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       # taz.de -- Klimaschutz in den Wahlprogrammen: Grüne vorn, FDP Schlusslicht
       
       > Keines der Parteiprogramme für die Bundestagswahl erfüllt das
       > 1,5-Grad-Klimaziel, so eine Studie. Dafür liefert eine NGO ein dickes
       > Paket an Vorschlägen.
       
   IMG Bild: Für das 1,5-Grad-Ziel: Klimaschutz-Aktion vom WWF im Frühjahr in Berlin
       
       Eine Sache im Wahlkampf 2021 ist deutlich anders als vor vier Jahren: Am
       Klimathema kommt keine Partei mehr vorbei. SPD-Kandidat [1][Olaf Scholz]
       plakatiert „Klimaschutz wählen“, die CDU stellt ein eigenes „Klimateam“
       vor, die Linke fordert „Klimagerechtigkeit“, die FDP schwärmt bei jeder
       Gelegenheit vom Emissionshandel, und Grünen-Spitzenfrau [2][Annalena
       Baerbock] redet ohnehin am liebsten von ihren Plänen für ein klimaneutrales
       Deutschland.
       
       Aber wie gut sind die Klimapläne der Parteien? Eine erste wissenschaftliche
       Einschätzung der diversen Vorschläge zur Weltrettung hat am Mittwoch eine
       Tochter des [3][Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, die DIW
       Econ, im Auftrag der Stiftung Klimaneutralität vorgelegt.] Fazit: Kein
       Programm liefere „schlüssige Konzepte“, um den deutschen Anteil am
       1,5-Grad-Ziel und die im Klimaschutzgesetz vom Bundestag beschlossenen
       Ziele der Treibhausgasreduktion um 65 Prozent für das Jahr 2030 zu
       schaffen. Dabei zeigen sich die Parteien aber sehr unterschiedlich
       ambitioniert: Grüne und Linke schneiden am besten ab, die FDP am
       schlechtesten. Das untere Mittelfeld teilen sich SPD und CDU/CSU.
       
       Ähnlich wie sonst etwa bei der Bewertung von Rentenkonzepten hat das DIW
       Kriterien für eine „Plausibilitätsprüfung“ entwickelt. Ein Punktesystem
       bewertet, inwieweit die Vorschläge in den einzelnen Sektoren – Industrie,
       Strom oder Verkehr – zu den nötigen CO2-Einsparungen führen. Nicht
       gewichtet wurde, wie teuer die Konzepte sind und wie realistisch ihre
       Umsetzung wäre.
       
       Die höchste Punktzahl (3,6 von 4) bekommen die Grünen, die „in allen
       Sektoren konkrete und weitestgehend geeignete Vorschläge präsentieren“ –
       auch wenn es nicht für die Ziele des Klimaschutzgesetzes reicht. Die Linke
       landet auf Platz zwei (2,6 von 4 Punkten): gute Konzepte für Energie und
       Verkehr, so das Urteil, aber blinde Flecken beim CO2-Preis, der Industrie
       und der internationalen Klimapolitik. CDU/CSU (1,81 von 4) und SPD (1,79
       von 4) seien oft weder konkret genug, noch eigneten sich die Vorschläge, um
       die Notbremsung der CO2-Emissionen bis 2030 zu garantieren. Die Union
       habe Vorteile bei den Konzepten für die Industrie, die SPD beim Verkehr.
       
       Die FDP schließlich (1,24 von 4) sei bei internationalen Fragen und dem
       CO2-Preis „gut aufgestellt“, vernachlässige aber schnell wirkende
       Maßnahmen. Die AfD wurde nicht bewertet, weil ihre Vorschläge nicht
       systematisch mit den anderen Parteien vergleichbar seien, hieß es.
       
       Claudia Kemfert, Mitautorin und DIW-Klimaexpertin, sagte, für die
       Klimaziele seien „umfassende Maßnahmen erforderlich, die derzeit kaum eine
       Partei ausreichend im Wahlprogramm adressiert. Das ist in Summe
       ungenügend.“ Sie forderte die Parteien auf, „statt Gespensterdebatten
       endlich die notwendigen Inhalte für erfolgreichen Klimaschutz zu liefern“.
       Regierung und das Parlament müssten deutlich mehr tun, als bisher in den
       Wahlprogrammen stehe.
       
