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       # taz.de -- Klimaschutz in Lübeck: Nur 350 Bäume statt einer Million
       
       > Die Stadt Lübeck will eine Million Bäume pflanzen. Das Projekt könnte zu
       > einem Leuchtturm für Bio- Forstwirtschaft werden. Doch es fehlen Flächen.
       
   IMG Bild: Noch keine Million: Die Aktion #GemeinsamBuddeln hat im Wald junge Bäume gepflanzt
       
       Lübeck taz | Es ist ein sonniger Morgen im Februar 2020, als 40 Freiwillige
       die Spaten schultern und im Gänsemarsch durch ein Waldgebiet im Norden
       Lübecks gehen. Zwischen Fichten-Monokulturen liegen abgeknickte Stämme,
       besiegt von Borkenkäfern. Auf einer Lichtung gräbt Revierförster Kai
       Neumann ein Loch. Hier ist der Abstand zu den Nachbarbäumen groß genug,
       erklärt er. Dann setzt er die Wurzeln eines anderthalb Meter langen
       Laubbaums hinein und befestigt die Erde.
       
       So schildert Stefan Eichhorst die zweite Pflanzaktion der von ihm
       gegründeten Initiative „#GemeinsamBuddeln“. Die Aktion sammelt über die
       „Waldjugend Lübeck“ Spenden, kauft davon Jungbäume und pflanzt diese unter
       Anleitung der jeweiligen Förster*Innen. Nach und nach soll so aus kranken
       Monokulturen Mischwald werden. Inzwischen sind fast alle Leerstellen mit
       insgesamt 350 Bäumen bepflanzt.
       
       Es ist eine symbolische Zahl gemessen an dem Ziel, das die Stadt sich
       selbst gesetzt hat: eine Million Bäume zu pflanzen. Das steht im
       „kurzfristigen Maßnahmenpaket Klimaschutz“, das die Bürgerschaft im Januar
       2020 als Reaktion auf den sieben Monate zuvor ausgerufenen Klimanotstand
       beschlossen hat und das insgesamt 48 Maßnahmen umfasst. Im Haushalt stehen
       dafür 250.000 Euro, dazu kommen EU-Fördermittel. Für das ehrgeizige Ziel
       sollte der Bürgermeister, der damals selbst mitgepflanzt hatte, bis zum
       Juni 2020 ein Konzept vorlegen, die Aufforstung sollte im Herbst beginnen.
       Doch geschehen ist nicht viel.
       
       Was genau heißt „kurzfristig“? Aus dem Rathaus kam darauf bis zum
       Redaktionsschluss keine Antwort. Martin Mohrmann begleitet die
       Klimamaßnahme kritisch. Der Inhaber einer Gürtelmanufaktur möchte seinen
       Betrieb klimaneutral machen, ein Baustein dafür sollte eine
       CO²-Kompensation in dem Projekt sein. Immer wieder fragte er nach. „Wir
       haben auf der einen Seite die Ehrenamtlichen, die teils durch Corona
       ausgebremst wurden, auf der anderen Seite die Stadt, der durch einen alten
       Flächennutzungsplan die Hände gebunden sind.“
       
       „Wir haben hier Flächenkonflikte, wie überall“, bestätigt der für
       Flächennutzung zuständige Stadtplaner Christian Stolte. Hundert Hektar sind
       für den neuen Wald kalkuliert, eigentlich zu wenig für große Bäume. Aber
       immerhin ist das ein Gebiet von der Größe der Lübecker Altstadt.
       
       ## Kühlschrank für die Stadt
       
       „Hundert Hektar schneidet man sich nicht mal eben so aus dem Ärmel“, sagt
       der Bereichsleiter Stadtwald Knut Sturm. „Wir haben eine Konkurrenz zur
       Landwirtschaft.“ Acht Hektar hat er für den Neuwald schon gefunden und das
       war nicht leicht. Die Stadt hat dafür Landwirten die Pacht nicht
       verlängert, woraufhin einer von ihnen sie verklagte. Er verlor das
       Verfahren, verzögerte damit aber die Aufforstung. Mit einem Suchraster
       „scannen“ Sturms Mitarbeiter*innen das Stadtgebiet nach möglichen
       Flächen. Nicht alle Freiräume sind geeignet und viele sind sehr klein. Für
       den Klimaschutz sei es aber besser, bestehende Wälder zu vergrößern, sagt
       Sturm: „Große Wälder haben eine Art Kühlschrankfunktion für die Stadt.“
       
       „Die Zielmarke von einer Million Bäumen ist natürlich
       öffentlichkeitswirksam“, sagt die Vorsitzende des Lübecker
       Umweltausschusses Silke Mählenhoff (Bündnis 90/ Die Grünen). „Selbst wenn
       wir es schaffen, 300.000 Bäume zu pflanzen, dafür aber an guten Standorten,
       ist das auch schon sehr gut.“ Das könne in Wäldern oder auch an Alleen
       sein.
       
       Dass Bäume gut fürs Klima sind, ist eingängig. Baumprojekte finden leicht
       Unterstützer*innen. Das könnte eine Motivation der Initiatoren für die
       ehrgeizige Zielmarke von einer Million gewesen sein. Die Maßnahme war nicht
       aus der Verwaltung, sondern von Politikern der regierenden SPD und CDU
       gekommen.
       
       Baumpflanzer Stefan Eichhorst ist überzeugt, dass eine wichtige
       Stellschraube für neue Wälder nicht allein die Menge der Bäume, sondern
       ihre Qualität als Lebensraum ist. Er erzählt von Wäldern im Harz „voller
       abgeknickter Fichten, die mit EU-Geldern aufgeforstet werden – mit neuen
       Fichten-Monokulturen“. Mit Natur habe das nicht viel zu tun. Der Lübecker
       Wald dagegen ist bio-zertifiziert und deutschlandweit bekannt für eine
       besonders naturnahe Forstwirtschaft, die kaum eingreift und nur mit
       heimischen Arten arbeitet – auch bei neuen Pflanzungen. „Meine Vision“,
       sagt Eichhorst, „ist, dass #GemeinsamBuddeln sich in andere Regionen
       ausbreitet – nach dem Lübecker Waldkonzept.“ Wenn es denn mal richtig
       losgeht.
       
       17 Jun 2021
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Friederike Grabitz
       
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