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       # taz.de -- Koksauge, sei wachsam!
       
       von BERND MÜLLENDER
       
       Die Rollenbesetzungen sind klassisch. Da ist zunächst das Opfer: Christoph
       Daum, 46, missionarischer Eiferer, Hoeneßhasser vermutlich seit Geburt,
       Trainer in Leverkusen und notorischer Meisterschaftszweiter. Er soll ab
       Juli 2001 Bundestrainer werden. Und da ist der Täter: Uli Hoeneß, 48,
       missionarischer Eiferer, Daumhasser vermutlich schon im Embryonalzustand,
       der sich selbst „Abteilung Attacke“ nennt und den großen FC Bayern fast
       seit Geburt managt. Als beteiligter Dritter fungiert Rudi Völler, 40,
       Übergangsbundestrainer und „ein Messias“ (Bayern-Trainer Ottmar Hitzfeld).
       Das nationale Ruuuuuudifaktotum ist überaus beliebt, gilt mit zwei Siegen
       nach der EM-Pleite schon als Retter des deutschen Fußballs. Zum Streit sagt
       der Gutmensch: „Ungeheuerlich. Mir fehlen die Worte.“
       
       Uli Hoeneß hat attackiert. Und er hat völlig Recht. Ein Drogenkranker
       gehört gegeißelt, mindestens in die Therapie, aber nicht auf den
       wahrscheinlich wichtigsten Posten des Landes. Nein, Christoph Daum,
       vorgeblicher Kokser, darf nicht Bundestrainer werden. Schon Alkoholiker
       (Branko Zebec – „Wie kann der Elfmeterschütze so frei stehen?!“) haben im
       deutschen Fußball genug Schaden angerichtet.
       
       Irgendwann einmal, in ferner Zeit, wenn Uli Hoeneß daheim in Ulm wieder
       Wurstbrät eindarmt und Christoph Daum gerade als Nationaltrainer h.c. sein
       Seniorenheim in Leverkusen-Opladen zulabert, werden die wahren
       Zusammenhänge gewürdigt werden. Dass es nämlich diese kleine Zeitung war,
       die damals, am 15. Mai 2000, die Lunte gelegt hat: „Ehrlich gesagt: Bayer
       hat nichts als einen potenten Pillen drehenden Sponsor, der die Welt
       vergiftet“, stand da im Fußball-Kommentar des Medizinjournalisten Manfred
       Kriener zu lesen, „und einen koksäugigen Trainer.“
       
       Koksäugig! Wann ist ein Mensch koksäugig? Logo: Wenn er kokst. Also Kokain
       konsumiert und mit erweiterten Pupillen, manchmal aufgerissenen Auges,
       glasig glubschern guckt. Er guckt, also ist er: Christoph Daum, der Kokser.
       
       taz-Leser Uli Hoeneß hat Fußballdeutschland jetzt explodieren lassen: Der
       Bayern-Manager, dem Leverkusener Trainer seit jeher in tiefer Feindschaft
       zugetan (und vice versa), sagt über Daum, kaum dass sein vorbildlicher
       Kapitän Stefan Effenberg mal wieder in eine Wirtshausschlägerei verwickelt
       war und sein FC Ruhmreich daheim von Hansa Rostock 1:0 gedemütigt wurde:
       „Der DFB hat die Aktion ‚Keine Macht den Drogen‘, und dann hat Daum damit
       was zu tun . . .“ Und weiter: „Wenn in den Zeitungen unwidersprochen vom
       verschnupften Daum geschrieben wird, dann sind das alles Dinge, die mich
       sehr nachdenklich machen.“
       
       Hoeneß liefert keinen Beweis. Warum auch? Deutschlands Boulevard ist auch
       so entzückt. Nicht mehr über Olympia-Versager gilt es zu höhnen, endlich
       gibt die Bundesliga, Milliardenbranche mit dem intimen Charme des
       Gebrauchtwagengenres, schöne schmutzige Anschlussthemen. Super-Kombination:
       Volksdroge Fußball und Sex und Drogen und Halbweltmilieu.
       
       Die Abendzeitung in München titelte: „Daum: Schnupf-Orgien und Partys mit
       Prostituierten“. Sportbild analysiert als Fußball-Kachelmann: „Es regnet
       Schmutz.“ Die taz versuchte gestern noch ungläubig zu verharmlosen: „Ein
       bayrisch-rheinischer Intrigantenstadl.“ Heute schlagzeilt der Tagesspiegel:
       „Ein Fußballkrieg um Sex und Drogen“. Selbst die nüchterne Deutsche
       Presse-Agentur denkt ans Ganze: „Unabsehbarer Flurschaden im deutschen
       Fußball.“
       
       Ein Kokainsüchtiger auf der Trainerbank ist tatsächlich undenkbar:
       Konstantin Wecker, Mick Jagger, Willi Vomnorde-Gausepohl nebst Gattin und
       Gespielin, Fritz Wepper, Sigmund Freud, halb Hollywood, die ganze Rockszene
       – kann man sich da irgendwen ernsthaft als deutschen Nationaltrainer
       vorstellen? Nein! Eben. Schlimm genug, dass ein Spieler wie Jürgen Kohler,
       Spitzname „Kokser“, über ein Jahrzehnt lang Nationalspieler sein durfte und
       immer noch die Liga beschmutzt.
       