       ## Gesetzespaket für 1,5 Grad
       
       Dafür liegt seit Dienstag von anderer Seite ein dickes Paket auf dem Tisch:
       Auf 474 Seiten mit 200 konkreten Vorschlägen haben die AktivistInnen der
       unabhängigen Organisation GermanZero ein [4][Gesetzespaket geschnürt, mit
       dem Parlament und Regierung Deutschland in der kommenden Legislatur auf den
       Kurs zum 1,5-Grad-Ziel bringen sollen.] „Wir haben getan, was eigentlich
       der Job der Politik gewesen wäre“, sagt Mitautorin Lea Nesselhauf, nämlich
       „ein ressortübergreifendes Gesetzespaket mit den notwendigen Regulierungen“
       entwickelt, um das Pariser Ziel einzuhalten. Über die Ambitionen der
       Parteien urteilt sie ähnlich wie Kemfert: Keine Partei, die derzeit im
       Bundestag sitzt, habe „die nötigen Emissionsreduktionsziele angesetzt“.
       
       GermanZero hat für das Konzept über 1.100 Studien ausgewertet und in vielen
       Sitzungen Hunderte von Fachleuten befragt. Herausgekommen ist das „weltweit
       (…) erste 1,5-Grad-Gesetzespaket“, das eine radikale CO2-Bremse vorsieht.
       Es fordert etwa, dass bis 2035 alle CO2-Zertifikate im Emissionshandel der
       EU und in Deutschland auf null sinken sollen, danach dürften Industrie,
       Stromerzeugung, Verkehr oder Wärmegewinnung kein CO2 mehr emittieren.
       Unternehmen sollen bis dahin nur dann weiterhin freie CO2-Zertifikate
       erhalten, wenn sie die entsprechende Summe in ihre klimaneutrale Produktion
       investieren. Ein Mindestpreis soll CO2 teuer halten, die Einnahmen sollen
       über die Krankenkassen an die Bevölkerung zurückgezahlt werden.
       
       Den schnellen Ausbau der Erneuerbaren sollen nach den GermanZero-Plänen
       eine „Ausbau-Agentur“ und ein neues „Energiegesetzbuch“ garantieren.
       Bürokratie und umweltschädliche Subventionen müssten abgebaut, neue
       Ölheizungen ab sofort untersagt, Gas nur als Notfalloption zugelassen
       werden. Mit Subventionen, einer Sanierungspflicht und mehr Ausbildung von
       HandwerkerInnen soll die Sanierungsquote der Gebäude von derzeit 1 Prozent
       auf 4 Prozent gehoben werden. Der Umstieg der Industrie soll mit Zuschüssen
       und neuen Absatzmärkten vereinfacht werden.
       
       Autos mit Verbrennungsmotor werden nach diesen Plänen ab 2025 nicht mehr
       zugelassen, bei Lkws ist 2030 Ende, 2035 soll kein Diesel, Benzin, Öl und
       Gas mehr verkauft werden. Mehr Geld für Busse und Bahnen sollen etwa
       Citymaut oder Arbeitgeberabgabe bringen, und im „Deutschlandtakt“ soll
       auch der ländliche Raum besser angebunden werden. Schließlich sollen
       frühere Moore wieder vernässt werden, die Viehhaltung begrenzt und ein
       Emissionshandel für Schlachthöfe und Molkereien dafür sorgen, dass die
       Treibhausgase auch in der Landwirtschaft sinken.
       
       „Das Paket muss in der nächsten Legislatur umgesetzt werden, um das
       1,5-Grad-Ziel noch zu halten“, sagt Lea Nesselhauf. Natürlich sei das
       Konzept flexibel, aber „wenn eine Maßnahme rausgenommen wird, muss die
       Emissionsreduktion durch eine andere Maßnahme erbracht werden“.
       
       9 Sep 2021
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Das-Klima-als-Politikum/!5789901
   DIR [2] /Gruenen-Wahlkaempferin-Baerbock/!5792991
   DIR [3] https://www.stiftung-klima.de/de/studie/
   DIR [4] https://germanzero.de/
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Bernhard Pötter
       
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