustin
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