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       # taz.de -- Koalition CDU-Linkspartei: Die Gretchenfrage der CDU
       
       > Sollten die Christdemokraten mit der Linkspartei koalieren? Auf
       > kommunaler Ebene sind die Schnittmengen beider Parteien größer, als man
       > denkt.
       
   IMG Bild: Koalition unter Einschluss der Linken? Das ist tatsächlich eine Gretchenfrage für die CDU
       
       Die AfD eilt von einer Rekordumfrage zur nächsten – im Bund wie in den
       Ländern. In Sachsen-Anhalt, wo im kommenden Jahr ein neuer Landtag gewählt
       wird, steht die rechtsextreme Partei bei 39 Prozent – 12 Punkte vor der
       regierenden CDU. Auch in Mecklenburg-Vorpommern steigt die AfD ein Jahr vor
       der Landtagswahl auf 38 Prozent.
       
       In einem solchen Szenario haben die Christdemokraten zwei Möglichkeiten:
       Juniorpartnerschaft mit der AfD – oder eine Koalition unter Einschluss der
       Linken. Das klingt für viele sicher utopisch – Stichwort
       Unvereinbarkeitsbeschluss zur Zusammenarbeit mit der Linkspartei – und es
       ist tatsächlich eine Gretchenfrage für die CDU. Eine, um die sich die
       Christdemokraten nicht länger herummogeln dürfen.
       
       Denn welche Alternativen gibt es? Der Variante, als Juniorpartnerin mit der
       AfD zusammenzugehen, dürften manche in der Union etwas abgewinnen, vor den
       ostdeutschen Landtagswahlen 2024 gaben rund 45 Prozent der CDU-Mitglieder
       an, eine Kooperation mit der AfD nicht auszuschließen. Polen, Ungarn, die
       USA zeigen aber: Dort, wo die Rechte an der Macht ist, regiert sie
       autoritär, greift die demokratischen Institutionen an und hebelt den
       Rechtsstaat Stück für Stück aus. [1][Die AfD hat von diesen Beispielen
       gelernt.] Die Christdemokraten könnten sich zu Steigbügelhaltern einer
       autoritären Wende machen.
       
       Bei den derzeitigen Umfragewerten bliebe eine Koalition mit der Linken als
       eine von sehr wenigen Möglichkeiten, die AfD von der Regierung
       auszuschließen. Ein solches Bündnis käme für die CDU dem Verkauf ihres
       sprichwörtlichen Tafelsilbers gleich. Seit ihrer Gründung halten die
       Christdemokraten Äquidistanz zu allen Rändern des politischen Spektrums.
       
       ## Antikommunismus mit Symbolwert
       
       Es war folgerichtig, dass sie sich nach 1990 konsequent von allen
       Nach-Nachfolgeparteien der SED abgrenzten. Im überschaubaren Parteiensystem
       der Bundesrepublik hatte der strenge Antikommunismus der Union jedoch
       zuletzt symbolischen Wert. Die Union konnte oftmals mit der FDP koalieren,
       teils mit der SPD, später öffnete sie sich für die Grünen. Ein Bündnis mit
       der Linkspartei war also gar nicht nötig.
       
       Heute ist die Situation anders, das zeigt aktuell die Wahl am
       Bundesverfassungsgericht: [2][Die Union braucht für die drei neuen Richter
       die Stimmen von Grünen und Linkspartei.] Damit heute eine noch utopisch
       klingende Koalition aus CDU und Linkspartei überhaupt denkbar wäre, müssten
       zwei erhebliche Voraussetzungen erfüllt sein: inhaltliche Schnittmengen
       sowie das Überwinden der Fundamentalabgrenzung, vor allem bei der CDU.
       
       Zumindest in der Landespolitik sind die [3][Überschneidungen zwischen Union
       und Linken größer, als man gemeinhin denkt], etwa bei Bildung,
       Sozialpolitik, Daseinsvorsorge. Ob bei Investitionen in Infrastruktur,
       Digitalausbau, Erhalt der Krankenhauslandschaft oder der besseren
       Ausstattung von Schulen und Kitas – die Differenzen zwischen Union und
       Linken sind nicht unüberbrückbar.
       
