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       # taz.de -- Kolonialgeschichte in Hamburg: Die Früchte jahrelanger Debatten
       
       > Hamburg will sich mit seiner Kolonialgeschichte beschäftigen. Die
       > Perspektive der Leidtragenden werde ausgeblendet, beklagen Verbände.
       
   IMG Bild: Hamburger Umgang mit der kolonialen Vergangenheit: Im „Tansania-Park“ wird das Deutsch-Ostafrika-Kriegerdenkmal die „Schutztruppe 1914-18“ geehrt.
       
       HAMBURG taz | Hamburgs Umgang mit seiner Kolonialgeschichte ist
       schizophren. Da ist die Welle kolonialer Nostalgie, die sich etwa in der
       Hafencity manifestiert. Als es darum ging, im neuesten Stadtteil am Wasser
       Straßen und Plätzen einen Namen zu geben, fiel die Wahl auf Welteroberer
       wie Magellan, Marco Polo, Vasco da Gama, sogar Gebäude heißen dort nach
       Kolonialwaren.
       
       Weniger prominent, im Stadtteil Jenfeld, findet sich an der Fassade der
       ehemaligen Lettow-Vorbeck-Kaserne bis heute eine unkommentierte
       Reliefdarstellung des Kolonialgenerals Lothar von Trotha. Dessen
       „Vernichtungsbefehl“ gilt als Grundlage des Völkermordes an den Herero im
       heutigen Namibia. 100 Jahre später, 2004, erklärte die Bundesregierung, von
       Trotha würde heutzutage dem internationalen Strafgerichtshof überstellt –
       als Kriegsverbrecher.
       
       Auf der anderen Seite tragen aber jahrelange Debatten um eine kritische
       Aufarbeitung erste Früchte: So gab vergangene Woche der Hamburger Senat
       bekannt, die Stadt werde mit einem Gedenk-Konzept das koloniale Erbe
       aufarbeiten – als erste in Deutschland. Als Hafen- und Handelsmetropole
       habe Hamburg eine besondere Verpflichtung und ein besonderes Interesse,
       sagte Kultursenatorin Barbara Kisseler (parteilos). „Wir werden uns der
       Geschichte mit mehreren Initiativen stellen.“
       
       ## Nachfahren der Opfer ausgeschlossen
       
       Kritik wird nun daran laut, dass ausgerechnet die Nachfahren der Opfer von
       Kolonialismus und Rassismus von der Mitarbeit ausgeschlossen worden seien.
       So spricht Ginnie Bekoe, Beiratsmitglied der Initiative Schwarzer Menschen
       in Deutschland (ISD), von einem Skandal: Es seien ja gerade jene
       Selbstorganisationen Schwarzer und afrikanischer Menschen sowie
       postkoloniale Initiativen gewesen, die das Konzept angeregt hätten, sagt
       sie. „Deutlich wird, dass die Perspektiven von Schwarzen Menschen und
       People of Colour auf Geschichte und Gegenwart unserer Stadt bis heute ganz
       bewusst übergangen werden“, so Bekoe.
       
       Dabei hatte der Kulturausschuss der Bürgerschaft vor einem Jahr
       ausdrücklich empfohlen, zu prüfen, inwiefern ein „hamburgweites
       postkoloniales Erinnerungskonzept“ entwickelt werden könne – „auch unter
       Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern mit afrikanischer
       Einwanderungsgeschichte“.
       
       Im entsprechenden Bericht des Kulturausschusses, der sich damals mit der
       Vorlage für ein Erinnerungskonzept befasste, finden sich aber auch Sätze,
       mit denen Bekoe allergrößte Probleme hat: Da heißt es etwa, dass „bei der
       Aufarbeitung des Kolonialismus sowohl positive als auch negative Bezüge zu
       analysieren“ seien. Das hatten CDU-Abgeordnete angemerkt – die vor dem
       Kulturausschuss weiter ausführten, sie hätten während einer
       Delegationsreise nach Tansania „den Eindruck“ gewonnen, „dass die
       Alltagsprobleme der dort lebenden Menschen relativ wenig mit der deutschen
       Kolonialgeschichte vor 100 Jahren zu tun“ hätten.
       
       „Ich sehe nicht, was die positiven Folgen von Genozid und Versklavung sein
       sollen“, sagt Bekoe. Dass dadurch die sogenannten westlichen Staaten reich
       geworden sind, sei bekannt, aber nichts, das positiv hervorgehoben werden
       muss.
       
       ## Wissenschaftliche Grundlage schaffen
       
       Dass die Hamburger Kulturbehörde die Beteiligung Schwarzer und
       postkolonialer Initiativen erst einmal hinten angestellt hat, begründet ihr
       Sprecher Enno Isermann so: „Für die Aufarbeitung des kolonialen Erbes der
       Stadt soll zunächst vor allem die wissenschaftliche Grundlage geschaffen
       werden.“ Hierzu wolle die Stadt insbesondere eng mit der Universität in der
       Partnerstadt Dar es Salaam in Tansania zusammenarbeiten. Erst in einem
       nächsten Schritt sollen die Ergebnisse dann im Rahmen einer öffentlichen
       Tagung diskutiert werden, „zu der auch alle an dem Thema interessierten
       Gruppen herzlich eingeladen sind“, so Isermann.
       
       Den Hamburger Historiker Jürgen Zimmerer beauftragte man damit, die lokale
       Kolonialgeschichte in einer Forschungsstelle „Hamburgs Koloniales Erbe.
       Hamburg und die Frühe Globalisierung“ wissenschaftlich zu durchleuchten.
       Zimmerer selbst sagt, die Zeiten seien vorbei, „dass Deutsche anderen
       erklären, wie sie Geschichte aufzuarbeiten hätten“. Deshalb habe er auch
       darauf gedrängt, dass zum Beispiel ein Promotionsstipendium in das Konzept
       aufgenommen werde.
       
       Für den Professor für die Geschichte Afrikas war es ein zentrales Anliegen,
       Menschen aus den ehemaligen Kolonien einzubeziehen. Von dem geplanten
       Tandem-Stipendium zwischen den Universitäten Dar es Salaam und Hamburg
       verspricht er sich viel: „Immer wieder bekomme ich von Studierenden aus
       Afrika Anfragen, die zum Kolonialismus promovieren wollen, es scheitert
       aber eigentlich immer an der Finanzierung.“
       
       Aufarbeitung versteht der Historiker als „work in progress“, bei dem der
       Weg das Ziel ist. Die nun vorgeschlagene wissenschaftliche Forschungsstelle
       könnte dafür nur der Anfang sein, sagt er – und er fügt hinzu: „Unter
       Einbeziehung aller Leute, die sich dazu äußern wollen.“
       
       18 Jul 2014
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Lena Kaiser
       
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