       Hoeneß glaubt Daum zusätzlich „Erpressungsversuche und Prostituierte“
       andichten zu können, dubiose Werbeverträge, Immobiliengeschichten, privates
       Kuddelmuddel, kurz, nur bah und igitt und pfui. Eben, so Hoeneß: „All die
       Scheiße.“ Der Hintergrund ist simpel: Hoeneß will Christoph Daum nicht als
       Bundestrainer („nur jetzt kann man es noch verhindern“), er will den guten
       Volks-Rudi behalten. Und tut halt so, als ginge es ihm ums Wohl des
       Fußballs, also des Ganzen.
       
       Leverkusen reagierte so empört wie erwartet: „Satansbraten“, konterte deren
       Manager Reiner Calmund. Er empfehle, Hoeneß „mal zum Arzt zu schicken, ob
       er nicht an Alzheimer leidet. Das ist infam, bösärtig, hinterlistig. Wenn
       das rechtlich anfechtbar ist, dann muss Daum alles daran setzen, Hoeneß
       eine volle juristische Breitseite entgegenzusetzen.“ Daum habe nichts mit
       Drogen und „mit Weibern aus dem Rotlichtbezirk“ auch nicht. Also: „Eine
       Rufmordkampagne.“
       
       Für Daum geht es um alles: „Es geht nicht nur um mich, sondern um den
       deutschen Fußball.“ Es fehle ihm „jegliche Fantasie“, wie Hoeneß, mit dem
       er nie mehr zu reden gedenke, darauf komme. „Es war nie etwas, und es wird
       nie etwas sein. Ich bin mir meiner Vorbild-Wirkung für die Jugend bewusst.“
       Auf seiner Internet-Homepage kontert Daum zudem: „Es gibt in unserem Land
       leider keine Möglichkeit, haltlose Vorwürfe und falsche Anschuldigungen zu
       vermeiden.“ Dann stellte Daum Strafantrag wegen Verleumdung und übler
       Nachrede.
       
       Hoeneß wäre nicht Hoeneß, wenn er nichts mehr im Köcher hätte. „Ein Mann,
       der im privaten Umfeld mit Erpressung, Prostitution und Drogen in
       Verbindung gebracht wird, ist als Bundestrainer nicht tragbar. Das mache
       ich nicht mit.“ Diese Aussagen ließ Hoeneß dann wachsweich dementieren, er
       sei in der Abendzeitung falsch zitiert worden. Hauptsache, die Behauptungen
       sind erst mal in der Welt.
       
       Tatsache ist, dass Daum diesbezügliches Vokabular als Erster gebrauchte.
       Vor zehn Tagen sagte er: „Wer sich da jetzt alles aus dem Jenseits, dem
       Knast und dem Milieu melden darf – unglaublich.“ Er nannte als Beispiel
       „Verbrecher und Prostituierte“, dazu leider kein Beispiel für das Umfeld
       Jenseits. Hintergrund ist eine obskure Immobilien-Geschichte Daums mit dem
       Makler Heinz Kress, der derzeit einsitzt und von Daum vier Millionen
       fordert. Die Staatsanwaltschaft Köln ermittelt gegen Daum wegen
       Unterschlagung. Daums neue Geliebte, die medienwirksam feuerrote Sängerin
       Angelika Camm, war zuvor Ehefrau von ebenjenem Kress.
       
       Kalle Rummenigge, Hoeneß’ Bayern-Adlatus, denke genauso, ließ der geifernde
       Manager wissen, und der Alleswisser Kaiser Firlefranz Beckenbauer sei auch
       „zumindest nachdenklich“. Gestern forderte Bayern-Präsident und DFB-Vize
       Beckenbauer einen „Friedensgipfel“. Die Daum-Diskussion „stört mich
       kolossal und ist gefährlich“. Der werdende DFB-Chef Gerhard Mayer-Vorfelder
       als Kriegsberichterstatter:„Jetzt schießt man von hinten durch die Brust.“
       
       Bislang fehlen nur noch die Belege. Aber die wird Hoeneß schon noch
       liefern: „Es ist erst die Spitze des Eisberges, da kommt noch viel nach.
       Das nimmt Dimensionen an, die tödlich sind.“ Tödlich klingt endlich auch
       nach Daumschem Jenseits-Geflüster. Der Kölner Express will derweil
       herausbekommen haben, dass Hoeneß eine Detektei beauftragt hat, in Daums
       Sudelleben herumzuschnüffeln. Vielleicht ist Hoeneß aber auch Daums Dealer.
       Wer will das jetzt schon wissen.
       
       Am Samstag spielt Deutschland in London gegen England in der
       WM-Qualifikation. „Wenn wir 2:0 gewinnen“, sagt Naseweis Hoeneß
       verschnupft, „muss neu über die Bundestrainer-Situation diskutiert werden.“
       
       5 Oct 2000
       
       ## AUTOREN
       
   DIR BERND MÜLLENDER
       
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