       Abgesehen davon, dass Kompromisse ohnehin zum Koalitionsgeschäft gehören.
       Es überrascht nicht, dass Konservative und Linke durchaus punktuell
       zusammenarbeiten. In Thüringen wurde unter der letzten rot-rot-grünen
       Minderheitskoalition ein Stabilitätsmechanismus mit der CDU vereinbart, der
       unter anderem sicherstellte, dass trotz fehlender Regierungsmehrheit jedes
       Jahr ein Haushalt mit den Stimmen der Christdemokraten aufgestellt werden
       konnte.
       
       ## Bündnis mit Links seit 2018 ausgeschlossen
       
       Jede Koalition, die erstmals geschlossen wird, birgt Risiken, zumal wenn
       ideologisch so unterschiedliche Parteien sie eingehen. Man denke an die
       Diskussionen um schwarz-grüne Bündnisse, die heute normal sind. Doch in der
       CDU stößt ein Bündnis mit der Linken nicht nur auf massive Vorbehalte,
       sondern wurde 2018 eben per Parteitagsbeschluss ausgeschlossen. Dennoch
       befürwortete 2023 in einer Umfrage die Hälfte der christdemokratischen
       Parteimitglieder und 60 Prozent der übrigen Befragten eine mögliche
       Koalition aus Union und Linken – und zwar in Ostdeutschland.
       
       Diese uneindeutigen innerparteilichen Mehrheitsverhältnisse bieten
       zumindest die Möglichkeit, angesichts der Bedrohung der Demokratie durch
       die extreme Rechte eine innerparteiliche Debatte anzustoßen. Diese würde
       die Partei auch nicht gänzlich unvorbereitet treffen. Schon im Mai hatte
       sich etwa Kanzleramtschef Thorsten Frei offen gezeigt für einen neuen
       Umgang mit der Linken. Die Zeichen der Zeit werden in der Union erkannt,
       aber die Diskussion um den Unvereinbarkeitsbeschluss scheut man bislang
       noch.
       
       Es ist ein schmaler Grat: Fällt die Entscheidung für ein Zusammengehen mit
       der Linken etwa erst nach der Wahl in Sachsen-Anhalt, würde sie wohl auf
       massiven innerparteilichen Widerstand treffen. Gleichzeitig könnte eine
       frühere Diskussion schon Monate vorher für Unruhe in der Partei sorgen –
       und die AfD, die sich als „saubere“ Konservative präsentieren würde,
       womöglich noch weiter stärken. Gerade weil es weder für noch gegen einen
       solchen Schritt klare Mehrheiten in der CDU gibt, braucht es für diesen
       Strategiewechsel integrierende und pragmatische Persönlichkeiten –
       innerparteilich und über Parteigrenzen hinweg. Sie müssen kommunizieren,
       dass es sich zwar nicht um eine „Herzenskoalition“ handelt, wohl aber um
       ein Bündnis, dessen Aufgabe nichts Geringeres ist als der Schutz der
       Demokratie vor dem Zugriff der extremen Rechten.
       
       Im Zuge eines solchen Perspektivwechsels würde auch das tradierte
       Lagerdenken überworfen, dem viele Funktionäre noch immer anzuhängen
       scheinen. An seine Stelle würde eine Koalitionsoffenheit aller
       demokratischen Parteien treten. Damit aber müssten sich auch die
       konservativen Kulturkämpfe der letzten Jahre erübrigen. Koalitions-, aber
       nicht zuletzt staatspolitisch klüger ist es, inhaltlich zu polarisieren,
       aber das Gemeinsame nicht zu verschweigen: den Willen zum Schutz der
       Demokratie. Das erfordert ein neues politisches Verantwortungsbewusstsein,
       das über taktische Parteierwägungen hinausgeht.
       
       26 Sep 2025
       
       ## LINKS
       
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